1000 Seiten Globalgeschichte der Frühen Neuzeit: ein weiteres Monument im Beck-Verlag, in der von Jürgen Osterhammel betreuten Reihe zur Globalgeschichte durch die Epochen. Wolfgang Behringer hat die Ehre und die Bürde auf sich genommen, hier unsere Epoche zu vertreten, die jüngste und gegebenenfalls letzte der temporal bestimmten Teildisziplinen der Geschichte, die sich aus der rinascimentalen Epochentrias von Antike, Mittelalter und Neuzeit herausschälte. Dass gerade die seit der Nachkriegszeit etablierte Frühe Neuzeit mit Kolumbus, Stabilisierung von Osmanischem und Moghulreich, europäischer Expansion um und ab 1500 einen Begründungs- und Führungsanspruch für Globalisierung innerhalb der Neuzeit behaupten kann, steht außer Frage. Und doch gibt es auf Deutsch gar nicht so viele, die das Wagnis solcher Überblickswerke schon vorgemacht hätten: Wolfgang Reinhard unter dem eingeschränkteren Expansionsbegriff, ähnlich Urs Bitterli, Eberhard Schmitt und Kollegen mit einem immer noch wertvollen mehrbändigen Quellenwerk. Insofern kann Behringer einmal mehr eine gewisse Pionierstellung in diesem Synthese-Bereich im Schwergewichtsformat beanspruchen. Wie baut er »die/eine« Globalgeschichte der Frühen Neuzeit auf? – Im Einleitungskapitel weist er auf fünf Dimensionen hin, nach denen das Buch strukturiert sei: globale Ereignisse, globale Orte, globale Lebensläufe, globale Strukturen, globale Themen (65), vor allem ist es aber dann in vier Jahrhundert-Kapitel gegliedert (16., 17., 18. Jh. und ein Kapitel zum Übergang ins 19. Jh. bzw. ins Zeitalter der Revolutionen). Vorgelagert ist dem ein »Appetitmacher« und ein Vorlauf vom 14. Jh. (Westzug der Mongolen, Tamerlan, Pest, Beginn der Kleinen Eiszeit). Das 17. Jh. ist – nicht überraschend – als global krisengeprägt konturiert, das Revolutionszeitalter – Kapitel 5 – ist vielleicht das »westlichste« (amerikanische, französische, haitische Revolution, Südamerika, Napoleon, einige Blicke nach China).
Jenseits dieses groben Gerüsts ist für das Werk insgesamt eine Stakkatofolge von etwa 200 je drei bis 10-seitigen »Kapiteln« oder Abschnitten kennzeichnend, die einen kurzen Titel führen, einen Namen, einen Sachbegriff, ein Thema, ein Zitat, dessen metonymischer Sinn sich zuweilen erst im Lesefluss erschließt: Die Weltgeschichte wird als eine Folge von Miniaturen erschlossen, die keine Abgeschlossenheit oder Notwendigkeit beansprucht. Es könnten auch einige Miniaturen, Themen, Figuren, Regionalgeschichten mehr oder weniger sein. Mit – wie je – durchaus beeindruckender Mischung aus süffiger, plastischer Darstellung, Prägnanz in Daten und Fakten, mit kurzem Antippen historiographischer oder gar »theoretischer« Positionen wird so in einem chronologischen und global-regionalen Umherschweifen doch ein Ganzes geboten – ein großer vielfarbiger Strauß des frühneuzeitlichen Globalen. Hervorzuheben ist Behringers Offenheit gerade für die muslimischen Reiche, Dynastien und Akteure vom Osmanischen Reich über Persien und das Moghulreich, aber auch für die frühneuzeitlichen Reiche Afrikas und Chinas, womit eine atlantisch-westlichen Eindimensionalität vermieden wird. Behringer hat sich in viele regionale Forschungsstände eingearbeitet und spart nicht mit originalsprachlichen Termini, Namen, Religions- und Dynastiedifferenzierungen, mit Informationen zur Sachkultur, zu ethnischen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Bedingungen, vor allem aber doch immer wieder zur Politik- und Ereignisgeschichte. In der Klimageschichte hatte zuvor Behringer schon einmal eine Globaldimension erreicht, die jetzt aber nur neben vielem anderen berührt wird (Vulkanausbrüche: Huaynaputina 1600, Tambora 1815, ENSO-Ereignisse). Charakteristisch ist aber die erwähnte Parataxe von Miniaturen oder Etüden, eine in dieser Ausprägung auch in Behringers Œuvre bisher nicht verwandte Formwahl.
