Bei der Handschrift, die Gegenstand des vorzustellenden Sammelbandes ist1, handelt es sich um keinen Neufund, denn seit über hundert Jahren hat sie in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen Beachtung gefunden (vgl. zur Forschungsgeschichte 25–28). Dennoch wird man sagen können, dass der vorliegende Band die Beschäftigung mit der aus dem späten 15. Jahrhundert stammenden Text-Bild-Komposition zur Brüsseler Joyeuse Entrée der Johanna von Kastilien auf eine neue Grundlage stellt.
Das Buch umfasst zehn kontextualisierende Aufsätze sowie den editorischen Teil: die Beschreibung der Handschrift und ihrer Miniaturen, die Transkription und Übersetzung des lateinischen Textes sowie die vollumfängliche Reproduktion als Faksimile (279‑412; vgl. 23: »in a slightly reduced format«). Hierauf folgt noch eine umfangreiche Bibliographie (413–438). Während diese polyglott ist und auch die spanischsprachige Forschung zur Thematik widerspiegelt, sind sämtliche Forschungsbeiträge des Bandes englischsprachig. In den Fällen, in denen es inhaltlich geboten ist, sind sie mit abstracts versehen. Ein Index (439–440) erschließt die Forschungsbeiträge sowie die Transkription und Übersetzung nach Orts- und Personennamen sowie überwiegend englischsprachigen Sachbetreffen.
Die Autorinnen und Autoren haben als interdisziplinäres Team aus den Fächern Geschichte, Kunstgeschichte, lateinische und niederländische Philologie eng zusammengearbeitet (vgl. 21). Den Anfang in der Folge der Beiträge macht die Herausgeberin, die Kunsthistorikerin Dagmar Eichberger, mit einer allgemeinen Einleitung (21–38). Sie betont die hohe Bedeutung der Berliner Handschrift auch in politikgeschichtlicher Hinsicht: »Since Joanna arrived in the city of Brussels without her husband, the festival booklet is an invaluable testimony to her role as the female head of the ruling family of the country« (22). Den persönlichen Voraussetzungen der Prinzessin dürfte sich auch die Wahl des Lateinischen – und nicht des Niederländischen oder Französischen – für die Textbestandteile verdanken (vgl. 23).
Raymond Fagel (39–51) stellt den ersten Aufenthalt Johannas in den burgundischen Niederlanden 1496–1501 dar. Deutlich arbeitet er die Schwierigkeiten heraus, mit denen sie sich konfrontiert sah. Diese betrafen u. a. das Verhältnis zu ihrem Ehemann Philipp dem Schönen. Über die persönliche Beziehung der Brautleute geben die Quellen wenig Aufschluss: »Besides the apparent physical attraction between Joanna and Philip, there are hardly any direct sources on their personal relationship […]. However, we can reconstruct the way Joanna was treated by her husband and his councillors and courtiers, without deciding on the personal role played by the young duke« (44–45).
Annemarie Jordan Gschwend rekonstruiert anhand publizierter Quellen aus dem Archivo General de Simancas die prächtige, von der Brautmutter Königin Isabella beauftragte Garderobe und Aussteuer, deren Schiffstransport jedoch vor der seeländischen Küste unterging (53–75). Isabella hatte für die luxuriöse Ausstattung auf die Hilfe ausländischer, in Spanien tätiger Kaufleute zurückgegriffen (vgl. 62). Claire Billen und Chloé Deligne (77–106) analysieren die Darstellung des feierlichen Einzugs hinsichtlich der Brüsseler Stadtgesellschaft – welche Ämter und Personengruppen erscheinen in der Berliner Bilderhandschrift? Als Zielpunkt der Brüsseler Selbst-Repräsentation benennen sie die Zentralität der Stadt und zugleich die Einheit der Bürgerschaft (vgl. 106). Remco Sleiderink und Amber Souleymane (107–121) wiederum beleuchten die Aktivität der vorrangigen Gestalter der Joyeuse Entrée, nämlich der in Kammern organisierten Rhetoriker (rederijkers) und insbesondere des Stadtpoeten Jan Smeken.
Wim Blockmans unterstreicht in seiner Studie (123–141) die Bedeutung namentlich einer Gruppe von neun sagenhaften Heldinnen (Neuf Preuses) für den feierlichen Einzug von 1496, die, angeregt durch Boccaccios De claris mulieribus (vgl. 124), am Ende des 15. Jahrhunderts populär waren. Allerdings spiegeln diese Heroinen eher die Leistung und Wesensart von Johannas Mutter Isabella wider, auf deren kriegerische Erfolge die Berliner Handschrift explizit Bezug nimmt (vgl. 133–135). Sie sind nicht als direkte Rollenmodelle für die Prinzessin aufzufassen (vgl. 135).
