Das Buch des Osnabrücker Mediävisten Christoph Mauntel ist in jeder Hinsicht ein gewichtiges Werk. Die 2021 in Tübingen angenommene Habilitationsschrift bringt es in ihrer bei Hiersemann gediegen produzierten Fassung auf knapp 800 Seiten. Etwa 200 davon umfasst der ausführliche Anhang, in dem 80 Seiten auf die ansprechend gedruckten Abbildungen und ganze 100 Seiten auf das Quellen- und Literaturverzeichnis entfallen! Kein Zweifel, das ist ein belesenes Buch, das seinem universalen Anspruch, einer Analyse der Erdteile in »der« Weltordnung »des« lateinisch-christlichen Mittelalters auch in der Form entspricht. Diese Weltordnung, das Denken in Erdteilen, gehört auch in der Gegenwart zum historischen und politischen Imaginarium Europas dazu. Die vermeintlich natürliche Gegebenheit der Kontinente, die uns selten fragen lässt, ob es überhaupt sinnvoll ist, über »Asien« zu schreiben, die »Geschichte Afrikas« zu studieren oder »europäische Werte« zu pflegen, wird hier adressiert und der Historisierung zugeführt. Mauntels Buch ist daher nicht nur für Mediävisten relevant, sondern auch für gegenwartsbezogene Wissenschaften.
Im Aufbau geht er mit großen Schritten zu Werke. Mauntel hat seine Untersuchung in zehn Kapitel unterteilt. Er beginnt mit der Darlegung der Methode: Er versteht seinen Ansatz als Wissensgeschichte, wenngleich in anderen Teilen (im Fazit) auch von Ideen- oder Konzeptgeschichte die Rede ist. Es folgt die Analyse der antiken Wurzeln der geographischen Diskurse über Weltordnung und Erdteile. Im Ergebnis erkennt Mauntel ein antikes Modell der drei Erdteile, das sich früh stabilisiert, wenn auch noch nicht unumstritten ist, und das neben anderen, wie dem Modell der Klimazonen existiert. Dem schließt sich die Neuordnung unter christlichen Vorzeichen an, in dem das Weltbild geostet wird, Jerusalem ins Zentrum rückt und Asien den ersten Rang erhält. In dieser Form ist das neue Modell bereits bei Hieronymus, Augustinus und Orosius greifbar. Verknüpft mit biblischen Assoziationen wie insbesondere den drei Söhnen Noahs sei dieses Modell schon im frühen Christentum in die Exegese integrierbar geworden, ohne selbst einen religiösen Gehalt zu gewinnen. Das nächste Kapitel untersucht die Wissensbestände über Grenzen, Zahl, Bezeichnung etc. der Erdteile in der Breite und Dauer und konstatiert eine erstaunliche diachrone Stabilität des Modells, die aber die Diskussion und Integration neuer geographischer Wissensbestände nicht behindert habe. Untersucht werden hier zahlreiche Enzyklopädien, philosophische und naturphilosophische Traktate des Früh- und Hochmittelalters, Geschichtsschreibung, gelehrte Briefe und Kartenwerke bzw. die Geographie. Zusammenfassende Beobachtungen werden stets im Detail in den Fußnoten dokumentiert.
Darauf folgt ein ausführlicher Abschnitt über das TO-Diagramm, das die »meistgenutzte« graphische Form des Mittelalters sei. Mauntel vermutet seine Entstehung im Umfeld Isidors von Sevilla und verfolgt die Rezeptionswege in neue Genres, geographische Regionen und Verwendungen. Er betont die große Vielfalt des Diagramms im Detail, die er an zahlreichen Bildquellen wieder aus den schon genannten Quellengruppen, aber auch aus Abschriften antiker und spätantiker Werke, aus Bibelhandschriften und exegetischen Werken gewinnt. In seiner immer wieder spezifischen Anpassung sieht er den Schlüssel seiner Omnipräsenz.
Anschließend unternimmt Mauntel eine diachrone Profilierung, eine Geschichte historischer und kultureller Konstruktion der Erdteile, in der die Christianisierung Europas, die Zeit der Kreuzzüge, die Expansion des Islam, die Expansion der Mongolen sowie schließlich der Fall Konstantinopels besonders herausgehobene Zeitschnitte markieren. Die Erdteile helfen, neue Erfahrungen, Herrschaftsräume und neue geographische und kulturelle Horizonte zu ordnen; das Wissen verändert sich, der »Wissenscontainer« bleibt stabil und anscheinend natürlich und ohne eindeutige ideologische Definition. Gleichwohl gibt es eine historische Tendenz: Europa wird von einem als einheitlich gedachten »Memorial- und Resonanzraum« des Frühmittelalters durch die Kreuzzugszeit zu »unserem Europa«. Viten von Herrschern und Heiligen gesellen sich hier als Quellengruppe dazu. In der Epoche der Kreuzzüge beobachtet Mauntel den dann im restlichen Werk weiter untersuchten »global turn«, insbesondere in der Historiographie; globale Konzeptionen werden durch die Expansion der Mongolen oder der Osmanen weiter angefeuert. Schließlich sei Europa pessimistisch im 15. Jahrhundert als Insel gedacht worden, auf der allein der christliche Glaube noch gehalten werde.
