Die neueste Publikation der französischen Handbuchreihe »L’Atelier du médiéviste« widmet sich dem mittelalterlichen Katalanisch und erweitert damit das Portfolio der Bände, die grundlegendes Wissen zu mittelalterlichen Sprachen übersichtlich darstellen. Aus der Perspektive der Ibero-Mediävistik ist dies besonders erfreulich, da der 2013 erschienene Band Langues ibériques médiévales nur das Kastilische und Portugiesische behandelte.
Der Band beginnt mit einer Einleitung, die das Katalanische in seiner historischen Existenz verortet, begriffliche Ursprünge sowie die Einordnung in die romanischen Sprachen erklärt und außerdem das Anliegen des Buches darstellt, zugleich ein Lehr- und Handbuch für das mittelalterliche Katalanisch zu sein, das sich nicht vorrangig an Philologinnen und Philologen richtet, sondern an Personen, die sich mit katalanischsprachigen Quellen konfrontiert sehen und die Sprache lernen, um zur Erforschung dieser Überlieferung beitragen zu können. Dem folgt dann auch der Aufbau der beiden ungleich umfangreichen Hauptteile. Der erste Hauptteil (ca. 80 Seiten) führt in die Entstehung des Katalanischen in den jeweiligen historischen Kontexten ein, von den ersten Textzeugen im 9. Jahrhundert (inklusive einer Diskussion der Schwierigkeiten der sprachlichen Abgrenzung vom Lateinischen) über die Konsolidierung und Etablierung als »langue officielle« – für letztere waren vor allem das 13. und 14. Jahrhundert entscheidend, Autoren wie Ramon Llull und Arnau de Vilanova sowie insbesondere die sich weiter durchsetzende Verwendung als »langue royale« im Rahmen der Kanzlei, aber auch im Rahmen von Verwaltungsdokumenten wie der Hofordnung Peters des Zeremoniösen. Auch im Bereich der Literatur, der Philosophie und der »wissenschaftlichen« Texte fanden Entwicklungen statt, die zur Etablierung eines sprachlichen Modells des Katalanischen beitrugen, das zum Ausdruck komplexer Themen geeignet war und eine weitestgehende Einheitlichkeit aufwies. Den Abschluss des ersten Hauptteils bildet ein knapp gehaltenes Kapitel mit »Notes linguistiques«, das auf zwölf Seiten die wichtigsten Charakteristika der Sprache darstellt.
Den Kern des Bandes bildet der über 500 Seiten starke zweite Hauptteil, der dem Anliegen, ein Handbuch und Arbeitswerkzeug für Historikerinnen und Historiker zu sein, durchweg gerecht wird. In acht Unterkapiteln erläutern verschiedene Expertinnen und Experten die sprachlichen und inhaltlichen Besonderheiten verschiedener Textgattungen, die im Verlauf des Mittelalters teils oder ganz auf Katalanisch verfasst wurden. Dazu gehören z. B. Texte religiösen Charakters, Urkunden aus städtischen und ländlichen Räumen, Briefe oder literarische Texte sowie Texte königlicher Provenienz. Die Erklärung erfolgt dabei immer an repräsentativ ausgewählten Quellenauszügen, die jeweils in der Originalfassung sowie einer französischen Übersetzung abgedruckt werden. Die für die jeweiligen Abschnitte verantwortlichen Personen wählten dabei durchaus unterschiedliche Herangehensweisen, wie an zwei Beispielen kurz dargestellt werden soll. Das von Stéphane Péquignot verantwortete Kapitel zu den »écrits du pouvoir royal« beginnt mit einer Einführung in das Archiv- und Dokumentenwesen der Krone Aragon, dem vor allem ab dem Ende des 13. Jahrhunderts eine »pluralité linguistique« attestiert wird. Die im Umfeld der Könige von Aragon entstandenen Dokumente haben sich durch einen sprachlichen Pragmatismus ausgezeichnet, der es schwierig macht, im Sinne des Handbuchs im Einzelfall den Grund für die Verwendung des Katalanischen herauszuarbeiten. Die sich anschließenden 13 bisher größtenteils noch nicht edierten Dokumente werden durch einen Kommentar und eine knappe Bibliographie ergänzt, wofür neben Péquignot noch einige andere Autorinnen und Autoren verantwortlich zeichnen. Die Auswahl soll zum einen Eindruck der typologischen Breite der Dokumente vermitteln und vereint so Instruktionen, Briefe von König und Königin, Gesandtschaftsschreiben, Ordonnanzen, im Kontext der Corts entstandene Texte und einige andere. Zum anderen soll sie einen weiten chronologischen Rahmen abdecken, der von der Etablierung des Katalanischen am Hof im späten 13. Jahrhundert bis zu dessen langsamen Rückzug im Zuge der Integration des spanischen Königreiches an der Wende zum 16. Jahrhundert reicht. Die Kommentare bieten vor allem eine Einordnung in die jeweiligen historischen Kontexte und könnten als inhaltliche Hinführung zum Thema und zur Quellengattung, jedoch weniger zur Sprache, dienen. Dies ist dann doch erstaunlich für ein Handbuch zum mittelalterlichen Katalanisch, in dem man sich einige Anmerkungen zu den sprachlichen Eigenheiten der Texte bzw. Textgattungen gewünscht hätte.
Solche findet man im zweiten hier dargestellten Beispiel: dem Kapitel zu den katalanischen Chroniken, das von Robert Vinas verantwortet wurde. Der Abschnitt beginnt mit einer Einführung in die katalanische Historiographie, an die sich ausführliche Beobachtungen zur Sprache der Chroniken – z. B. zu morphologischen und syntaktischen Aspekten – anschließen. Erst dann folgen die wiederum nach thematischen Gesichtspunkten ausgewählten Auszüge aus den quatre grans cròniques, den vier bekanntesten katalanischen Chroniken. Insgesamt ist es durchaus nachvollziehbar, dass die unterschiedlichen Abschnitte – den Erfordernissen der jeweiligen Quellengattung folgend – unterschiedliche Schwerpunkte in Inhalt und Struktur setzen, werden doch die meisten Leserinnen und Leser vor allem das für sie relevante Kapitel rezipieren. Sein Ziel hat das Handbuch voll und ganz erreicht. Wer sich in der eigenen Forschung mit katalanischsprachiger Überlieferung konfrontiert sieht, findet hier den idealen Einstieg, der die sich anschließende Arbeit enorm erleichtern wird. Es ist sehr zu begrüßen, dass für eine der quellenreichsten europäischen Vernakularsprachen des Hoch- und Spätmittelalters nun ein Handbuch vorliegt, das Grundlagencharakter weit über den frankophonen Wissenschaftsraum hinaus hat.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Robert Friedrich, Rezension von/compte rendu de: Michel Zimmermann (dir.), Le catalan médiéval, Turnhout (Brepols) 2023, 705 p., 3 ill. en n/b, 6 ill. en coul. (L’Atelier du médiéviste, 15), ISBN 978-2-503-59352-4, EUR 70,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108165