Die Stadt Straßburg verfügte im Mittelalter über mindestens 13 Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Vier davon – das aus dem ursprünglich bischöflichen St. Leonhard-Hospital hervorgegangene Mehrere Hospital, die Leprosenhäuser zur Rotenkirche und zum Schnelling, das 1503 geschaffene Blatterhaus und das 1523 zentralorganisierte Gemeine Almosen – die im 15.–16. Jahrhundert alle unter der Aufsicht des Stadtrats standen, hat Eva-Maria Cersovsky in ihrer Kölner Dissertation im Hinblick auf die dort herrschenden Geschlechterverhältnisse untersucht. Nach einem einleitenden Kapitel zur sozioökonomischen Lage in Straßburg und zur Charakterisierung der vier Fürsorgeanstalten fragt sie auf der Basis einer sehr reichhaltigen Quellengrundlage (sukzessive Dienstordnungen, Rats-, Visitations- und Befragungsprotokolle, Rechnungsbücher) nach der Rolle von Männern und Frauen auf drei Ebenen des Personals: den Pflegern, die im Auftrag des Rats die Institutionen beaufsichtigten und kontrollierten, den Leitern und Leiterinnen, den heilkundigen Pflegekräften.

Dabei geht es der Autorin keineswegs nur um die Bedeutung der Frau in der Krankenfürsorge, sondern auch um die Rolle der Männer. Wenn z. B. alle Pfleger Männer, zum Großteil ehemalige Ratsherren, waren, so hebt Cersovsky zurecht hervor, dass sie im symbolischen Diskurs gern als Väter des Hauses bezeichnet wurden, die Hospitalgemeinschaft somit als Familie gesehen wurde, und dass dadurch gewisse Erwartungen an die Rolle der Pfleger geknüpft waren, nämlich sowohl Autorität und Verantwortung als auch Fürsorge und Milde, was bisher kaum erforscht wurde. Das Bild gilt auch in der umgekehrten Perspektive, dass Pfleger und Stadtrat, aber auch Ehefrauen entsprechende Erwartungen an die Väter armer Familien stellten, die jene nicht immer erfüllten, sodass die Sorgepflicht auf die Frau überging. Cersovsky weist darüber hinaus nach, dass durch die Siechenbruderschaft am Mehreren Hospital auch Frauen Einfluss ausüben konnten, da sie für die Verwaltung von Schenkungen an die Kranken zuständig waren und ihrerseits Verantwortung trugen. Da sie wie die Pfleger aus Ratsfamilien stammten, trugen sie mit ihrer karitativen Tätigkeit wie ihre Männer zum legitimierenden Prestige der Familie bei. Im Blatterhaus waren es zwei verwitwete Frauen, die in ihrer sozialen Mutterrolle nicht zögerten, Missstände anzuprangern, auch wenn der Vorschlag, ein weibliches Aufsichtsgremium zu schaffen, vom Rat nicht in Betracht gezogen wurde.

Mit der Institutionsleitung waren sowohl Ehepaare als auch Selbständige betraut. Cersovsky kann in diesem Zusammenhang das klassische Bild der Arbeitsteilung – die Männer sind für die Außenbeziehungen und Finanzverwaltung zuständig, die Frauen für die internen Aufgaben und Krankenpflege – bestätigen, aber nuancieren. Im Mehreren Hospital waren z. B. die männlichen Leiter zunehmend für die Krankenstuben verantwortlich, während in den Leprosorien die Kranken beiderlei Geschlechts ihre Versorgung weitgehend in Selbstverwaltung organisierten. Auch dort wo Männer die Leitung innehatten, waren es oft (ihre) Frauen, die sich um Speisung, Kleidung und Arzneien kümmerten.

Auch auf der Ebene der Heilkunde lässt sich der aktive Part von erfahrenen Frauen neben dem Einfluss ausgebildeter Männer nachweisen, sodass die Almosenbehörde heilkundige Frauen als Ärztinnen bezeichnete. Weder universitätsgelehrte Ärzte noch handwerklich ausgebildete Scherer (Wundärzte) hatten ein Monopol auf Diagnosen und Therapieempfehlungen. Im Mehreren Hospital behielt die Meisterin immer die Entscheidung über die Aufnahme eines oder einer Kranken. Auch in diesem Zusammenhang wurden häufig Ehepaare, wenn nicht gar mit ihren Haushaltsgehilfen, eingestellt. Cersovsky betont zurecht, dass auch wenn ein Mann eingestellt wurde, stets die Frau an seiner Seite mitgedacht werden muss. Da sie in der Regel keine eigene Amtsbezeichnung trug, ist ihre Funktion bislang der Forschung weitgehend entgangen. Das geschah selbst bei den Pflegern.

