Le Monde arabe et la Seconde Guerre mondiale veröffentlicht die Beiträge eines transnationalen Kolloquiums, das im Juni 2021 in Tunis an der Universität Manouba und am tunesischen Nationalarchiv mit der Unterstützung tunesischer und französischer staatlicher wie akademischer Institutionen stattfand. Eine zentrale Rolle spielte die nationale französische Veteranenbehörde, das Office national des anciens combattants et victims de guerre (ONaCVG), das nicht nur in Frankreich, sondern auch in ehemaligen französischen Protektoraten und Kolonien tätig ist. Laut Vor- und Nachwort fand bereits Ende 2022 eine Fortsetzung in Toulon statt. Dessen im Internet abzurufendes Programm ist vielversprechend, konnte jedoch hier nicht zur Beurteilung herangezogen werden.

Die gemeinsame Herausgeberschaft umfasst die tunesischen Historiker und Archivisten Fayçal Chérif, Mohamed Lazhar Gharbi und Hedi Jellab mit den französischen Kolleginnen und Kollegen Alya Aglan, Julie d’Andurain, und Pierre Vermeren. Aglan schrieb auch die Einleitung, die unter dem Titel »Der Krieg der anderen« (»La guerre des autres«) die dominanten Themen der bestehenden Historiografie zusammenfasst und die Herausforderungen für die zukünftige Forschung skizziert: »Plonger au cœur des sentiments des populations, impliquées malgré elles dans la guerre mondiale, constitue un défi que ce colloque international entend relever« (29).

Trotz dieses Anspruchs, der auch auf den Titel des Bandes verweist, beschäftigt sich ein Großteil der Beiträge weniger mit der arabischen Welt und ihrer Bevölkerung als solcher, als vielmehr mit der komplexen Stellung Frankreichs in den Überseeterritorien Nordafrikas, insbesondere Tunesien, Algerien und Marokko, vor und nach der Operation Torch (Nov. 1942), sowohl unter Vichy- und freier französischer Herrschaft. Die Beiträge in dem Band sind kurzgehalten, die meisten informieren über den Stand der Forschung und bieten Argumente und Synthesen an, nur wenige präsentieren neue Primärforschung. Hier kann aus Platzgründen nur auf einen Teil der Beiträge eingegangen werden.

Der Vorteil des Ansatzes ist, dass der Band einen breiten Überblick über die Historiografie des Zweiten Weltkriegs im Mittelmeerraum vermittelt. Das Verhältnis zwischen französischen Befehlshabern, deutschen und italienischen Besatzern und den Alliierten steht häufig im Mittelpunkt. Die Vielschichtigkeit dieser Verflechtungen tritt auch auf sozialgeschichtlicher Ebene zutage zwischen der Minderheit europäisch-stämmiger colons mit französischer Staatsbürgerschaft und der großen Mehrheit muslimischer indigènes, sowie der jüdischen Bevölkerung, die unter der Unterdrückung und Verfolgung durch Vichy- und deutsche Besatzungsbehörden zu leiden hatte, aber auch zwischen der militärischen Führung und den Soldaten der freien französischen Armee, die zum überwiegenden Teil aus Wehrpflichtigen und Angeworbenen der arabischen und Berberbevölkerung bestand. Nur wenige Kapitel betrachten diese Verhältnisse jedoch aus der Graswurzelperspektive.

Eine Forschungslinie, auf die schon Aglan im Vorwort hindeutet, taucht in den Kapiteln von Chérif und Chantal Metzger auf, die den Propagandakrieg zwischen der faschistischen Achse und den Alliierten analysieren. Viel wird darin über die westlichen Akteure gesagt, weniger hingegen über Aufnahme und Wirkung unter der arabischen Bevölkerung. Selbst die sozialgeschichtlichen Artikel des Bandes nehmen oft eine Außenperspektive ein oder stellen die europäische Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt (Denglos, Perrussel). Der »Krieg der anderen« bleibt zu häufig eine Geschichte der anderen. Der Band wird darüber hinaus dem Anspruch des Titels nicht gerecht, die gesamte arabische Welt zu beleuchten, und zwar sowohl Nordafrika als auch den Nahen Osten. Ein Artikel über den Libanon (Taoutel), einer über den Irak (Houot), und einer über Ägypten (de Gayffier-Bonneville) ergeben noch keine systematische, geografisch umfassende und regional integrierte Herangehensweise. Nicht zuletzt bleibt erstaunlich, dass selbst die Überblickskapitel kaum Literatur aus dem englischsprachigen Raum wahrnehmen. Seit Jahrzehnten erscheinen dort zahlreiche Beiträge, die den vorliegenden Band bibliografisch und analytisch bereichert hätten.