Lieux de savoir, wikipedia: die Form der Globalgeschichte
Als Pierre Noras Lieux de mémoire ihre Erfolge feierte und die Geschichtswissenschaft zunächst eigene nationale, dann transnationale, dann erinnerungsgemeinschaftsbezogene Folge-Monographien und -Sammelbände hervorbrachte, war es auch das Formprinzip einer unabgeschlossenen Auswahl einiger loci, das mitrezipiert wurde. Es hatte den Charme der Leichtigkeit, es war kollektivarbeits- und sammelbandtauglich. Die Lieux de mémoire und folgend die Erinnerungsgeschichte wurde allerdings von einer breiten Methodendiskussion begleitet, die dokumentierte, dass hier auch eine neue Perspektive oder Fragestellung »Geschichte« erschloss: die quasi archäologische Abschichtung verschiedener strata des kollektiven Gedächtnisses einer Erinnerungsgemeinschaft hinsichtlich eines solchen »Ortes«, der beim Nachvollzug von Semantisierung und Resemantisierung prismatisch den Wandel des kulturellen Ganzen einer Gesellschaft zu »sehen« versprach.
Bei der Ordnung von Behringers Globalgeschichte gibt es kaum ein solches auch nur lose oder halb methodisches Fragestellungsgerüst oder einen Ansatz, der die Form der Miniaturen bestimmen würde. In die Nähe dessen kommt am ehesten noch, dass Behringer immer wieder zu Beginn oder am Schluss eines »Kapitels« den Verweis einfügt, dass dieser geschichtsträchtige Ort, dieses oder jenes Monument, das ein Hauptakteur begründet hat oder in dem er begraben liegt, in die Liste des UNESCO-Welterbes eingeschrieben sei: Die alten Silberminen von Potosí, Sucre (Bolivien), das Gur-i-Emir-Mausoleum in Samarkand, die chinesische Große Mauer, der Virupaksha-Tempel in Hampi, der Palazzo della Signoria in Florenz, die 81 258 Holzdrucktafeln Tripitaka Koreana, die den buddhistischen Kanon im 13 Jh. vervielfältigen halfen, der Tempel des Machu Picchu, der Uluru-Nationalpark, die Mir-Arab-Madrasa der Usbeken in Buchara, die große Moschee von Djenné in Mali, das Lehmziegel-Grabmal des Askiya Mohammed, die indische Festungsstadt Fatehpur Siki, das Stadtzentrum von Isfahan, der Tempelbezirk Hampi des Vijayanagar-Reiches, der Jagannath-Tempel in Puri des Reichs der Gajapatis von Orissa, der Potala-Palst in Lhasa des Dalai Lama von Tibet, die Shirasagijō-Burg in Himeji (Japan), die Fassade der St. Paulus-Kathedrale in Macao, Palenquero als Repräsentant der Kultur der freien Dörfer unter kolonialspanischer Herrschaft, der Tadsch Mahal, die Moai-Statuen am Ahu Tongariki auf der Osterinsel, der Nationalpark Rapa Nui, die koloniale Altstadt von Quito, der Bezirk des Tempels, der der Zahnreliquie Buddhas auf Sri Lanka geweiht ist, die Ruinen der saudischen Heimatstadt al-Diriyya im Vorort at-Turaif von Riad, das Areal der östlichen Qing-Gräber mit dem Yling-Mausoleum als Grabstätte des chinesischen Kaisers Qianlong, das chinesische hydraulische System zwischen Beijing und Hangzhou. Die deutsche UNESCO-Welterbe-Stätten werden auch erwähnt (29, 51–52, 55, 67, 112, 117, 129, 150, 154, 177, 180, 227, 362, 364, 376, 382, 388, 397, 417, 465, 505, 514, 529, 531, 648, 664, 698, 784, 872, 982, 1000, 1002). Dies ist nicht rein ornamental, sondern Behringer verweist auf das Weltdokumentenerbe als selektiven Leitmaßstab rahmend zu Beginn und zum Schluss seines Werkes (S. 66–67: »Aufbau des Buches«, S. 1000–1002: »Weltkulturerbe«). Er wird eingangs »persönlich«, verweist klassische Themen wie Reformation, Dreißigjährigen Krieg und den Großen Fritz in den Staubkeller