Hélène Blais, Professorin für Zeitgeschichte an der École normale supérieure de Paris, legt eine beeindruckende Gesamtschau zur Globalgeschichte kolonialer botanischer Gärten vor. Sie konzentriert sich dabei auf die Zeit von den 1780er- bis in die 1930er-Jahre. Die von den Europäern angelegten botanischen Gärten in der Karibik, Asien und Afrika werden von ihr als Räume begriffen, die die komplexen Zusammenhänge von Wissenssammlung, -produktion und -zirkulation mit der Konstruktion gesellschaftlicher Verhältnisse und letztlich kolonialer Macht zum Ausdruck bringen.
Deutlich werden die Einflüsse aus dem Konzept der Orte des Wissens (lieux de savoir), das von einer Räumlichkeit von Wissen ausgeht. Wissensorte sind in dieser Konzeption Orte, in denen Wissensgemeinschaften entstehen, die Wissen sammeln und produzieren, die als Arbeitsplätze dienen und in denen ein professioneller, institutioneller und sozialer Status konstruiert wird. Zudem handelt es sich um Orte, in denen (und zwischen denen) Wissen und Menschen zirkulieren, die also von einer großen Mobilität geprägt sind. In ihrer Analyse vernachlässigt Hélène Blais aber auch nicht die materielle und die sozialgeschichtlichen Dimensionen der kolonial-botanischen Wissensräume. Sie greift auf eine große Vielfalt an Archiven zurück und bezieht neben den britischen und französischen Archiven bisher vernachlässigte Archive mit ein, so tunesische, senegalesische oder vietnamesische. Veranschaulicht wird die Argumentation über abgedruckte Gemälde, Gartenpläne oder Fotografien sowie eine Tabelle über die jeweiligen Entstehungszeiten der kolonialen botanischen Gärten.
Das Buch ist in vier große Kapitel gegliedert. Das erste Hauptkapitel widmet sich den Institutionen der Gärten und ihrer Entstehungsgeschichte, den zugrundeliegenden europäischen Traditionen sowie den kolonialen Weiterungen. Demnach entstanden sie zunächst vor allem als Zwischenstationen auf den Handelsrouten der Kolonialmächte zur Erholung und Ernährung der Menschen und zur Akklimatisierung der Pflanzen, während sie später insbesondere der Suche nach ertragreichen Nutzpflanzen dienten. Im Rahmen einer vermeintlichen Zivilisierungsmission sahen sich die paternalistisch auftretenden Europäer gegenüber der lokalen Bevölkerung als überlegen an, die Natur zu klassifizieren, sie unter anderem dadurch kontrollieren zu können und letztlich (genauso wie die Bevölkerung) zu zivilisieren und so lokale Probleme zu lösen. Damit ließ sich zugleich Kolonialherrschaft legitimieren. Die botanischen Gärten seien dabei mehrheitlich Teil einer logique d’appropriation coloniale (33) gewesen.
Derartiges wird beispielhaft auf verschiedenen Ebenen deutlich gemacht an den berühmten Kew Gardens (sowie anderen Gärten der europäischen Metropolen) wie auch an dem zentralen (gleichwohl an der sogenannten kolonialen Peripherie gelegenen) niederländischen Garten von Buitenzorg (Bogor) im heutigen Indonesien. Einmal mehr zeigt sich, dass sich eine einfache Gegenüberstellung der Kategorien Zentrum und Peripherie nicht aufrechterhalten lässt, sondern beide untereinander personell, materiell und ideologisch vernetzt in einem gemeinsamen Raum zu behandeln und polyzentrisch zu sehen sind.
Das zweite Hauptkapitel beschäftigt sich mit der Materialität der kolonialen botanischen Gärten, die für eine Öffentlichkeit gedacht waren und deren Planung bestimmten Ordnungsprinzipien folgte, vor allem der Kontrolle der Umwelt. Diese Prinzipien sollten der Öffentlichkeit als manifestation de la puissance des colonisateurs (130) deutlich gemacht werden, wurden von den Praktiken der Besuchenden jedoch auch selbst geprägt, sodass sich über die entsprechenden Regulierungsversuche Hinweise auf die Fragilität und Unordnung kolonialer Herrschaft ergeben.
