Ein kurzes Erstaunen stellt sich ein, wenn der Untertitel klärt, welche Stadt in dieser Kölner Dissertation untersucht wird – und daher ist die Frage durchaus erlaubt: Sancta Colonia, »die treue Tochter der römischen Kirche« (so die Umschrift des Stadtsiegels von 1268/69) – das soll die »Stadt der Ritter« sein, in der die Elite einen dezidiert ritterlichen Habitus kultivierte?
Man beginnt die Lektüre daher voller Spannung, denn Ritter und Stadt, so betont der Autor, sei in der deutschen Forschung eine noch immer ungewöhnliche Kombination: Das trifft auch auf Köln zu – die Verbindung zwischen der städtischen Elite und dem »Feld des Kriegerischen«, so Jansen, ist zwar in Veröffentlichungen zahlreicher Autoren (z. B. Stehkämper, Groten, Herborn, Militzer) gestreift, aber nie intensiv untersucht worden; und daher gebe es viele offene Fragen, von denen einige wiedergegeben werden sollen: Aus welchen Elementen setzte sich der kriegerische Habitus von Mitgliedern der Führungsschicht zusammen? In welchen Familien wurde er besonders gepflegt? In welchem zeitlichen Rahmen? Welche Beziehungsgeflechte ergaben sich in der Stadt sowie zum Landadel? Hatte der »Verfassungswechsel von 1396« Auswirkungen auf die Verhaltensmuster der jüngeren Führungsschicht?
Diese und andere »Leerstellen« stellt Jansen in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Das zentrale Kapitel der Arbeit lautet »Rittertitel und Ritterbilder«, darin findet sich der Abschnitt »Kölner Ritter«, in dem versucht wird, die Anzahl der Ritter im spätmittelalterlichen Köln festzustellen. Dieses und das Kapitel »Akteure und Felder« sind eingebettet in die Darstellung der sozialen, politischen und rechtlichen Voraussetzungen und der historischen Hintergründe der Entwicklung der Führungsgruppen, wobei zwangsläufig vieles wiederholt wird, was hinlänglich erforscht worden ist (einiges, z. B. die Befestigungshoheit, hätte durchaus weniger ausführlich dargestellt werden können). Diese Aussage lässt sich auch für Kapitel wie »Die gebaute Umwelt der Elite« (damit sind die Kölner Stadtmauer, Rathaus und Gürzenich, aber auch die Wohnbauten der führenden Familien gemeint) und den Abschnitt »Lehns- und Burgbesitz Kölner Familien« treffen.
Bevor der Autor den Fokus auf das Kernthema richtet, referiert er »Kölner Rittererzählungen«; das »Narrativ vom Rittertum«, das Jansen herausarbeitet, basiert u. a. auf Gottfried Hagens Reimchronik, der Weberschlacht und natürlich der Koelhoffschen Chronik. Verdienstvoll sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen zum »Worringenmythos«: Jansen erinnert daran, dass kein zeitgenössischer Kölner Bericht über die Schlacht bekannt ist, es sei aber immerhin möglich, dass es einen – vermutlich im 14. Jahrhundert verlorengegangenen – »stadtkölnischen Memorialbericht« gegeben haben könnte. Erst nach 1310 lassen sich Spuren städtischer Erinnerung feststellen: um 1315, so Jansen, »hatte sich Worringen also als der symbolhafte Triumph herausgestellt, als der er noch heute gilt«.
Dass Mitglieder der Kölner Führungsschicht seit dem 13. Jahrhundert die Nähe zum Landadel der Umgebung suchten (was durch gegenseitige Heiratsverbindungen umgesetzt wurde) und generell, so drückt es Jansen aus, »dem Rittertum zugeneigt waren« und mit dem Erwerb des Rittertitels einen Ansehenszuwachs erwarteten, ist – wie erwähnt – keine neue Erkenntnis. Jansen aber ist es gelungen, die »Dynamik dieses Phänomens«, den kriegerischen Habitus der Elite in all seinen Wandlungen und Brüchen, das Agieren der Akteure auf kriegerischen wie ritterlichen Feldern aufzuzeigen, namentlich in vielen Konflikten, in die die Stadt verwickelt war, wie bei Turnieren, die sich auch in Köln großer Beliebtheit erfreuten. So wurden in der ersten Kölner Turnierordnung von 1341 ausdrücklich auch unsere burgere als Turnierkämpfer erwähnt.
