Das vorliegende biografische Nachschlagewerk über die Mitglieder der französischen Exekutive von 1848 stellt eine bedeutende Arbeit dar, geleistet von 120 Forschenden unter der Leitung von Éric Anceau und publiziert in einem 1800 Seiten umfassenden Band. Es ist das Ergebnis von fast 25 Jahren Forschung und es beendet somit ein Kapitel prosopographischer Untersuchungen am Centre d’histoire du XIXe siècle der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne und der Sorbonne Université.
Eingeleitet wird das Nachschlagewerk durch Éric Anceau. Nach einer kurzen Kontextualisierung zur Vorgeschichte der Revolution und den Ereignissen des ersten Jahres widmet er sich der Genese und der Methode des gesamten Unterfangens. Im Zusammenhang mit dem Werk Maurice Agulhons, an den der Titel anspielt, wirft er eine Reihe von Fragen auf: Gab es eine »Generation 1848«, und was zeichnete sie aus? Woher kamen die Achtundvierziger in sozialer, beruflicher und politischer Hinsicht? Gab es einen Bruch oder Formen von Kontinuitäten zwischen der neuen Republik und dem vorherigen Regime? Wie kamen die betrachteten Akteure an die Macht? Welche Beziehung bestand zwischen der zentralen Macht und den lokalen Gewalten während der Revolution und den ersten Monaten der Zweiten Republik? Was war das Schicksal der Akteure unter der Präsidentschaft Bonapartes und welche Spuren hinterließen sie?
Um diesen Fragen nachzugehen, nimmt das Buch 1509 Persönlichkeiten von 1848 unter die Lupe, die wichtige politische Ämter nach der Februarrevolution ausübten: Mitglieder der provisorischen Regierung, Minister, Direktoren der öffentlichen Einrichtungen oder der Ministerkabinette, Staatsräte, Mitglieder der konstituierenden Nationalversammlung, Kommissare der provisorischen Regierung bzw. Präfekten, Präsidenten der Conseils généraux, Bürgermeister größerer Städte, Generalprokuratoren, Erzbischöfe und Rektoren. Der Fokus auf institutionelle Akteure führt einerseits zur Auslassung wichtiger Figuren der Zeit wie die Brüder Blanqui, Étienne Cabet und Jules Michelet, die kein Amt innehatten, und vor allem der Achtundvierzigerinnen (bspw. George Sand, Marie d’Agoult oder Désirée Gay), die keine Ämter ausüben durften. Andererseits werden dafür jene Akteure einbezogen, die sich nicht als »Achtundvierziger« verstanden wie Adolphe Thiers oder Louis-Napoléon Bonaparte, die »Anderen« im Titel des Werkes. In einem letzten Abschnitt seiner Einleitung erstellt Anceau statt eines Gesamtporträts aller Akteure des Korpus, was kaum zu schaffen wäre, eine nach Unterkorpora differenzierte Kollektivbiografie der Achtundvierziger und untersucht diese anhand verschiedener Variablen (Alter, Herkunft, Beruf, politische Couleur und öffentlicher Werdegang). Dabei führt er über die einzelnen Einträge hinaus – das ist zu begrüßen – bereits erste Befunde der prosopographischen Untersuchung auf.
Nach der Einleitung folgt eine Sammlung von insgesamt zehn Karikaturen samt einer Einführung durch Laurent Bihl und Agnès Sandras, in der die Bilder vorgestellt, beschrieben und analysiert werden. In diesem sehr kurzen Text berichten Bihl und Sandras über den Zeitschriftenboom jener Zeit, nachdem die Zensur, die seit 1835 die Presse schwer belastet hatte, gelockert worden war. Die Periodika trafen auf ein ebenso eifriges wie neues Lektorat. Diese Sammlung dürfte besonders für Lehrkräfte an den Universitäten und Schulen von Interesse sein, die mit ihren Studierenden oder Schüler/innen anhand von Karikaturen aus dem Jahr 1848 arbeiten wollen.