Im dritten Hauptkapitel geht es nun explizit um die kolonialen botanischen Gärten als Orte des Wissens (lieux de savoir, S. 160), um die Akteure, die Direktoren und europäischen Angestellten, um die sichtbaren und »unsichtbaren« lokalen Mitarbeitenden, aber auch um die Funktionen der Gärten als Orte des Lernens und als Wissensspeicher (lieux de conservation, S. 218) und als Experimentallabore für eine vermeintliche Verbesserung von Arten und deren Akklimatisierung. Besonders wichtig ist der Hinweis auf die lokalen Mitarbeitenden, die in den zumeist der Kolonialadministration selbst entstammenden Quellen oftmals nur schwer greifbar sind, die jedoch als Informanten, Sammler oder Zeichner für die koloniale Naturforschung unentbehrlich waren. Hier ist eine mühselige lecture à rebours (186) nötig, um den Spuren zu folgen. Hinweise fänden sich beispielsweise auf Fotografien, häufig auch unter Zeichnungen oder in Gehaltsabrechnungen. In der Tat ist die Anonymität der lokalen Sammler in den botanischen Schriften und Herbarien jedoch die Regel. Das ist ein Unterschied zu den meisten Europäern – doch auch bei ihnen wurde zuweilen, je nach sozialem Status, der Name des einzelnen Sammlers nicht genannt. Das gilt etwa für die handwerklich gebildeten, zumeist kommerziell sammelnden Herrnhuter Missionare in Südasien, die damit im Gegensatz zu ihren studierten Kollegen der Dänisch-Englisch-Halleschen Mission standen.1
Das vierte Hauptkapitel schließlich wendet sich insbesondere den wirtschaftlichen Aspekten der Gärten als entreprises coloniales (243) zu. Hier werden sehr gut die Zusammenhänge zwischen den zunehmend einer ökonomischen Logik folgenden botanischen Gärten in den Kolonien und dem kolonialen System einer möglichst rentablen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen für die europäischen Metropolen aufgezeigt. Diesbezüglich werden die kolonialen Programme der Akklimatisation unter anderem am Beispiel der nahezu weltweiten Verbreitung des Blauen Eukalyptus aus dem Garten von Melbourne unter der Leitung Ferdinand von Muellers in den 1870ern betrachtet. Dabei ging es einerseits um die medizinischen Wirkungen der schnell wachsenden Pflanze, andererseits um die Nutzung ihres Holzes. Heute gilt der Eukalyptus häufig als invasiv und schädlich. Hélène Blais weist an anderer Stelle auf die circulations transimpériales (178) hin, wofür der deutsche Botaniker Mueller in Diensten der Briten ein gutes Beispiel ist.
Es muss für das 18. und weite Teile des 19. Jahrhunderts noch einmal die große Bedeutung von Botanikern aus Staaten ohne Kolonien für die koloniale Botanik insgesamt betont werden. Auch indirekt waren Botaniker und andere Naturforscher, beispielsweise aus den deutschen Staaten oder der Schweiz, an der Auswertung oder der Verbreitung von Pflanzen aus den Kolonien anderer Staaten beteiligt, profitierten also, ohne zwangsläufig selbst vor Ort gewesen zu sein, oder arbeiteten den Kolonialmächten zu (hierzu kurz auf S. 177–178). Zugleich beförderte diese Zusammenarbeit auch in den deutschen Staaten den kolonialen Gedanken.
Insgesamt ist Hélène Blais ein hervorragendes Buch gelungen, das deutlich macht, wie wichtig die kolonialen botanischen Gärten für die Etablierung und Aufrechterhaltung der Kolonialherrschaft waren. Dem Buch ist eine Übersetzung in das Englische zu wünschen, um eine möglichst große Leserschaft zu erreichen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Tobias Delfs, Rezension von/compte rendu de: Hélène Blais, L’empire de la nature. Une histoire des jardins botaniques coloniaux (fin XVIIIe siècle–années 1930), Ceyzérieu (Champ Vallon) 2023, 380 p. (L’environnement a une histoire), ISBN 979-10-267-1148-3, EUR 29,00., in: Francia-Recensio 2024/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106700