Vor allem hat Jansen durch intensives Quellenstudium eine zahlenmäßige Erhebung der Kölner Ritter durchgeführt. Als Ergebnis führt er 258 Ritter aus 69 stadtkölnischen Familien an (die in einem Anhang namentlich aufgeführt sind). Selbst angesichts der Größe Kölns, so glaubt er, sei diese Zahl »beachtlich«, sie belege den Stellenwert eines ritterlichen Habitus für die Elite. Vor 1396 trugen hauptsächlich Mitglieder der 15 Geschlechter den Rittertitel, die meisten nachweisbaren Ritter, nämlich 26, gehörten den Overstolzen und dem Zweig der Overstolz von Efferen an, die Scherfgin stellten 18, die Quattermart 14, um einige zu nennen.
Demgegenüber nennt Jansen die Familien Aducht und Hirzelin, die jedes kriegerisch-ritterlichen Kontextes entbehrten – dies illustriere, dass der ritterliche Habitus auch zur Geschlechterzeit kein unabdingbares Merkmal für die Zugehörigkeit zu den politischen Führungsgruppen gewesen sei. Nach dem Ende der Geschlechterherrschaft, als sich allmählich eine neue Führungsschicht in der Stadt etablierte, ist eine gewisse »Trennung zwischen städtischen und ländlichen Eliten« zu registrieren, die sich auch darin zeigt, dass die Zahl derer, die die Ritterwürde erwarben, abnahm.
Inwiefern der Rittertitel tatsächlich das soziale Ansehen der Träger vermehrte und ihnen damit auch politische und materielle Vorteile verschaffte, untersucht Jansen im äußerst lesenswerten Kapitel »Akzeptanz und Alternativen«. Dabei weist er darauf hin, dass die Verleihung des Rittertitels ohnehin nicht die Zugehörigkeit zum Kleinadel nach sich zog und eben keine Voraussetzung für den Zugang zu politischer Macht war. Als »Ehrenvorrang« für Ritter findet sich nur einmal, nämlich in der um 1435 formulierten Ordnung des Hochgerichts, eine Bestimmung, nach der Ritter vor den Mitschöffen siegeln, sitzen und gehen durften. Gegen zahlreiche Fälle, in denen Kölner Bürger scheinbar »auf sozialer Augenhöhe« mit Landadeligen auftraten, führt Jansen ins Feld, dass die Entwicklung der gesellschaftlichen Hierarchien zuungunsten stadtbürgerlicher wie kleinadeliger Familien verlief, dass z. B. seit dem 14. Jahrhundert keine Personen aus diesen Kreisen mehr in das Domkapitel aufgenommen wurden. Jansen nennt als Grund »die Hürde der Edelfreiheit« – »ritterbürtig mochten sie sein«, die stadtkölnischen Familien, sie gelangten »aber nur in Einzelfällen … über diesen Status edler – aber eben nicht edelfreier – Geburt hinaus«.
Markus Jansen hat mit seiner Untersuchung ein grundsolides Werk vorgelegt. Es zeichnet sich durch umfassende Quellen- und Literaturkenntnis aus, es ist auch dank seiner übersichtlichen Gliederung gut rezipierbar – und es wird die Sicht auf die spätmittelalterliche ritterliche Kultur im rheinischen Raum fortan bestimmen: diese Kultur, so Jansens Fazit, wurde »gemeinsam von ländlichen wie städtischen Eliten« geprägt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Carl Dietmar, Rezension von/compte rendu de: Markus Jansen, Die Stadt der Ritter. Kriegerische Habitusformen der Elite der spätmittelalterlichen Stadt Köln, Köln (Böhlau Verlag Wien Köln) 2024, 571 S., 66 meist farb. Abb. (Stadt und Gesellschaft. Studien zur Rheinischen Landesgeschichte, 11), ISBN 978-3-412-52941-3, EUR 75,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108066