Die vorliegende Edition ist der zweite Band der noch jungen Reihe »Quellen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches« nach der von Wolfgang Burgdorf besorgten Edition der Wahlkapitulationen. Mit den Diarien des Hannoveraner Gesandten Gerlach Adolph von Münchhausen vom Frankfurter Wahltag 1741/42 gerät damit erneut die Kaiserwahl in den Blick. Freilich erschöpft sich die Bedeutung der vorliegenden Quellen keineswegs in Informationen über den Wahlvorgang, wie die Herausgeber Sébastien Schick und Hannes Ziegler in ihrer Einleitung betonen. Ja, der eigentliche Wahlvorgang steht nicht einmal im Mittelpunkt, war doch die Entscheidung über die Person des künftigen Kaisers eigentlich schon gefallen, als Münchhausen am 2. November 1741 in Frankfurt eintraf. Denn zu diesem Zeitpunkt bestand kaum mehr ein Zweifel, dass die Wahl auf Kurfürst Karl Albrecht von Bayern fallen würde. Es ging in Frankfurt also weniger um die Auswahl der Person, sondern vor allem um die Wahlkapitulation – insofern bildet die vorliegende Edition eine willkommene Ergänzung zum ersten Band der Reihe – sowie die Durchführung von Wahl und Krönung mit den vielen in diesem Zusammenhang zu klärenden Fragen.
Schick und Ziegler benennen in ihrer Einleitung unter der Überschrift »Lesarten« weitere Fragen, die an die Quelle gestellt werden können, und zeigen damit gleichzeitig Kontexte auf, in denen die Edition in der universitären Lehre Verwendung finden kann: Neben den um die Wahl kreisenden Fragen der klassischen Verfassungsgeschichte benennen sie Fragen von Zeremoniell und symbolischer Kommunikation, die Diplomatiegeschichte, die Sozialgeschichte der politischen Eliten des Reichs mit ihren Netzwerken, aber auch Aspekte der Geschichte Kurhannovers: die Herausforderungen, die die Personalunion mit Großbritannien mit sich brachte, die Strategien, das noch junge Kurfürstentum zeremoniell und politisch zu behaupten, sowie die Tätigkeit beim Wahltag als wichtige Karriereetappe im Leben Münchhausens.
Bei der Lektüre der Eintragungen Münchhausens sind der Rezensentin weitere Themen aufgefallen: Interessant ist, wie die Rolle Preußens in diesen Monaten wahrgenommen wird. Schon sehr früh reflektiert Münchhausen darüber, ob Preußen auf Dauer nicht vielleicht der wesentlich gefährlichere Gegner als Österreich sei, ob Frankreich also mit der Degradierung Österreichs nicht eine weit gefährlichere Macht fördere, die absehbar nicht zu kontrollieren sein würde. Gleichzeitig agierte der brandenburgische Gesandte in Frankfurt verhältnismäßig zurückhaltend, als »Störenfried« nimmt jedenfalls Münchhausen eher Sachsen wahr. Aufschlussreich ist außerdem, dass Österreich im Zusammenhang mit der Wahl kaum eine Rolle spielte, sondern mehr als Akteur der Kriegshandlungen Thema bei den Gesprächen in Frankfurt war. Einmal mehr wird auch die Bedeutung der Konfession deutlich, so vor allem bei den Verhandlungen über die Gültigkeit der Rijswijker Klausel, aber auch bei anderen Fragen, bei denen sich die Kurfürsten entsprechend ihrer konfessionellen Zugehörigkeit gruppierten. Die Berichte erlauben auch gelegentlich Einblicke in die Probleme der Informationsbeschaffung. So war man sich in Frankfurt offenbar sehr lange nicht über die desaströse militärische Lage der bayerischen Truppen im Klaren, auch weil entsprechende Nachrichten gezielt zurückgehalten wurden. Aber auch über den Informationsfluss in Frankfurt selbst erfährt man manches: So beklagt sich der Gesandte mehrfach über »undichte Stellen« während der Verhandlungen und verdächtigt insbesondere die Kurmainzer Delegation, Frankreich mit Nachrichten zu versorgen. Zu erkennen ist auch die Arbeitsweise der kurfürstlichen Gesandten: die Sitzungsfrequenz, die Gespräche am Rande, aber auch die Bearbeitung der Wahlkapitulation, die kapitelweise durchgegangen und dann noch einmal einer Endrevision unterzogen wurde.
