Am Centre luxembourgeois de documentation et d’études médievales (CLUDEM) haben Themen der Nachhaltigkeit Tradition. Das zeigt ein Blick in die umfangreiche Publikationsreihe. Band 25 (2011) versammelt Beiträge zum Mer du Nord à la Méditerranée, Band 36 (2011) spricht mit den Leprosorien im rheinischen Raum Fragen sozialer Nachhaltigkeit an, Band 43 (2016) behandelt La forêt en Lotharingie médiévale, und Band 53 (2023) stellt nun aktuelle Forschungen zur Frage nach dem Umgang mit den natürlichen Ressourcen im mittelalterlichen Lotharingien vor.

In zwölf Beiträgen werden Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Diskussion gestellt. Jean-Pierre Devroey rekonstruiert die vielfältigen und flexiblen Reaktionen der Herrscher auf die sechs großen ökologischen Krisen im Zeitalter Karls des Großen (740–820), insbesondere normative Maßnahmen wie die verpflichtende Erhebung des Kirchenzehnten, Standardisierung der Maße oder harte Strafen für Spekulationen auf Krisengewinne. Parallel wurde der Rückgang landwirtschaftlicher Produktivität durch die Erweiterung der Anbauflächen kompensiert. Auch kann die flächendeckende Einführung des Erntezehnten als Maßnahme zur Absicherung der Lebensgrundlage der Armen begriffen werden. Schließlich diente auch der verstärkte Anbau von Mischkulturen zur Abfederung der Folgen sortenspezifischer Ernteausfälle. Dietrich Lohrmann stellt die 2022 im Shaker Verlag erschienene Anthologie von Text- und Bildquellen zu den einschlägigen Energieressourcen Westeuropas in Konzentration auf den lotharingischen Raum vor, konkret die Urkundenbestände im Staatsarchiv Lüttich zum Abbau von Steinkohle – für kein anderes Revier in Europa gibt es eine so reiche Überlieferung (33), und Quellen zu den Wasser- und Windmühlen etwa an der Maas oder in Ypern. Weitere Bestände gibt es zu Verkehr und Transport sowie zu den Wärmequellen, zur Suche nach ergänzenden Energieressourcen und der Entwicklung des Wärmebegriffs im Mittelalter, bis hin zu innovativen Experimenten mit Brennspiegeln zur Gewinnung von Solarenergie, die Pierre de Maricourt nach Aussagen von Roger Bacon durchgeführt hat. Die vom Papst erhoffte finanzielle Unterstützung dieser damals bahnbrechenden, aber sehr teuren Projekte blieb leider aus (48). Frédéric Ferber konzentriert sich auf Flüsse als Ressourcen im urbanen Kontext am Beispiel der Stadt Metz, wo die lothringische Seille in die Mosel fließt. Der Beitrag konkretisiert anschaulich die essentielle Bedeutung der Flüsse für die Stadt: von Trinkwasser über Badehäuser, als Energiequelle für Papier- und Getreidemühlen, bis zur landwirtschaftlichen Nutzung der fruchtbaren Schwemmgebiete als Gärten oder Weideland, die Bedeutung der Sand- und Kiesbetten als Baumaterial, und schließlich die Fischbestände als Nahrungsquelle. Franz Irsigler legt eine Studie zur Fischerei insbesondere am Rhein vor, seit der Antike bis ins Jahr 1817, dem Beginn der »Rektifikation«, die nicht nur den systematischen Niedergang der Fischbestände, sondern auch die Verschmutzung des Flusses einläutet. Letztere erreichte um 1970 ihren Tiefpunkt, das Jahr in dem der Rhein zur »Kloake der Nation« geworden war. Insbesondere die Lachsfischerei (Salmfang) verdient Aufmerksamkeit, sodann die Fischwehre (Venna), und der Beitrag schließt mit einer amüsanten Quelle aus der Himmeroder Bibliothek, das Trierer Fischblatt, ein Fischkalender mit Fischgleichnissen aus dem Jahr 1493 (Einblattdruck, Straßburg, Johann Grüninger, mit Verweis auf die linguistische Analyse der Altgermanistin Martina [statt Maria] Backes 2020), in dem die einzelnen Fischsorten, der Stichling ein König, der Salm ein Herr, der Karpfen ein Schelm, das Rotauge eine Katzer etc. erwähnt werden. Im Namen der grätenreichen Nase (auch Näsling), die vielleicht wegen der Kritzeleien, die sie als Fressspuren an den Steinen hinterlässt, als Schreiber charakterisiert wird, dankt Irsigler der Leserschaft für ihre Geduld (107). Bert Groenewoudt, Koen Deforce, Michel Groothedde und Huub Scholte Lubberink rekonstruieren den strategischen Einsatz der Köhlerei als initiale Maßnahme der Rodung zum Zwecke künftiger landwirtschaftlicher Nutzung. Anhand der archäologisch gut fassbaren Verteilung frühmittelalterlicher Kohlemeiler im Norden des fränkischen Reichs auf dem Gebiet der heutigen östlichen Niederlande, um die Orte Anloo, Zutphen, Borne, Zelhem, wird dieser Prozess konkret fassbar. Jean-Marie Yante rekonstruiert die lotharingischen Straßen- und Transportwege, dokumentiert die Entwicklung von der Antike bis ins Mittelalter, die lotharingische Salzstraße (via salinaria) von den Salzwerken in den Vogesen (Donon, Saales, Le Bonhomme, Bussang) bis nach Verdun, Naix oder Langres in sorgfältig ausgearbeiteten Karten. Abgebildet ist auch eine bemerkenswert genaue Darstellung eines Karrens aus dem Veil Rentier d’Audenard um 1275 (153). Jean-Pierre Devroey und Nicolas Schroeder widmen sich der Abtei Gorze und