Dagmar Eichbergers zweiter Beitrag (143–163) behandelt den Einsatz alttestamentlicher Motive in zwölf der 28 tableaux vivants des Einzugs. Sie dienten nicht nur dazu, Aussagen über die Ehe zu tätigen, sondern artikulierten auch die Erwartung der Untertanen an ihre neue Landesherrin, ähnlich den exemplarischen Frauengestalten des Alten Testaments wie beispielsweise Esther und Judith für sie einzutreten. Demgegenüber fragt Laura Weigerts Aufsatz (165–179) nach dem Unterhaltungscharakter der Festlichkeiten und arbeitet die besondere Rolle der rederijkers und der Schützengilden heraus.
Sascha Köhls Studie über das Brüsseler Rathaus (181–206) geht aus von dessen detaillierter Beschreibung in der Berliner Handschrift. Köhl analysiert diese, bezieht in seine Betrachtung jedoch weitere Aspekte der Baugeschichte und des stadtgeschichtlichen Zusammenhangs ein.
Anne-Marie Legaré wählt in ihrer vergleichenden Untersuchung (207–226) von Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts, die Zeitgeschehen mit Wasserfarben und Federzeichnungen auf Papier wiedergeben, ein bisher wenig erforschtes Thema (vgl. 225). Legaré betont die Effizienz dieser Maltechnik, die es erlaubte, aktuelle Begebenheiten in kurzer Produktionszeit darzustellen. Sie kommt zu dem Ergebnis, die Brüsseler Malergilde sei an der Gestaltung der Feierlichkeiten beteiligt gewesen – immerhin erscheint ihr Patron, der hl. Lukas, auf fol. 59r der Handschrift (vgl. 226). Als politisches Ziel der Brüsseler Stadtgemeinde identifiziert sie die Absicht, dass Johanna Brüssel zu ihrer Hauptresidenz machen möge (vgl. ibid.).
Dagmar Eichberger widmet sich in ihrem dritten Beitrag (227–235) der konzisen kodikologischen Beschreibung der aus 63 bzw. 65 Blättern bestehenden Berliner Papierhandschrift. Die Urheber der Buchmalereien seien unbekannt (vgl. 233). »Given the difference in quality, we have to expect the involvement of a leading artist who was assisted by several hands« (ibid.). Auf S. 237–253 liefert Helga Kaiser-Minn zu jeder Miniatur eine Kurzbeschreibung. In etlichen Fällen (beispielsweise S. 248 zu fol. 41r) wird auch eine im lateinischen Text enthaltene Kommentierung wiedergegeben.
Von der Neolatinistin Verena Demoed stammen die Transkription des Textes sowie seine Übersetzung ins Englische (255–277). Punktuell treten Sacherläuterungen hinzu. Die Übersetzung folgt jeweils abschnittsweise und leicht eingerückt auf das lateinische Original. Die Groß- und Kleinschreibung sowie Durch- und Unterstreichungen der Vorlage sind in der Transkription nachgebildet. Auch gängige Abkürzungen werden mit eckigen Klammern markiert, was freilich nicht ganz konsequent geschieht (vgl. 255: pretenderint mit dem handschriftlichen Befund auf fol. 2r). Insgesamt ergibt sich eine sorgfältige, wenngleich nicht allzu gut lesbare Edition. Durchgängig missverstanden ist die Formel Hoc scemate representatur quod (bei Demoed »q[ui]«) uti … (jeweils Exempel aus der Vergangenheit), sic … (jeweils Bezug zur Gegenwart), z. B. auf S. 267 zu fol. 37v.
Der opulent ausgestattete Band ist durch die zahlreichen, nicht auf das Faksimile beschränkten Abbildungen eine Augenweide. Der weiteren Forschung erschließt er eine faszinierende, vielseitig interpretierbare Text-Bild-Komposition. Zugleich bringt er dem Leser die Persönlichkeit der Johanna von Kastilien näher, auf deren späteres Schicksal bei ihrer Joyeuse Entrée so gar nichts hindeutete.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Frank Engel, Rezension von/compte rendu de: Dagmar H. Eichberger (ed.), A Spectacle for a Spanish Princess. The Festive Entry of Joanna of Castile into Brussels (1496), Turnhout (Brepols) 2023, 415 p., 240 fig. (Burgundica, 35), ISBN 978-2-503-59443-9, EUR 110,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108062