des historischen Publizierens und mahnt, dass Geschichte nicht »langweilig« sein darf, Globalgeschichte »momentan die spannendste Ecke« der Geschichtsschreibung sei. Hier gelte es eine strukturgebende »Tiefenströmung der Geschichte« zu erkennen, wonach »[a]lle Hochkulturen der Zeit um 1500, auch wenn sie zwischendurch dem Untergang geweiht schienen, […] heute wieder da« seien (67): Persien, Indien, China, Japan, Korea, auf ihre Weise selbst die indigenen Kulturen Amerikas: Verweist dies auf einen gerade die Neuzeit negierenden zyklischen Thesennukleus? Auf eine verdeckte Anleihe bei Jaspers und Eisenstadt mit ihrer These von der Resistenz der Achsenzivilisationen gegen völlige koloniale Überformung? Ein überraschend großer Teil des Weltkultur- und das Weltdokumentenerbe stamme aus der Frühen Neuzeit, mit seiner Kontextualisierung erschließe man die Vielfalt der globalen Geschichte. Das Konzept des (UNESCO)-Weltkulturerbe mit seinen 1052 Welterbestätten (Stand 2016) wird dann auch kurz bis zum katholischen Revolutionsbischof und Jakobiner Henri Jean-Baptiste Grégoire (1750–1831) zurückverfolgt (1000). »Wenn wir den Begriff des Weltkulturerbes weiter fassen, können wir erkennen, dass unsere heutige Welt das Erbe der Frühen Neuzeit ist, also der Periode der Weltgeschichte, in der erstmals alle alten Zivilisationen interagierten« (1002). Doch wird dies nicht methodisch näher ausbuchstabiert, es gibt also keine wirkliche Leittheorie oder -these. Man kann über das Register unter »Theorien« die mit leichter Hand anzitierten Diskussionen von der Great Divergence (Pomeranz), vom Kuhn’schen Paradigmenwechsel versus Popper (arg verkürzt), von Webers Protestantismus-Kapitalismus-These erschließen, beim Postkolonialismus und mit dem Wort der Hybridisierung werden leicht verdaubare Anleihen gemacht. Aber all dies ist nicht thetisch formprägend, diese Frühneuzeitglobalgeschichte will keine solche in Ableitungen ausbuchstabierte Großthese oder Gesamtsicht vorbringen und das ist für den Lesegenuss wohl sogar förderlich. Die Parataxe der interessanten Miniaturen bleibt die Hauptgestalt.
Ist dies dann aber eine zukunftweisende Form? – Wer Globalgeschichte schon gelehrt hat, kennt die Herausforderungen, wenn man als in westeuropäischer oder anderen Ausschnittsgeschichten trainierter Historiker (vgl. Behringers eigenen Hinweis hierzu auf S. 1005) über ganz andere Regionen lehren will und einer Studierendenschar mit Laptop gegenübertritt, die selbst Manifestation »hybridisierter Gesellschaftsformen« ist. Wie würde Behringer selbstbewussten Studierenden sein Buch »verkaufen«, die gerne Lehrende und Lernende gleichstellen, Lehr- und Wissensautorität im Zeichen von ChatGPT und Cloud-Networking herauszufordern wissen, die auch durchaus mit eigenen Spezialwissenselementen aufwarten (»Ich studiere Ägyptologie…Arabistik…Indologie…Sinologie im Hauptfach…«) oder mit rasch gegoogelten Inhalten konfrontieren, ob aus wikipedia oder von anderen »Orten« her? Man nehme einen idealtypischen Berlin-Schöneberger Student* in dunkellila T-Shirt als advocatus diaboli: Wie würde Behringer den deutlichen Inhalts- und Qualitätsunterschied seiner Buchkapitel-Miniaturen gegenüber wikipedia-Artikeln sinnfällig machen? Wenn man z. B. den Abschnitt zu Babur (224‑230, ca. 1500 Wörter) mit dem deutschen (ca. 1200) oder dem englischen wikipedia-Artikel (ca. 5600 Wörter) vergleicht, wird niemand Behringer eigene Akzentsetzungen und Wertungen absprechen