Der vorliegende Band basiert auf der im März 2018 vom Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte veranstalteten Tagung zu »Stellvertretung im Mittelalter. Konzepte, Personen und Zeichen im interkulturellen Vergleich« und zielt darauf, das im Mittelalter grundlegende Konzept der Stellvertretung aus einer historischen und gleichzeitig transkulturellen Perspektive zu untersuchen. Die Dichotomie, die dem Konzept der mittelalterlichen Repräsentation innewohnt – d. h. die Koexistenz des Charakters eines Regierungsinstruments (politisch, wirtschaftlich, kirchlich) und gleichzeitig die starke Konnotation eines symbolischen Charakters (Stellvertretung Gottes) –, ist der Ausgangspunkt der Beiträge des Bandes. Jedoch wird die Stellvertretung hier bewusst nur auf der symbolischen Ebene untersucht; dieser Aspekt tritt in den Beiträgen deutlich hervor und manifestiert sich als den Lesenden leitender (und sehr natürlicher) roter Faden, der sich durch die verschiedenen im Band vorgestellten Kontexte zieht.
In ihrer thematischen und theoretischen Einleitung geht Claudia Zey der Frage nach einer möglichen Definition von Stellvertretung im Mittelalter sowie den darauffolgenden konzeptionellen Überlegungen nach und stellt somit Ziele und Leitfragen des Bandes zusammengefasst dar. Die Leitlinien der gesamten Arbeit werden (20–21) entwickelt: Die Stellvertretung soll vornehmlich in einem geistlichen und religiösen Bereich (Stellvertretung Gottes/Stellvertretung des Papstes als Paradigma) in dem Zeitraum des lateinischen Hochmittelalters untersucht werden, damit eine gemeinsame Basis gebildet wird. In zweiter Linie wird der zu untersuchende geographische und kulturelle Raum ausgebreitet, in dem die interkulturellen Vergleiche zwischen dem westlichen Christentum und anderen Kulturen und Religionen beleuchtet werden; zuletzt werden auch zeichenhafte Formen der Stellvertretung untersucht und dargestellt.
Der Frage nach der Stellvertretung im geistlichen und religiösen Bereich wird komparativ in drei unterschiedlichen historischen, politischen und geographischen Kontexten nachgegangen, die auch der internen Aufteilung des Bandes entsprechen, wobei der Vergleichspunkt immer die lateinische Kirche bzw. das lateinische Hochmittelalter bleibt. Das entspricht auch der Anzahl an Beiträgen, die sich mit diesem Zusammenhang auseinandersetzen.
Die ersten sieben Aufsätze beschäftigen sich mit der lateinisch-christlichen Gesellschaft: Franz-Reiner Erkens diskutiert die lange Gegenüberstellung von Kaiser und Papst unter der Perspektive der Stellvertretung Christi in der Welt, die das lateinische Hoch- und Spätmittelalter deutlich geprägt hat. Nur auf die kirchliche Ebene konzentriert sich der Beitrag von Jörg Bölling, der auf den Wert der symbolischen Akte zur Repräsentativität des Papstes fokussiert. Einen lexikalen Ausgangspunkt wählt Hans-Werner Goetz in seinem Aufsatz, in dem die Begriffe vice und vicarius in unterschiedlichen Kontexten der früh- und hochmittelalterlichen Gesellschaft tiefgehend untersucht werden. Die theologische und normative Basis der Symbolik der Ritterorden wird von Jochen Burgtorf vorgestellt: Aus seinem Beitrag geht deutlich hervor, welche Rolle Zeichen und Symbole im Rahmen eines geistlichen Ordens spielten. Diese erste lange und ausführliche Sektion des Bandes wird von Enno Bünz beschlossen, der sich in seinem Artikel mit der Repräsentanz von nicht residierenden Pfarrern im Spätmittelalter beschäftigt.
Die zwei weiteren Sektionen bilden den tatsächlichen Beitrag zum interreligiösen und komparativen Ansatz des Bandes. Immer noch auf christlicher Ebene, jedoch nicht auf die lateinische Kirche beschränkt, sind die Beiträge von Michael Grünbart und Dorothea Weltecke. Die Untersuchung des Phänomens der Stellvertretung in der griechischen Kirche, vor allem in den Beziehungen zwischen byzantinischen Patriarchen und dem Kaiserreich in Konstantinopel, wird von Grünbart vorangetrieben, während Weltecke in ihrer Studie einen wichtigen neuen Beitrag zu den Formen der symbolischen Repräsentation Gottes in den christlichen Kirchen unter den islamischen Herrschaftsgebieten bietet.
Der letzte Abschnitt des Bandes besteht aus drei Beiträgen, die sich mit unterschiedlichen Ausprägungen des religiösen Phänomens in den Gebieten im Osten beschäftigen. Die religiöse und gleichzeitig politische Rolle von Kalifen und ihren Stellvertretern im Islam (sowohl im sunnitischen als auch schiitischen Islam) wird von Wolfram Drews thematisiert. Thomas Ertl analysiert die Grundlagen der Stellvertretung im Mongolenreich sowie ihre Formen und Legitimationsstrategien; die Figur von den tennō, den japanischen mittelalterlichen Herrschern, die als Vertreter Gottes angesehen werden, wird im Beitrag von Daniel Schley abschließend behandelt.
Die aus dem vorgeschlagenen Konzept zur Stellvertretung resultierenden Herausforderungen werden in den abschließenden Bemerkungen von Karl Ubl tiefgehend auch unter einem unabdingbaren soziologischen Ansatz dargestellt (453–457). Er integriert in seine Überlegungen auch einige Anmerkungen aus der Tagungsdiskussion. Darauf aufbauend werden zuletzt weitere neue Perspektiven eröffnet, was noch einmal die Vielschichtigkeit und den Ertrag der Thematik und der Herangehensweise des Bandes unterstreicht und den Weg für (hoffentlich baldige) weitere Studien und Forschungen bereitet.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Caterina Cappuccio, Rezension von/compte rendu de: Claudia Zey (Hg.), Stellvertretung im Mittelalter. Konzepte, Personen und Zeichen im interkulturellen Vergleich, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2023, 484 (Vorträge und Forschungen, 88), ISBN 978-3-7995-6888-3, EUR 64,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108164