Außerhalb Irlands und abseits keltologischer Interessen ist der Heilige Brendan of Clonfert (im deutschen Sprachraum: Brandan) heutzutage vor allem durch seine Seefahrt zur terra repromissionis sanctorum bekannt, die noch vor dem 10. Jahrhundert zuerst auf Latein (Navigatio sancti Brendani abbatis), später zudem in vielen anderen europäischen Volkssprachen überliefert ist. Der daher unter anderem als Brendan the Navigator bekannte irische Abt (ca. 486–575) erfreute sich im gesamten Mittelalter großer Beliebtheit, wenngleich seine abenteuerlichen Episoden auf dem Meer nicht von allen kirchlichen Autoritäten anerkannt worden sind. Zusätzlich existiert eine überschaubare Vita-Tradition zu diesem Heiligen, wobei in fast allen Fassungen und Versionen die Navigatio stets inkorporiert erscheint.
Während sich die lateinische Navigatio inzwischen vielfach in moderne europäische Sprachen übersetzt findet, was wiederum weitere Forschungsarbeiten anstößt, ist die Lage zu den Vitae Brendani eine gänzlich andere. Zwar sind die irischen Vitae (Bethada Brénainn) zum Teil mehrfach und auch vollständig sowie in philologisch guter Qualität übersetzt worden, nicht so aber die lateinischen (Vita Salmanticensis 1 und 2, Vita Oxoniensis, Vita Dubliniensis, Vita Anglie).1 Diese Lücke schließt nun, zumindest für die Vita Oxoniensis, welche bisher nur ins Französische übertragen wurde, Gordon Barthos mit seinem englischen Übersetzungstext (33–86). Die Entscheidung für diese Vita-Fassung und die Handschrift Oxford, Bodleian Library, MS Rawlinson B 485 als Basis der Übersetzung fällt Barthos absolut nachvollziehbar, unter anderem aufgrund des größeren Umfangs und Episodenreichtums gegenüber den anderen Fassungen (vgl. 9–10). Als Arbeitsgrundlage dient Barthos in erster Linie der kritische Editionstext von Charles Plummer,2 den er mit einer photographischen Reproduktion der Handschrift abgleicht. Den von Plummer später veröffentlichten corrigenda fügt Barthos noch einige wenige hinzu (32).
Zwar hält sich Barthos getreu an das Latein der Vorlage, sieht aber von einer buchstäblichen Übersetzung ab und möchte stattdessen »a contemporary, readable interpretation of the originals« (31) bieten, die von erklärenden Hinweisen in Form von Fußnoten begleitet wird. Lesbar ist die Übersetzung allemal, aber viele aufgelistete Auslassungen und Änderungen gegenüber dem lateinischen Original (ibid.), die im Fließtext unmarkiert bleiben, erweisen sich als Manko. Denn um eine im strengeren Sinne philologisch korrekte Übersetzung handelt es sich damit nicht mehr. Da sich Barthos jedoch nach der Kapiteleinteilung von Plummer richtet, ist eine Synopse leicht herzustellen, indem Plummers lateinischer Text neben die Übersetzung von Barthos gelegt wird. Eine hilfreiche Orientierung bilden die im Vergleich zu Plummer hinzugesetzten Überschriften für die größeren Erzählabschnitte und Kapitel sowie zusätzliche Erklärungen oder Vereindeutigungen in eckigen Klammern im Fließtext (zu irischen Namen, Orten, Bibelstellen, Liturgie, Seefahrt, Gewichten und Maßen). Besonders verdienstvoll sind die vielen Anmerkungen in Form von Fußnoten, die auch zentrale Unterschiede zu verwandten Handschriften oder anderen Fassungen beinhalten.
Ob die Oratio Sancti Brendani, die Barthos ebenfalls aus dem Lateinischen ins Englische übersetzt (87–101), zu den »chief surviving memorials to Brendan in Latin« (4) zu rechnen ist, mag man anzweifeln. Eine gute Ergänzung zur Vita und der darin inkorporierten Navigatio ist sie allemal und kann einen guten Einblick in die Vielfalt der überlieferten Zeugnisse zu Brendan bieten. Dazu tragen auch die gut recherchierten biographischen Daten bei, die in der Einleitung referiert werden, sowie Anhang 2, der ausführlichere Informationen zu den anderen lateinischen und irischen Vitae Brendans liefert (104–109). Die Einleitung enthält darüber hinaus Ausführungen zur Überlieferungsgeschichte der Vita-Tradition sowie zur Oratio, bietet kurze Beschreibungen der der Übersetzung zugrunde gelegten Handschriften und dokumentiert die bereits existierenden originalsprachlichen Editionen, auf die ergänzend zurückgegriffen wurde. Ob die digitalisierte maßgebliche Oratio-Handschrift München, BSB, Clm 13067 als Korrektiv herangezogen worden ist, wird nicht ersichtlich (corrigenda werden jedenfalls nicht verzeichnet).
Hilfreich sind besonders in Hinblick auf die Vita deren zum Teil bereits kommentierte Inhaltsparaphrase (11–16) oder die im Weiteren erörterte Erzählstruktur (17–20), wobei etwa zu erfahren ist, dass der Vita Oxoniensis die Judas-Episode – so wie sie die Navigatio bietet – fehlt. Sie wird daher im Anhang 1 (102–103), nach der aktuellen Edition von Orlandi und Guglielmetti3 übersetzt, beigegeben. Wichtige Themenfelder der Vita (beispielsweise Wunder und Mirakel) werden des Weiteren benannt und im Kontext ihrer Entstehung und historischen Rezeption eingeordnet (21–26); eine Charakterisierung der Stilistik (26–27) rundet die Ausführungen ab. Einen guten Überblick über alle Stätten, die mit Brendan assoziiert werden, verschafft eine Irland-Karte (xii); ein Handschriftenverzeichnis sowie ein allgemeines Register am Ende des Buches bieten weitere, dankbar zur Kenntnis genommene Orientierungsmöglichkeiten.
Der handliche Band stellt nicht nur aufgrund der Übersetzung, sondern auch und gerade durch die instruktive Einleitung und die vielen Anmerkungen sowie drei Anhänge eine verdienstvolle Arbeit dar, von der in erster Linie an Brendan interessierte Laien und der (fächerübergreifende) akademische Unterricht profitieren dürften. Dass der irische Heilige dabei durchaus blumig und mindestens leicht übertrieben als »one of the most celebrated figures of the medieval era« und »one of the most renowned and colourful Christian figures of the Middle Ages« (1) eingeführt wird, mag man einer übermäßigen Zuneigung des Autors anrechnen und ihm gern nachsehen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sebastian Holtzhauer, Rezension von/compte rendu de: Gordon Barthos (ed.), The Life of St Brendan and His Prayer. Translated with an Introduction and Notes, Turnhout (Brepols) 2024, xii + 134 p., ISBN 978-0-88844-312-0, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108170