Die kurze Einleitung der beiden Herausgeber umreißt nicht nur die möglichen Lesarten der Quelle, sondern bietet auch eine knappe Einordnung in den historischen Kontext und die tangierten Forschungszusammenhänge. Die Entscheidung der Herausgeber, sich hier sehr kurz zu fassen, erscheint nachvollziehbar angesichts der grundsätzlichen Bekanntheit der beschriebenen Vorgänge, die nötigenfalls in der einschlägigen Handbuchliteratur nachzulesen sind. Zentral sind die Ausführungen zur Quelle und zur Textgattung. Denn es handelt sich mitnichten um ein irgendwie geartetes privates Tagebuch, sondern um einen dienstlichen Bericht, der an den Geheimen Rat in Hannover gerichtet war. Wie ein Tagebuch war er von Tag zu Tag verfasst, anders als ein Tagebuch aber nicht eigenhändig geschrieben, sondern von Münchhausen seinem Sekretär in die Feder diktiert. Das Diarium steht als Gattung und in seinem Aussagewert zwischen den offiziellen Relationen, die nur gesichertes Wissen und feststehende Ergebnisse enthielten, und der Korrespondenz, die noch direkter und vorläufiger berichten konnte. Für die Details verweist Münchhausen an zahlreichen Stellen auf die Relationen, beide Überlieferungsstränge sind also sinnvollerweise parallel heranzuziehen. Gleichzeitig war das Diarium für Münchhausen aber auch ein Mittel, seine eigene Tätigkeit in ein günstiges Licht zu rücken und damit die eigene Karriere zu befördern – ein Aspekt, der bei Gesandtenberichten oft zu wenig beachtet wird. Im vorliegenden Fall freilich ist diese Absicht mit Händen zu greifen. Denn Münchhausen weist nicht nur immer wieder explizt darauf hin, wenn eine seiner Initiativen Erfolg hatte, erwähnt aber auch, wo er mit seinen Vorstößen auf Widerstand traf. Vor allem aber zieht er am letzten Tag seines Diariums detailliert Bilanz: Dabei betont er zwar zunächst, dass »zu Seiner Königlichen Majestät höchsten Dienst und Nutzen, so gar wenig auszurichten in meinen Kräften stand« (335), was er vor allem auf die »fatale Conjuncturen« zurückführt. Sein Bericht endet aber mit einem »Verzeichniß derer vornehmsten Puncten, welche auf Veranlaßen der churbraunschweig-lüneburgischen Gesandtschaft in die Wahl Capitulation gekommen« (336), also mit seiner persönlichen Erfolgsbilanz, die präzise nach den einzelnen Artikeln der Wahlkapitulation gegliedert ist.
Die Edition folgt den für die Reichstagsakten und die Wahlkapitulationen-Edition bewährten Richtlinien und macht sich auch deren Standards zu eigen, verzeichnet aber z. B. keine Varianten und ist vor allem wesentlich sparsamer in der Kommentierung. Gerade für den – von den Herausgebern explizit angedachten – Einsatz in der universitären Lehre dürften sich damit erhebliche Hindernisse ergeben. Denn die Lektüre des Textes ist alles andere als leicht zugänglich, weil Münchhausen bei seinen Adressaten die Kenntnis der Probleme und Details voraussetzen kann, die sich gerade Studierende erst sehr mühsam erschließen müssen. Nun ist das selbstverständlich ein Kennzeichen jeglicher intensiver Quellenarbeit und insofern nicht zu vermeiden, aber eine etwas großzügigere Kommentierung wäre doch hilfreich gewesen. Denn auch für Nutzerinnen und Nutzer, die mit der Materie vertrauter sind, ist es zumindest mühsam, dass sich knappe Informationen zu Personen jeweils nur bei der Erstnennung finden. Das Register kann dann auch nicht immer weiterhelfen, da Angaben wie »der Kardinal« sich dort eben nicht recherchieren lassen. Die Sacherläuterungen setzen vielfach exzellente Kenntnisse z. B. der Reichsverfassung voraus. Auch erscheint es nicht immer nachvollziehbar, welche lateinischen Zitate übersetzt und welche Formulierungen erläutert werden und welche nicht. Ärgerlich sind einzelne Fehler in der Einleitung und den Kommentaren, v. a. die Erläuterung zum Pactum Mutuae Successionis (96), die in dieser Kürze zumindest missverständlich ist und nicht den Kern der Regelung von 1703 trifft, ganz abgesehen davon, dass Joseph I. nicht der Bruder, sondern der Sohn Leopolds I. war. Nicht gelungen ist die Einfügung von Beilagen in den Fließtext, da es irritiert, wenn der Text plötzlich abbricht und man die Fortsetzung erst suchen muss. In diesen Fällen hätte sich eine Lösung mit Hilfe von Fußnoten oder zumindest eine deutlichere graphische Absetzung angeboten.
Insgesamt aber haben die Herausgeber eine sorgfältig erarbeitete Edition eines interessanten Textes vorgelegt, der neue Einblicke in den mit der Wahlentscheidung von 1742 verbundenen Bruch erlaubt. Man kann gespannt sein, welche Editionen in der Reihe folgen werden.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Bettina Braun, Rezension von/compte rendu de: Sébastian Schick, Hannes Ziegler (Hg.), Publicum und Secretum. Die Diarien Gerlach Adolph von Münchhausens vom Frankfurter Wahltag 1741/1742, Göttingen (V&R) 2023, 353 S. (Quellen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, 2), ISBN 978-3-5253-0237-8, EUR 80,00., in: Francia-Recensio 2024/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2024.4.108321