Umso beeindruckender sind die Kapitel, die über die Einschränkungen hinausgehen. In seinem Kapitel über die Goumier- und Tirailleur-Soldaten beschäftigt sich Mbark Wanaim weniger mit Marokkanern als Kombattanten, als vielmehr mit ihrer Nachkriegserfahrung als Veteranen. Hugo Vermeren konzentriert sich in einer kombinierten Sozial-, Wirtschafts- und Umweltgeschichte auf die Auswirkungen des Krieges auf die tunesische Fischerei. Mohamed Lazhar Gharbi, Amar Mohand-Ameur und Pierre Vermeren stellen auf jeweils unterschiedlichen Analyseebenen die grundsätzlich verschiedenen Kriegserfahrungen und -deutungen tunesischer und algerischer Nationalisten und französischer colons einander gegenüber, die teilweise sogar in unterschiedliche Chronologien münden.

Für den Tunesier und späteren Präsidenten Habib Bourguiba war der Krieg, so Gharbi, nur eine kurze Episode im langen Kampf um die Unabhängigkeit, während er für einen französischen colon eine existenzielle Krise darstellte. Mohand-Ameur erklärt, dass für die algerischen Nationalisten eine neue Zeit der politischen Verfolgung nicht erst unter Vichy, sondern bereits mit neuen repressiven Maßnahmen begann, die die französische Verwaltung schon vor Kriegsausbruch ergriff. Ebenso machte die Brutalität der Franzosen in Reaktion auf die Sétif-Unruhen vom 8. Mai 1945 klar, dass die Operation Torch keine allgemeine Befreiung war. Interessant ist insofern Vermerens Feststellung, dass Frankreich die beeindruckende Loyalität der muslimischen Bevölkerung während des Krieges, die Kampfbereitschaft nordafrikanischer Soldaten und die Bereitschaft der Zivilbevölkerung, Entbehrungen bis hin zur Hungersnot hinzunehmen, als Treue zum Kolonialherrn missverstand und nicht als Hypothek auf die erwartete Unabhängigkeit.

Anders stellte sich die Situation für die tunesischen Juden dar, die, so Marie-Anne Besnier-Guez in ihrem Kapitel, nach dem Trauma der deutschen Besetzung und trotz der Unterdrückung durch Vichy, als Freiwillige in der freien französischen Armee kämpften. Nach dem Krieg und der tunesischen Unabhängigkeit werden sie als Veteranen Teil eines komplizierten, postkolonialen Erinnerungsraums zwischen nordafrikanischen und jüdischen Kombattanten der französischen Armee.

Dennoch sollte man die Gegenüberstellung der genannten Kapitel mit dem Eurozentrismus der anderen nicht als Nullsummenspiel betrachten. Es ist vielmehr heutzutage eine methodische Notwendigkeit, die dem Kolonialismus eigenen Verschränkungen und Widersprüche in jegliche Analyse miteinzubeziehen, auch und gerade wenn es um große Entscheidungen und ihre Träger, sowie um Prozesse von globaler Bedeutung geht. Lokale Akteure sollten in keinem Fall als Randerscheinung behandelt werden, genauso wenig wie die arabischen Länder als »en marge«, wie d’Andurain und Gharbi in ihrem Schlusswort bemängeln (296). Nicht nur, weil von Zeit zu Zeit »la marge ou la périphérie prennent une longueur d’avance sur des pays occidentaux corsetés par la guerre« (ebd.), sondern insbesondere, um grundsätzlich das historische Denken im Sinne von Zentrum und Peripherie zu überwinden.

Der trotz aller Kritik sehr interessante Band beinhaltet gegen Ende auch eine sehr nützliche Übersicht der Archivbestände in Frankreich, Tunesien und Deutschland zu diesem Thema.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Peter Wien, Rezension von/compte rendu de: Alya Aglan, Julie d’Andurain, Fayçal Chérif, Mohamed Lazhar Gharbi, Hedi Jellab, Pierre Vermeren (dir.), Le monde arabe et la Seconde Guerre mondiale. Guerre, société, mémoire. Histoires en partage en Afrique du Nord et au Moyen-Orient, Paris (Hémisphères Éditions) 2022, 320 p., ISBN 978-2-37701-141-4, EUR 26,00., in: Francia-Recensio 2024/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106705