Der vorliegende Sammelband vereint die Erträge der großen Jubiläumstagung zum Repertorium Germanicum (RG) resp. Repertorium Poenitentiariae Germanicum (RPG) von 2018, die am Deutschen Historischen Institut (DHI) Rom stattfand (XIII).1 Die 19 Beiträge gliedern sich in vier Kapitel, denen eine nützliche Übersicht über die bisher erschienenen Bände von RG und RPG (IX–XII) sowie eine Einleitung, die Erweiterungen der Eintragungen ins RG im Laufe des Forschungsprozesses aufzeigt (2–4) und sehr wertvolle Hinweise und Anregungen am Rande der Tagung präsentiert (11–16) sowie einen Ausblick auf eine geplante prosopographische Datenbank bietet (16–17), vorgeschaltet sind. Kapitel I und II sind dabei eher methodisch ausgerichtet (Potentiale und Herausforderungen der Digital Humanities, Verknüpfung von Forschungsdaten, Netzwerke), die Kapitel III und IV eher inhaltlich auswertend mit Blick auf traditionelle und neue Fragestellungen der Geschichtswissenschaft.
Im ersten Kapitel zu »Möglichkeiten und Herausforderungen« der beiden Repertorien hebt Arnold Esch einleitend hervor, dass bei der Erschließung und Benutzung des RG die vielfach angemahnte Perspektive des »bottom up« das natürliche Vorgehen darstelle, da das Quellenmaterial eben so funktioniere (23). Mit derzeit 200 000 deutschen Fundstellen, was in etwa 70 000 Viten entspreche, könne das RG als gelungenes Langzeitprojekt bezeichnet werden (23). Es ermögliche zum einen die Korrektur resp. Richtigstellung zeitgenössischer spätmittelalterlicher Kritik an der Kirche (30). Das RPG gewähre zum anderen einen lebendigen Blick auf die Realität der Ständegesellschaft (40). Diese Vielfalt von RG und RPG für die Erforschung der Lebensrealität des Spätmittelalters, die sonst nur schwer greifbar ist, streicht Ludwig Schmugge mit dem Ansatz heraus, die im RPG auftretenden Spuren einzelner Personen mithilfe von Methoden der Digital Humanities mit Daten aus heimischen Archiven zu verknüpfen. Eingebettet in einen Abriss der Geschichte (46–49) und Statistik (49–51) des RPG kann er die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes für die Prosopographie sowie die vertiefte Kenntnis administrativer Abläufe an der Kurie (66–72) herausarbeiten.
Das zweite Kapitel legt davon ausgehend das Gewicht auf das Thema »Datenvernetzung«. Es greift damit den in der Erforschung mittelalterlicher Geschichte zunehmend wichtiger werdenden Einbezug digitaler Methoden in Bezug auf Findmittel, Editionen sowie Analyse und Darstellung von synchronen und diachronen Prozessen (etwa Netzwerkanalyse) auf und generiert neue Fragestellungen. Für den Bereich der Prosopographie, die schon früh Methoden der Digital Humanities nutzte (83–85), erläutert Georg Vogeler die Bedingungen und Möglichkeiten der historischen datenbankgestützten Netzwerkanalyse. Eine digitale Prosopographie müsse über Projektgrenzen hinaus anwendbar sein und bedürfe 1) gemeinsamer Datenmodelle, 2) eines gleichzeitigen Zugriffs auf mehrere Datenbestände, 3) »Benutzerinterfaces, die auf verschiedene Datenbestände anwendbar sind« (88). Am konkreten Beispiel der Zusammenarbeit von Germania Sacra (GS), RG und RPG zeigt Hedwig Röckelein die Potentiale datenbankinterner und -übergreifender Auswertung der Datensätze für die Prosopographie (105–120). Kaspar Gubler und Christian Hesse demonstrieren ausgehend vom Repertorium Academicum Germanicum (RAG), dass eine Verknüpfung mit verschiedenen internationalen Datenbankprojekten die Recherche von ca. 200 000 Personen (!) ermögliche. Die angewandte CAAD-Datenbankabfrage sei zwar noch ein Prototyp, aber noch ausweitbar, z. B. auf Inschriften und Bilder (127). So könnten etwa die Romstudien nordalpiner Studierender stärker als bisher in die Forschung einbezogen werden (131). Ein geplantes Kooperationsprojekt von GS, DHI Rom und RAG für eine Metadatenbank wird in Aussicht gestellt (133). Jörg Hörnschemeyer und Jörg Voigt demonstrieren die Visualisierung von Netzwerken anhand der testweisen Verknüpfung des RG mit dem Archivinformationssystem Arcinsys des Niedersächsischen Landesarchivs (135–157) als »Beispiel der Nutzbarmachung des Exekutorenindexes für netzwerkanalytische Forschungsfragen […]« (156). Vor dem Hintergrund der hohen Standardisierung der Daten des RG, die diese besonders geeignet für die Verarbeitung im Rahmen digitaler Prozesse erscheinen lassen (160), erörtert Robert Gramsch-Stehfest den Nutzen der Online-Datenressourcen. Hier sei insbesondere die Qualität dieser Ressourcen im Vergleich zum gedruckt vorliegenden Material zu prüfen.2 Gerade für prosopographische Studien erweise sich die Online-Recherche durch das schnelle Auffinden eher versteckter Informationen (in Handschriftenkatalogen, Editionen usw.) als äußerst nützlich (172). Abschließend werden die Potentiale einer Auszeichnung der Regestentexte des RG im Rahmen der ANTLR-Grammatik mit Blick auf akademische Eliten erläutert (176–181). Anhand eines Projektes zur digitalen Rekonstruktion des für die mittelalterlichen Bestände fast vollständig verlorenen Stadtarchivs Magdeburg führt Christoph Volkmar die entscheidende Bedeutung der kurialen Überlieferung für die Kenntnisse der Verhältnisse in partibus (183‑202) aus.
