Die vorliegende Studie verfolgt die Genese der Pfarrei von der Frühzeit des Mittelalters bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, genauer bis zum vierten Laterankonzil im Jahr 1215, auf dem die wesentlichen Grundlagen für die rechtliche Regelung der Pfarrei gelegt wurden (8). Während dabei Vielfalt als Grundmerkmal der Pfarreien gleich vorweg benannt wird, soll dennoch der Versuch unternommen werden, Konstanten, Entwicklungslinien und Besonderheiten aufzuzeigen. Im Fokus stehen dabei die Situation des Priesters, seine Rechte und Pflichten sowie vornehmlich das Verhältnis zu seinem Bischof. Dabei wird, unter Betrachtung des gesamten christlichen Abendlandes, in insgesamt sechs Hauptkapiteln chronologisch vorgegangen, die dazu herangezogenen Quellen beziehen sich vor allem auf Frankreich. Dem Hauptteil vorangestellt ist ein »chapitre préliminaire« (11–25), das allgemeine Informationen zur christlichen Kirche in den ersten Jahrhunderten sowie eine kurze Skizze zur Stellung des Priesters in dieser Zeit enthält.
Kapitel eins (27–51) blickt auf die merowingische Zeit, in der eine Pfarreiorganisation noch nicht existierte, doch den Priestern häufiger das Recht und die Pflicht zuerkannt worden sei, die religiösen Handlungen vorzunehmen, die später als charakteristisch für die Existenz einer Pfarrei angesehen wurden: die Feier der Gottesdienste mit Ausnahme der hohen Feiertage, die Predigt, die Taufe und die Gewährung der Buße. Neben dem Priester geraten dabei auch der Archidiakon und der Erzpriester als die wichtigsten Assistenten des Bischofs in den Fokus der Studie. Ihre den Bischof unterstützende Funktion bei der Leitung der Diözese und der Aufsicht über die Priester wird ebenso über die folgenden Kapitel hinweg immer wieder untersucht wie der Stellenwert von lokalen und überregionalen Synoden und Konzilien im Hinblick auf die dort getroffene Rechtsetzung für die Rolle der Priester und der Ausformung der Pfarrei.
Im zweiten Kapitel (53–90) wird die so genannte karolingische Reform als Gemeinschaftswerk von Königtum und Papsttum (»œuvre impériale et pontificale«, 53) verstanden, besondere Aufmerksamkeit gilt neben der Rolle der kaiserlichen (Kapitularien) und päpstlichen (Dekretalen) Gesetzgebung den konkreten Entwicklungen des Priestertums, Fragen zur Ernennung des Priesters, seinen notwendigen Qualifikationen, seinen Funktionen sowie der Stellung zu seinem Bischof. Im Hinblick auf die Ernennung etwa konstatiert die Verf., diese habe kanonisch einzig dem Bischof zugestanden, doch wären die tatsächlichen Gegebenheiten deutlich komplexer gewesen, sodass jede Ernennung als Einzelfall und Ergebnis eines Kompromisses anzusehen sei (69–71). Einflussreich neben dem Bischof seien etwa klösterliche Gemeinschaften oder Grundherren gewesen, die im Rahmen von »Eigenkirchen« auf die Berufung von Priestern Einfluss genommen hätten. In dieser Frage wird leider nicht auf neuere Forschungen zum Eigenkirchenwesen, insbesondere von Steffen Patzold,1 Bezug genommen.
Die Kapitel drei (91–122) und vier (123–138) behandeln den Zeitraum der gregorianischen Reform bis zum Dekret von Gratian. Die Aufmerksamkeit gilt hier vor allen Dingen der von den Priestern ausgeübten cura animarum der ihnen zugeteilten Gemeinde, während im Verlauf des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts wenig Neuerungen hinsichtlich der Modalitäten der Auswahl und Erhebung der Priester zu beobachten sind (104), deren Keuschheit nun spezieller Beobachtung unterlag (109–113). Ein weiterer Fokus gilt dem ersten und zweiten Laterankonzil von 1123 und 1139 als Ausdruck neuer päpstlich organisierter Konzilien, in deren Rahmen auch die Funktion der Priester in den Blick genommen wurde. Besonders herausgestellt wurde etwa die Wahrung der bischöflichen Rechte, damit kein Priester, dem die cura animarum anvertraut wird, sein Amt durch missbräuchliche weltliche Einflüsse, gegen Bezahlung oder durch andere simonistische Praktiken erhält.