können; aber auch die wikipedia-Artikel benutzen die Autobiographie Baburnama in rezenten Editionen, schöpfen aus der Fachliteratur oder der Cambridge History of India. Da vor »Babur« bei Behringer eine Kreuzung aus Magellan- und Enrique de Melaka-Darstellung steht und nach »Babur« die Darstellung gleich zum »Indienrat« als Institution der spanischen Kolonialisierung springt (230–234), kann man den Babur-Artikel für sich gegenüber de* widerborstigen Student* auch schlecht wegen der zwingenden Kohärenz und Einpassung in eine Geschichte mit »rotem Faden« verteidigen, dass er so mit höherer semantischer Wissenstransport-Signifikanz versehen sei. Es geht nicht darum, zu suggerieren, Behringer habe aus wikipedia »kopiert«, im Gegenteil, die eigene Arbeit auf der Basis einer beeindruckend großen Sekundärliteraturauswahl ist unbestreitbar. Nur ist die Summe des Wissens insgesamt nur variant, nicht überlegen, oft geringer als eine vergleichbare Summe von 200–300 Internet-Lexikon-Artikeln. Und aufgrund mangelnder gesamtsemantischer argumentativer Linienführung ist die Varianz und gegebenenfalls die Prägnanz und Einheitlichkeit des besonderen Stils des Autors Behringer »unter dem Strich« gegebenenfalls kein Rettungsanker der synthetisierender Globalgeschichte. Man kann dies beliebig um Stichproben zum Magellan-Enrique de Melaka-Abschnitt (219–224), zum Requerimiento, zu Yucatan, Montezuma, zum Vijayanagara-Reich, Altan Khan, Dalai Lama, aber auch dem Weltreisenden Francesco Carletti (1573–1636), zur chinesisch-jesuitischen Weltkarte des Matteo Ricci (Kunyu Wanguo Quantu), Schabbtai Zvi, Constantine Phaulkon (Behringers Miniatur »Elefantenprinz«, 656–664) erweitern, ein advocatus diaboli wird schwer zu überzeugen sein, dass diese Miniaturen »von dem Herrn Behringer« gegenüber entsprechenden wikipedia-Artikeln signifikant mehr an »Wissen« transportieren. – Es gibt ohne Zweifel einige Unterkapitel, die stärker mit Autorstimme »verfasst« sind und Funktionscharakter haben, etwa das letzte Kapitel des dritten Teils, in denen Stradanos (Jan van der Straet’s) Nova reperta vorgestellt und interpretiert werden: als Vertreter der neuzeitlichen heurematologischen Texte und Bilder kann es die westliche Reflexivität hinsichtlich von Erfindung und Neuheit in den Blick rücken und die mangelnde Wirkung der Übersetzungen von Maschinenbüchern und ähnlichen Inventions-Texten ins Chinesische (»weil Wissen keine Öffentlichkeit [sc. in China] erhielt«, 429) einen Art kontrastiven globalhistorischen Schlussstein für den Abschnitt zum 16. Jh. bilden: Behringers insoweit ganz eigene, plastische Interpretations- und Darstellungskunst hebt hier gerade beim Quellenbezug ein solches Kapitel von den anderen ab. Bei 90 % der Abschnitte scheint ein Verweis auf echte Originalität des transportierten Wissens aber schwierig, und Fehlerchen wird man bei Behringer wie bei wikipedia nachweisen können – zum Beispiel wenn Behringer inkorrekt alle europäischen trading companies der Frühen Neuzeit im Haupttext wie im Index als Aktiengesellschaften ausweist, auch regulated companies (443‑450, 1277). Auch aus der autoritativen Fehlerfreiheit wird man also nicht leicht eine Überlegenheit der Behringer-Miniaturen gegenüber googlebaren Wissens-Miniaturen ableiten können. Ein Weltreisender mag wohlberaten ein Kilo Gepäck oder gerade diese Buchdatei sparen wollen und beim Welterbetourismus die nötigen Informationen jeweils aus dem Internet abrufen.