Tobias Daniels eröffnet das dritte Kapitel zur Anwendung der Repertorien für die Politikgeschichte mit einer Auswertung von päpstlichen Breven und Instruktionen im RG X und kann in Bezug auf den Handlungs- und Interessensradius Sixtusʼ IV. nördlich der Alpen eine gegenüber der traditionellen Sichtweise entscheidend differenziertere Lage nachweisen (205–242). Wiederum als wichtige Ergänzung zur dürftigen Quellenlage vor Ort (vgl. 248) arbeitet Enno Bünz den Wert des RG für die Landesgeschichte am Beispiel Dithmarschen heraus. An der geographischen Peripherie und zugleich mit im 15. Jahrhundert wechselnder Intensität im Zentrum der Christenheit (Kurie) einflussreich, arbeitet Remigiusz Stachowiak die Rolle und die (neuen) strategischen Wege preußischer Kleriker auf dem kurialen Pfründenmarkt heraus und schließt mit einem Ausblick hinsichtlich der Anwendung von DH-Methoden zur Netzwerkanalyse eben dieser Kleriker (299–300). Daniela Rando untersucht (301–321) die sonst in der italienischen Forschung wenig rezipierten Repertorien hinsichtlich deutscher Studenten in Italien (RG) sowie der Aktivität und Mobilität von Prokuratoren und sonstigen politischen Mittelsmännern und der Italiener am Hof Kaiser Sigismund unter Einbezug von RAG und Regesta Imperii und kann damit einen gemeinsamen Handlungs- und Kommunikationsraum (»spazio integrato«) dieser Gruppen abstecken. Ausgehend von diesem Befund unterschiedlicher Forschungstraditionen und dem Defizit des RG, das nur sehr selektiv die »internationale« Karriere von Klerikern abbilde, untersucht Claudia Märtl die Mobilität von Klerikern in und aus Siena und gewinnt daraus neue Erkenntnisse zur Personengeschichte der Stadt (323–360). Jessika Nowak kann anhand von RG X eine deutliche Zunahme burgundischer Betreffe konstatieren (392) und damit zugleich wichtige methodische Einschränkungen bei der Interpretation dieses Befundes liefern (392–393), die für die Frage nach frankophonen grenzüberschreitenden Netzwerken in Richtung Kurie allgemein von Bedeutung sind.
Das vierte Kapitel rundet mit dem Thema »Neue kultur- und sozialgeschichtliche Zugänge zur Kirchen- und Kuriengeschichte« den Band ab. Dabei kann Jan Hrdina anhand eines breit angelegten Vergleichs der kirchlichen Strukturen Mitteleuropas mit dem vorhussitischen Böhmen auf Grundlage der Repertorien und vor dem Hintergrund päpstlicher Ablasspraxis zeigen, dass hinsichtlich Struktur und Entwicklungsstand der böhmische Fall dem westeuropäischen durchaus vergleichbar war (423). Christiane Schuchard konfrontiert die originale Überlieferung von Urkunden der römischen Rota in partibus mit der im RG abgebildeten römischen und zeigt damit weitere Wege zur besseren Erforschung des Personals der Rota über die ergänzende Überlieferung jenseits des RG auf (458). Von einem gerontomediävistischen Ansatz der neueren Kulturwissenschaften ausgehend, erörtert Christian Alexander Neumann die Potentiale von RG und RPG für Fragen nach Alter und Altersbildern (aufgrund des Charakters der Quellen vorwiegend bezogen auf Kleriker), während Bram van den Hoven van Genderen den monetären Aspekt anhand von pensio und Präbende auf Grundlage des RG in den Blick nimmt (495–545). Schließlich zeigt Andreas Rehberg am bisher kaum untersuchten Engagement der Kurie im Bereich der nordalpinen, nicht-kirchlichen Heraldik, dass die Forschung zu vom Papst gebesserten Wappen von Petenten aus dem Reich von Paul II. bis Leo X. noch sehr am Anfang steht (593–594), aber dennoch interessante Ergänzungen zur Kenntnis des europäischen Wappenwesens bereithält.
Der digitale Aspekt, der während der Tagung stark gemacht wurde, wird nicht von allen Beiträgen gleichermaßen berücksichtigt, was allerdings in ihrer jeweiligen Anlage und Zielsetzung begründet liegt. Insgesamt zeigt der Band eindrucksvoll die Potentiale zur Beantwortung alter und Entwicklung neuer Forschungsfragen und -perspektiven sowie die vielfältigen Anwendungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Langzeitprojekte zu den Römischen Repertorien, mithin ihre Anschlussfähigkeit an die neueren Tendenzen der Forschung und der Digital Humanities.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Aaron Schwarz, Rezension von/compte rendu de: Claudia Märtl, Irmgard Fees, Andreas Rehberg, Jörg Voigt (Hg.), Die römischen Repertorien. Neue Perspektiven für die Erforschung von Kirche und Kurie des Spätmittelalters (1378–1484), Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2023, 620 S., 39 Abb. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 145), ISBN 978-3-11-064584-2, EUR 159,95., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108146