den Besitzungen in Pfeddersheim, Eisenberg und Flomersheim nahe Worms. Das Problem der Echtheit der Schenkungsurkunde tritt hinter die Frage der Effizienz rheinischer Besitzungen als Stützpunkte, Produktions- und Handelsstätten für die klösterliche Wirtschaft zurück. Nicolas Meiers lenkt den Blick auf das Pferd als natürliche Ressource, auf die Funktionen der Pferde im städtischen Verkehr, sowie auf die Berufsgruppe der »equinen Dienstleister« (vom Pferdehändler über den Hufschmied bis zum Schinder). Sein Beitrag liefert weiterhin kenntnisreiche Ausführungen zum Pferd als Rohstofflieferant, und zu den Recyclingprozessen bei der Endverwertung: Haare für Polsterungen von Matratzen, Kissen, Möbel, Sättel, Spielbälle, Langhaar für Pinsel, Bürsten, Besen, oder auch für Saiten von Streichinstrumenten, von Bögen und Armbrüsten. Schließlich die Sehnen, die für tieftonige Zupf- und Streichinstrumente, zur Verstärkung von Holzkonstruktionen beim Bau, und beim Vernähen von Rohleder Verwendung fanden. Eine wahrlich beeindruckende Ressourceneffizienz! Lukas Clemens widmet sich dem Weinbau als Indikator klimatischer Veränderungen an Rhein und Mosel. Ausgehend von dem Ausbau des Weinbaus seit Beginn des 11. bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts in den Mosellanden fragt er nach den Folgen der klimatischen Veränderungen während der sogenannten »kleinen Eiszeit«, die mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts einsetzte. Welche Auswirkungen hatte der Klimawandel auf den Weinbau? Dazu zählt neben Pachtreduzierung propter infertilitatem annorum (219) auch der Rückgang der Anbaufläche im Spätmittelalter: Ende des 15. Jahrhunderts wurden ein Drittel der Weinberge des Klosters Eberbach als mangelhaft oder »totaliter wüst« klassifiziert. Sowohl am Mittelrhein als auch an der Mosel wurden häufig Obst- und Nussbäume in die Rebareale gepflanzt. Und auch der Siegeszug des Hopfens verdankt sich dem spätmittelalterlichen Klimawandel, ebenso der Aufstieg des Rieslings, eine vergleichsweise frostresistente Rebsorte, die 1453 erstmals in einer Kellereirechnung der Grafschaft Katzenelnbogen für Rüsselsheim am Main schriftlich Erwähnung findet. Laurent Litzenburger legt eine fundierte Detailstudie zu den sechs »deniers des moulins« in Metz vor. Es handelt sich um ein Steuerregister, das die Produktivität der Getreidemühlen der Stadt in den Jahren 1430 bis 1538 dokumentiert: ein hochgradig standardisiertes Finanzinstrument, an Genauigkeit kaum zu übertreffen, hervorragend geeignet für eine systematische Auswertung als serielle Quelle, die Informationen liefert über die Versorgung der Stadt, über Produktion und Konsum, Reaktionen und Anpassungen an klimatische Veränderungen sowie demographische Entwicklungen. Eine außergewöhnliche Quelle, die sicherlich weitere Forschungen evozieren wird. Hanna Schäfer konzentriert sich auf die Belagerung der Stadt Metz im Zuge der Fehden mit Herzog René II. in den Jahren 1489‑1493. Die Konflikte eigenen sich hervorragend als Fallstudie zu Praktiken der Ressourcenbeschränkung und kommunaler Versorgungspolitik in Krisensituationen, in denen Menschenraub und Verschleppung, Raub, Brandschatzung und Zerstörung der Ernten den Alltag prägten. Die Auswertung der Quellen, insbesondere der Aufzeichnungen von Jean Aubrion, macht deutlich wie zentral die Aufrechterhaltung der Versorgung mit den Verbrauchsgütern Getreide, Wein, Salz und Holz für die Anerkennung der Legitimität des Magistrats war. Im abschließenden Beitrag von Éric Delaissé und Jean-Marie Yante, der diesen informativen und hochaktuellen Sammelband abrundet, erfährt man, wie der zisterziensische Umgang mit den natürlichen Ressourcen die lotharingischen Landschaften geprägt hat. Der Beitrag rekonstruiert sorgfältig, wie die Zisterzienserabteien Argenton, Boneffe, Grandpré und Jardinet, Marche-les-Dames sowie Aulne und ihre Töchter durch Bewässerungssysteme, Land- und Waldwirtschaft, Kohlebergbau, Handel und damit verbunden Stadtgründungsaktivitäten (Ville neuve de Gérouville) ganz konkret die lotharingische Landschaft geformt und bis heute geprägt haben.

Die Stärke des Bandes liegt in der anschaulichen, durch Abbildungen, Graphiken und Kartenmaterial ergänzten Präsentation aktueller Forschungsergebnisse, die allesamt geeignet sind, gegenwärtige Diskussionen aus historischer Perspektive zu bereichern. Die Befunde sprechen eine klare Sprache: Menschen können mehr als nur rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Annette Kehnel, Rezension von/compte rendu de: Michel Pauly, Hérold Pettiau, Martin Uhrmacher (dir.), Les ressources naturelles en Lotharingie médiévale. Regards croisés sur leur exploitation/Die natürlichen Ressourcen im mittelalterlichen Lotharingien. Ihre Nutzung im Spiegel unterschiedlicher Forschungsansätze, Luxembourg (CLUDEM) 2023, 310 p., ISBN 978-2-919979-41-7, EUR 40,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108150