Die Zukunft der Geschichte: Bildung und Wissenschaft
Behringers Buch über die Hexenverfolgung in Bayern erschloss ohne Zweifel Neues, das man bis heute im Wesentlichen nur bei ihm als Forschungsstandsetzendem nachlesen kann. Sein Im Zeichen des Merkur hatte höhere synthetische Anteile, war aber jahrelang und in vielen Seitenpublikationen vorbereitet. Die Habilitation verband punktuelle Quellentiefenschürfungen mit plastischen Methodenimporten und betrachtete insbesondere zwei oft unverbundene Bereiche – Zeitungs- und Postgeschichte – systematisch zusammen. Selbst bei den Beiträgen zur Kulturgeschichte des Klimas konnte man zwar weidlich theoretische Kurzschlüsse angreifen, und dass Behringer nicht selbst zu den Grundlagenforschern der Klimageschichte gehörte – doch legte er in deutscher Sprache originelle Verknüpfungen der Bereiche Klima und Kultur vor: durchaus synthetisierend, aber durchaus neu, in der Lehre gut einsetzbar. Dem Rezensenten fiele es immer leichter gegenüber einem imaginierten advocatus diaboli zu verteidigen, dass – angesichts der nie scharfen Grenze zwischen Wissenschaft und Bildung - diese älteren Bücher sehr wohl ihren momentanen oder langfristigen Neuheitswert hatten und einen Forschungs- oder Thesenbildungsstand markierten, mindestens im deutschsprachigen Raum. Beim Großen Aufbruch liest man streckenweise mit Genuss, ja schmökernd, man lernt natürlich Vieles, weil man selbst gerade anderes weiß oder nicht weiß, aber bei genauerem Abklopfen erschließt sich eigentlich nirgends, dass hier ein neuer Thesen- und/oder Sach-Forschungsstand gesetzt wird, für den dieses Buch von diesem Autor unverzichtbar war und sein wird. Deshalb ist diese Form parataktischer Miniaturen-Perlenketten in Monographie-Form ein Weg, der die Grenze zwischen Wissenschaft und Bildung gerade in dem Moment in der anderen Richtung überschreitet, da ChatGPT und google die Autorität professioneller Wissensvermittler sehr nachhaltig unter Legitimations- und Gleichstellungsdruck setzen – dies vielleicht gewollt, vielleicht unbewusst. Vielleicht will die deutsche professionelle Geschichte Globalgeschichte derzeit erst einmal so, sie will nicht mehr mit preußischer Droysen-Aura verklemmt nach »Wissenschaft« schielen. Globalgeschichte ist immer noch viel weniger etabliert, auch hehre Qualifikationsschriften wie Habilitationen, die mit Erfolg gekrönt werden, bewegen sich von der altbekannten europäischen Reiseberichtsquellensorte auf das Globale zu – im Vergleich wirkt Behringer fast avantgardistisch. Persönlich denke ich, dass man Behringers Buch sicher als Hinweis auf Themen, Regionen, Probleme, gerade auch über den interessanten Sachindex her verwenden kann, dass man vermutlich in der Lehre aber mit einer Komposition aus Quellen, spezielleren Artikeln, Forschungsmonographie-Kapiteln nachhaltiger in Globalgeschichte (immer nur punktuell und insoweit durchaus ähnlich kaleidoskopartig) einsteigen kann, als mit der Lektüre von ausgewählten Wissensminiaturen aus diesem Buch: Obwohl es also aus der Lehre entstanden sein mag, halte ich das Buch eigentlich so weder für einen Forschungsbeitrag, noch für ein leicht fruchtbar zu machendes Lehrbuch.
Interessant und kolossal, in Stil und Geschichtsfreude bleibt es aber natürlich trotz all dem ein unverwechselbarer Posaunenstoß von Behringer in dem Moment, wo er aus dem aktiven Universitätsbetrieb in einen hoffentlich weiter produktiven Schreibbetrieb wechselt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Cornel Zwierlein, Rezension von/compte rendu de: Wolfgang Behringer, Der große Aufbruch. Globalgeschichte der frühen Neuzeit, München (C. H. Beck) 2023, 1280 S., 112 Abb. (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung), ISBN 978-3-406-78344-9, EUR 48,00., in: Francia-Recensio 2024/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.3.106984