Wenn auf der Ebene der Heilkundigen wie auf jener der Anstaltsleitung häufig Ehepaaren gemeinsam die Verantwortung übertragen wurde, so hing das nicht nur an der traditionellen Rollenzuschreibung für Mann und Frau oder an der Sorge, dass immer einer von beiden präsent sei, sondern auch an den moralischen Bedenken gegenüber Männern, die gern der sexuellen Übergriffe verdächtigt wurden, während man erwartete, dass Ehefrauen den sexuellen Hunger ihrer Männer stillten und so unangemessene Kontakte zu Kranken seltener waren. Zudem konnten die Frauen ihren Männern einen guten Leumund verleihen und dadurch Vertrauen bei den Pflegern und den Kranken erzeugen, während sie eine zusätzliche Arbeitskraft darstellten. Diese Bedenken gab es zurecht auch gegenüber Klerikern, doch dank der Reformation und ihres Eheideals galt nun auch für sie das Leitbild des Hausvaters.

Die Rezension vermag nicht die heterogenen und zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse, die je nach Institution und nach Epoche unterschiedlich sind, in ihrer ganzen Breite wiederzugeben. Zum Teil hängt das an der Struktur der Dissertation, die für jede der drei Personalebenen von einer Anstalt zur anderen wandert und immer wieder Gegenbeispiele für einen zunächst ausgemachten Trend oder Konflikte um Fürsorgeentscheidungen feststellt. Vielleicht wäre ein Aufbau, der eine Institution nach der anderen in ihrer zeitlichen Entwicklung darstellt, übersichtlicher gewesen. Umso dankbarer ist man für die Zusammenfassung der Autorin, die klare Entwicklungslinien nachzeichnet und wesentliche neue Forschungserkenntnisse hervorhebt. So kommt sie zum Schluss, dass der Einfluss von Frauen auch ohne Dienstamt nicht zu unterschätzen ist, dass aber seit der Mitte des 15. Jahrhunderts »eine normative Stärkung männlicher Weisungsbefugnis und weiblicher Gehorsamspflicht« sich in allen Handlungsbereichen durchsetzte (317), was mir bei der Lektüre so deutlich nicht aufgefallen war. Unbedingt festzuhalten ist meines Erachtens, dass das Geschlecht nur eine Facette ist, welche die Rolle der an der Krankenfürsorge Beteiligten erklärt. Soziale Herkunft, Familienstand, Alter, Erfahrung, Konfession, aber auch Gesundheit, Risikobereitschaft und Leumund waren andere Facetten, die bei der Auswahl und dem Verantwortungsgrad des für die Fürsorge verantwortlichen Personals eine Rolle spielten.

Unabhängig von der Geschlechterfrage bringt die Arbeit auch interessante Ergebnisse zur Hospitalforschung. So stellt Cersovsky fest, dass das Pflegeramt von vielen Kandidaten eher als Bürde denn als Ehre wahrgenommen wurde. Auch die Funktion eines angestellten Arztes oder Apothekers war für Universitätsabsolventen bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts nicht unbedingt attraktiv. Die (ausbaubare) prosopographische Untersuchung der Pfleger und ihrer Familien, aber auch der gelehrten Heilkundigen lässt weitreichende Netzwerke erkennen. Sie zeigt auch, dass im Mehreren Hospital in den 1530er-Jahren die tägliche Präsenz des Leiters an jedem Krankenbett zur Pflicht wurde, sodass sich das Amt verdoppelte.

Die quellennahe Dissertation ist für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Genderforschung eine erfreulich nuancenreiche Pionierleistung. Gleichzeitig stellt sie ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Stadt Straßburg, zur allgemeinen Hospitalgeschichte und zu den konkreten Folgen der Reformation dar.

Den 319 Seiten Text folgen ein englisches summary von 13 Seiten, 65 Seiten Personenlisten der Amtsträger und Amtsträgerinnen in den vier Institutionen, eine Bibliographie von 59 Seiten und ein Orts- und Personenregister.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Michel Pauly, Rezension von/compte rendu de: Eva-Maria Cersovsky, Geschlechterverhältnisse in der Krankenfürsorge. Straßburg im 15. und 16. Jahrhundert, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2023, 481 S. (Mittelalter-Forschungen, 69), ISBN 978-3-7995-4390-3, EUR 64,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108140