Ein kürzeres Kapitel präsentiert eine weitere systematische Darstellung über die Erdteile als »Assoziationsräume«, wobei Mauntel die »Assoziationen« vom »Wissen« durch ihre Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit unterscheiden möchte. Das Kapitel lässt sich als Gegenprobe lesen und als Versuch, unterschiedliche Blickwinkel auf fremde Welten zu öffnen. Aber hier will es mir schwerer fallen als in anderen Teilen des Buches, diese Assoziationen der gelehrten Schriften als »mittelalterlich« im Allgemeinen zu akzeptieren. Die Einschränkung, nicht in die Detailforschung zum Wissen über konkrete Regionen eingreifen zu wollen, ist legitim. Doch die Spannung zwischen den konkreten Kenntnissen, etwa italienischer Händler über Ifriqiya und Ägypten einerseits und den gelehrten Schriften andererseits, ist hoch und führt bei der Untersuchung der letzteren an dieser Stelle doch eher zu erwartbaren Topoi. Dennoch gelingt es, Vielfalt von Haltungen selbst auf dieser Ebene darzustellen. Mauntel kann die These erhärten, dass der Blick der Europäer noch nicht durch Überlegenheitsgestus geprägt ist, sondern eher durch ein Bewusstsein der Unterlegenheit, vor allem gegenüber Asien. Erst zum Ende des Mittelalters kam es zu einer allmählichen Verschiebung, zu einer »Emanzipation« Europas am Vorabend der europäischen Hegemonie. Ein Epilog blickt noch nach Amerika. Analytische Querschnitte am Anfang des 16. Jahrhunderts und um 1530 zeigen die Suchbewegungen in der Kartographie und der Geographie, sich einen Reim auf die neue Lage zu machen, und weisen gleichzeitig auf die Kontinuität des Erdteileschemas hin, das eher ergänzt als grundsätzlich fragwürdig wird.
Mauntels Fazit ist auch ein Plädoyer für seine Methode, eine Geschichte der Epoche über ein Modell zu schreiben, das den Zeitgenossen selbst in seiner Konstruiertheit nicht transparent war. Als globales Konzept erlaubte es seit der Zeit der Kreuzzüge, unterschiedliche Wissensbestände in einem christlichen Weltbild zu ordnen, zu erweitern und zu aktualisieren. Die Konzeption der Erdteile sei zugleich trotz gemeinsamer Wurzeln in der Antike typisch für das lateinisch-christliche Europa; die griechische oder arabische Wissenswelt sei andere Wege gegangen. Seit den Kreuzzügen – der für Mauntel entscheidende Wendepunkt – habe das Modell zunehmend seine identitätsstiftende Funktion erhalten. Über die unterschiedlichsten gelehrten Schriften verbreitet, so Mauntel, muss man es als geographisches Grundwissen ansehen. Es sei von dem Kreis formal Gebildeter aus Schule, Kloster oder Universität ausstrahlend verfügbar, allgemein verständlich und bekannt gewesen. Seine Grenzen sieht er in den konkreten Gebrauchskontexten von Spezialisten auf Reisen, wie etwa den Kaufleuten.
Mauntels Buch beeindruckt durch die Breite der Text- und Bildquellen und durch die Klarheit der Argumentation. Leider erfährt man nichts über die heuristischen Kriterien und Methoden, die die Erstellung dieses Korpus geleitet und ermöglicht haben, das nicht zuletzt eine Fundgrube auch für künftige Forschung bietet. Es hat übrigens geographische Grenzen. Die östliche Grenze bilden grosso modo die deutschen Lande. Die lateinische Welt in Prag, Budapest und Warschau oder an der Adria ist hier nicht repräsentiert. Auch Skandinavien kommt nicht vor. Schriften aus Spanien, Frankreich, England, den deutschen Landen und Italien stehen im Zentrum. Aber das ist eher eine Beobachtung als eine Kritik.
Eine lebhafte Rezeption ist dem Buch zu wünschen, und die sprachliche Form ist mehr als geeignet dafür, eine solche zu ermöglichen. Es ist interessant zu bemerken, dass es aus Mauntels Perspektive trotz der Debatten der letzten Jahrzehnte gar nicht in Frage zu stehen scheint, dass es analytisch vernünftig sei, von »Mittelalter« oder »mittelalterlich« in einer »lateinisch-christlichen« Prägung zu sprechen. Dieses »Mittelalter« ist bei Mauntel zudem gegen die jüngere Ausdehnung der Spätantike auf das erste Millennium ein »langes Mittelalter«. Es ist spezifisch und unterscheidet sich von der griechischen und arabischen Wissenswelt, aber es ist weder Ursache der europäischen Hegemonie noch die Wurzel rassistischer und kolonialistischer Diskurse. Das Buch stellt das neue Bild vom lateinisch geprägten Mittelalter, das sich im 21. Jahrhundert von nationalen und teleologischen Narrativen kritisch emanzipierte, in konziser Weise vor Augen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Dorothea Weltecke, Rezension von/compte rendu de: Christoph Mauntel, Die Erdteile in der Weltordnung des Mittelalters. Asien – Europa – Afrika, Stuttgart (Hiersemann) 2023, 792 S. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 71), ISBN 978-3-7772-2311-7, EUR 196,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108147