Anschließend werden die 1509 alphabetisch geordneten biografischen Einträge aufgeführt. Alle folgen dem gleichen dreiteiligen Muster: Familie (familiäre, regionale sowie soziale Herkunft, Generation und Netzwerke), Platz in der Gesellschaft (Ausbildung, Karriere, Einkünfte, Mitgliedschaft in Vereinen, Teilnahme an der Bankettkampagne) und politische Aktivität (politische Gesinnung, gegebenenfalls Wahlverhalten im Parlament, Aktivismus, Ämter, Tätigkeiten vor, während und nach 1848 sowie Nachleben). Die Rekonstruktion der Werdegänge und Biografien stützt sich auf eine breite Quellenbasis: Nachlässe und amtliche Berichte sowie Niederschriften aus den Archiven der Departements und Personalakten aus dem Nationalarchiv, Ernennungslisten aus Le Moniteur universel und Repertoires der Stadtverwaltungen. Zudem werden Archive des Standesamts herangezogen sowie jeweils einschlägige Fachbiografien und ‑lexika wie das Abgeordnetenlexikon von »Robert et Cougny«.
Die im Fließtext verfassten Einträge sind gut lesbar. Dort, wo sie zum Teil Formulierungen aus bestehenden Nachschlagewerken wiederverwenden, sind sie präziser und vertiefen bereits vorhandenes Wissen aus anderen Quellen, sodass sie den Lesenden stets einen Mehrwert bieten. Neben den Einträgen enthält der Band ein reiches Literaturverzeichnis (25 Seiten), sowie einen Abschnitt mit 35 farbigen Illustrationen, der aus Abbildungen des Sitzungsraums der Pariser Nationalversammlung und verschiedenen Szenen der Revolution sowie aus Porträts bekannter Achtundvierziger besteht.
Zweifelsohne stellt dieses Nachschlagewerk einen »Meilenstein der Forschung und des Wissens über 1848« dar, so wie der Herausgeber es sich wünscht. Man kann es nur begrüßen, dass Werke wie das biografische Handbuch von Heinrich Best und Wilhelm Weege zu den Abgeordneten der Paulskirche1 ihr französisches Pendant finden, und zwar mit einem Wörterbuch, das ältere Nachschlagewerke überholt und sich zugleich bisher weniger gut erforschten Gruppen widmet. Nichtsdestotrotz ist eine solche Leistung auf dem Bereich der Grundlagenforschung immer eine undankbare Arbeit und lässt den Lesenden mit unerfüllten Wünschen zurück. So könnte man das Werk um eine Online-Datenbank ergänzen, um die 1509 Einträge leichter abrufen zu können (so bspw. bei Le Maitron und den Projekten der KGParl/GESIS in Deutschland, etwa beim Werk von Best und Weege) und das Filtern nach Variablen und Subkorpora zu ermöglichen. Gravierender ist aber das Fehlen von Tabellen mit einer genauen Zusammenstellung der verschiedenen (vor allem beruflichen) Kategorien. Anstelle der freilich recht interessanten und gelungenen Karten (insgesamt 24, farbig) der Einleitung hätte man von solchen Tabellen weit mehr profitiert. Die Kodierung wird in der Tat nirgends explizit gemacht oder erklärt, sodass jegliche Vergleiche mit anderen Arbeiten unmöglich sind und die Möglichkeiten zur Weiterarbeit mit den Befunden aus der Einleitung stark eingeschränkt sind.
Trotz dieser Mängel ist das hier vorzustellende Werk eine beeindruckende und wertvolle Grundlage, die ganz bestimmt zum klassischen Nachschlagewerk für all jene werden wird, die sich für 1848 und seine Akteure oder die französische Exekutive interessieren. Es besteht kein Zweifel, dass dieses biografische Lexikon die Grundlage für biografische und prosopografische Forschungen zu 1848 bilden wird; künftige Publikationen und Forschungen zum Thema werden es zitieren müssen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Corentin Marion, Rezension von/compte rendu de: Éric Anceau (dir.), Les quarante-huitards et les autres. Dictionnaire des dirigeants de 1848, Paris (Sorbonne Université Presses) 2024, 1800 p. (Mondes contemporains), ISBN 979-10-231-0622-0, EUR 60,00., in: Francia-Recensio 2024/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108199