Kapitel fünf (139–182) befasst sich einzig mit dem Dekret von Gratian, das bereits in den Kapiteln zuvor immer als Fixpunkt benannt worden ist. Das Dekret bezeichnet die Verf. als »bilan du premier millénaire«, bewertet es darüber hinaus aber auch als »prometteur pour l’avenir« (139). Allerdings bietet es in Bezug auf die Pfarrei keine Innovationen, Gratian bleibe »un homme du passé, compilateur des textes antérieurs« (141), doch auch wenn der Text keine juristische Darstellung bezüglich der Pfarrei bietet, kann die Pfarrei als Gemeinschaft von Gläubigen, die sich um ihren Priester gruppiert, als greifbare soziale Realität wahrgenommen werden (143). Die Terminologie des Pfarrers gestaltet sich hingegen weiterhin unscharf (sacerdos, presbyter, parochianus, plebanus, rector, pastor), Anforderungen und Qualitäten sind den vorangehenden Jahrhunderten verbunden (144–147). Resümierend betrachte Gratian »les fonctions du prêtre de paroisse à de multiples occasions«, biete aber kein »exposé synthétique« zu seiner Person (165).
Das abschließende sechste Kapitel (183–216) nimmt das dritte und vierte Laterankonzil unter den Päpsten Alexander III. und Innozenz III. in den Blick, die sowohl den Status des Pfarrers als auch den der Pfarrei präzisieren (183). Besonders betont werde nun das Territorium der Pfarrei, diese wird charakterisiert als »communauté de fidèles, pour laquelle le proprius parocchus assure la cura animarum en étant seul habilité à effectuer certains actes, notamment conférer les sacrements, dans une circonscription territoriale délimitée« (186). Die hervorzuhebende Innovation der Konzilien liege hauptsächlich in den Präzisierungen der bereits bestehenden Regeln.
Abschließend folgt eine kurze »conclusion générale«, die aber nicht die chronologischen Linien des Werkes noch einmal nachzeichnet, sondern vor allem die Situation im 13. Jahrhundert hervorhebt. Als Anhang beigegeben finden sich von Jean Gaudemet abgefasste »Fiches de lecture manuscrites […] sur le ministère paroissial assuré par les moines au Moyen Âge» (223‑227), eine Kommentierung oder Einordnung dieser Lektürezettel ist leider nicht vorgenommen worden. Die zuletzt angefügte »Bibliographie sommaire« (229–231) bietet bedauerlicherweise nur ausgewählte Monographien zur Kirchengeschichte, während eine Gesamtübersicht über die verwendeten Quellen und Literatur fehlt und nur umständlich aus den Anmerkungen erschlossen werden kann. Auch auf ein Personen- und Ortsregister ist verzichtet worden, was die Nutzbarkeit zusätzlich erschwert. Dies steht im Gegensatz zur eigentlichen Anlage des Bandes, der kleinschrittig, über zahlreiche Unterkapitel und allgemeine Einführungen offensichtlich bewusst nicht nur Expertinnen und Experten des Kirchenrechts und der Genese kirchlicher Organisationsstrukturen im Früh- und Hochmittelalter ansprechen möchte. Die im Rahmen einzelner Synoden und Konzilien gefällten sowie in der Sammlung des Gratian vereinigten Rechtssätze zum Thema des Bandes werden dabei nachvollziehbar zusammengefasst, doch bleibt der im Resümee unterstützte Anspruch, die Untersuchung der rechtlichen Normen mit der Analyse der Realitäten des Alltags zu verbinden (219–220), weitgehend hinter den Möglichkeiten zurück, nicht nur das kodifizierte Recht, sondern auch die Umsetzung in der Lebenswirklichkeit abzubilden. Gewinnende Einblicke in das Beziehungsgeflecht von Priester, Bischof und Pfarrei bis zum 13. Jahrhundert bietet der Band aber dennoch ungeachtet dieser einschränkenden Bemerkungen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Matthias Weber, Rezension von/compte rendu de: Brigitte Basdevant-Gaudemet, L’évêque, le prêtre et la paroisse au Moyen Âge, VIe–XIIIe siècle, Paris (Les éditions du cerf) 2023, 238 p. (Collection droit canonique), ISBN 978-2-204-16208-1, EUR 29,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109361





