Der heilige Rochus gilt bis heute als bekanntester und bedeutendster Heiliger Montpelliers. Er habe in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gewirkt und die Pest überlebt. Dadurch wurde er in der Folgezeit vor allem als Schutzheiliger gegen diese Epidemie verehrt. Dank der hagiographischen Studie von P. Bolle, die zeigt, welche Bedeutung noch immer quellenkritische Grundlagenarbeit hat, ist nun klar, dass wir von Rochus nicht einmal wissen, ob er überhaupt eine historische Person ist; und falls das der Fall sein sollte, muss festgestellt werden, dass sich ihre Konturen oder gar individuelle Züge nicht mehr greifen lassen.

Die anonymen Acta breviora und die Vita Sancti Rochi des Francesco Diedo, die beide aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts stammen dürften, sind keineswegs als biographische Quellen für das Leben des Heiligen zu sehen. Die Entdeckung eines neuen Textes, der Istoria di San Rocco von Domenico da Vicenza aus den Jahren 1478–1480, und die Neuordnung des Stemmas aller weiteren bekannten Texte zeigen, dass die ältesten Handschriften nicht verlässlicher als die ersten Frühdrucke sind und dass Rochus Lebensbeschreibung als pure Legende angesehen werden muss.

In der Tat spricht vieles dafür, dass die Vita des Rochus aus Montpellier von jener des Rochus aus Autun, eines Bischofs des 7. Jahrhunderts, inspiriert ist und ein »doublet hagiographique« darstellt. Neben gewissen Parallelen – beide tragen den gleichen Namen und waren auch Schutzheilige für die Gefangenen – ist Rochus von Autun als Wetterpatron bekannt, als Schutzheiliger gegen tempestates. Tempestas und pestis sind nicht nur ähnlich klingende Worte; das Auftreten der Pest wurde auch mit Wetter- und Jahreszeitwechseln in Verbindung gebracht. Schließlich wurde Rochus von Autun auch seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts im Languedoc und kurz darauf in Norditalien verehrt. Als historisch verbürgt bleibt so aus der Vita des Rochus von Montpellier nichts übrig, nicht einmal sein angeblicher Heimat- und Sterbeort, in dem bis heute kein mögliches Grab als Kultursprung identifiziert werden konnte.

Bolles herausragende Arbeit wird durch detaillierte Studien zu den Reliquien, zur Liturgie und zur Ikonographie des Kultes sowie durch mehrere neue Texteditionen komplettiert und findet hoffentlich nicht nur viele Benutzerinnen und Benutzer, sondern auch in methodischer Hinsicht weithin Nachahmung.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Klaus Krönert, Rezension von/compte rendu de: Pierre Bolle, Saint Roch. L’évêque, le chevalier, le pèlerin (VIIe–XVe siècle) (Hagiologia, 18), Turnhout (Brepols) 2022, 953 p., ISBN 978-2-503-59662-4, EUR 145,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108056