Takeshi Matsumura schloss im Jahr 2007 seine Besprechung der kritischen Edition der Vie seint Marcel de Lymoges von Molly Lynde-Recchia (PèresPrIIMarcelL; alle hier verwendeten Sigel sind die des DEAF, zu konsultieren unter https://alma.hadw-bw.de/deafbibl/) mit den Worten: »Attendons avec impatience la publication des autres Vies attribuées à Wauchier de Denain« (ZrP 123, 788). Die Hoffnung auf die Realisierung seines Wunsches hat sich nun durch die vorliegende Ausgabe von Ariane Pinche erfüllt (PèresPrIIAlexisP). Frau Pinche beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Sammlung von Heiligenleben des Wauchier de Denain, die unter dem Namen Li Seint Confessor bekannt ist. So präsentierte sie schon 2017 den Plan einer digitalen Edition der Texte auf der Basis von XML-TEI.

Die nun im Druck publizierte Edition besteht aus zwei Teilen: zum einen aus einer ausführlichen Einleitung (IX–CL) und zum anderen aus der eigentlichen Edition (1–403), den Notes et Commentaires (405–417), dem Index des Noms propres (419–442) sowie dem Glossaire (443–458). Es finden sich folgende Texte: Vie de saint Martin (PèresPrIIMartinP 1–65; 405–408), Dialogues sur les vertus de saint Martin (PèresPrIIDialP 67–143; 408–411), Vie de saint Brice, Brictius de Tours (PèresPrIIBriceP 145–151; 411), Vie de saint Gilles (PèresPrIIGilP 153–171; 411–412), Vie de saint Marcel de Limoges (PèresPrIIMarcelP 173–236; 412–414), Vie de saint Nicolas (PèresPrIINicP 237–321; 414–415), Vie de saint Jérôme (PèresPrIIJerP 323–332; 415), Vie de saint Benoît (PèresPrIIBenP 333–385; 416) und Vie de saint Alexis (PèresPrIIAlexisP 387–403; 416–417).

Die Introduction liefert Biographisches zu Wauchier de Denain, listet die ihm zugeschriebenen Werke auf (Hagiographisches, eventuell auch die Histoire ancienne und die zweite Continuation des Conte du Graal, was aber bis heute nicht abschließend geklärt ist) und datiert den Text um 1212 (XII–XLVI; die Bibliographie des DEAF schreibt: »flandr. déb. 13es. [prob. av. 9 oct. 1212]«). Sie informiert über den Recueil Li Seint Confessor (XLVI–LXXXV), der in toto in drei Handschriften, Paris, BNF, fr. 411: C2, Paris, BNF, fr. 412: C1 und London, BL, Royal 20 D VI: C3 erhalten ist. Es folgt das Kapitel La Tradition manuscrite (LXXXV–CVII), das die Handschriften datiert, aber auf eine Lokalisierung verzichtet. Hier wären unter anderem zu korrigieren oder zu präzisieren: C2 Paris, BNF, fr. 411: 14e siècle l. déb. 14e siècle; C3 London, BL, Royal 20 D VI: 2em. 13e siècle; D Paris, BNF, fr. 17229: artois 3et. 13e siècle; E4 Oxford, Queen’s College, 305: fin du 15e siècle l. 1465; F2 Paris, BNF, fr. 23117: 13e siècle l. déb. 14e siècle (= zweiter Teil des Codex); G2 Paris, BNF, fr. 183: 1re moitié du 14e siècle l. prob. Paris 1327; L1 Paris, BNF, fr. 23686 l. NAF 23686; M2 Paris, BNF, fr. 6447: 1275 l. flandr. 4eq. 13e siècle. Es fehlt die Handschrift Paris, BNF, fr. 818 (lyonnais 2e moitié 13e sìècle), die von Lynde-Recchia erwähnt ist und eine Fassung der Vie seint Marcel de Lymoges überliefert. Die Benutzung der DEAF-Bibliographie hätte einige Fehler vermeiden helfen können.

Es folgt die detaillierte Beschreibung der drei vollständigen Handschriften der Gruppe C (LXXXIX–CIII) sowie die Stemma-Erstellung auf der Basis aller Handschriften, die die Entscheidung für Paris, BNF, fr. 412 (=C1) als Basishandschrift begründen soll, wobei die eigentlichen Kriterien reichlich abstrakt bleiben. Das vierte Kapitel Étude de la langue du manuscrit (CVII–CXXII) beschreibt die Sprache der Basishandschrift und resümiert: »Ainsi, le texte transmis dans le manuscrit […] est le résultat d’une langue représentative du XIIIe siècle, qui laisse affleurer quelques traits dialectaux aussi bien du point de vue de la phonétique et de la morphologie que de la syntaxe« (CXXII). Die Analyse des Wortschatzes stützt sich auf das FEW; die Konsultation des DEAF hätte zumindest für die Form inwel zusätzliche Informationen beigesteuert. Die restlichen Kapitel der Einleitung widmen sich der Texterstellung und der Funktion des kritischen Apparates und geben eine ausführliche Bibliographie sélective (CXXXIX–CL; unter 8.3 Usuels et Dictionnaires Cl. Buridant 2019 aus der alphabetischen Reihenfolge; Godefroy, Tobler-Lommatzsch, FEW nach der DEAF-Bibliographie zu korrigieren).

Die eigentliche Edition der acht Heiligenleben und der Dialogues (von denen im Klappentext keine Rede ist) ist von hoher Qualität. Die Kollation der Edition von zwei Heiligenleben mit der Basishandschrift Paris, BNF, fr. 412 hat nur zwei Monenda erbracht: PèresPrIIBriceP 106: em plorant l. emplorant; PèresPrIIGilP 62: a costume l. acostumé. Die Notes et Commentaires (405–417) liefern historische und theologische Informationen zu den Texten. Nach dem Index des noms propres (419–440), aufgeteilt in Index des patronymes (420–433) und Index des toponymes (434–440) folgt in Relation zur Textmenge ein sehr kurzes Glossar (441–458). Die Aussage, »le glossaire a été établi à partir du corpus lemmatisé des Seint Confessor« (441), ist zu hinterfragen. Offensichtlich betrifft das lemmatisierte Corpus nicht alle Lexien der edierten Texte, denn schon eine oberflächliche Lektüre zeigt, dass Formen wie desliier (PèresPrIIMarcelP 72), peneance (ibid. 92), deguerpeïssent (ibid. 117), consomee (ibid. 177) und chaverie (PèresPrIINicP 1150; in der altfranzösischen Lexikographie nicht belegt) nicht verzeichnet sind. Welche Kriterien für die Aufnahme in das Glossar angewendet wurden, ist nicht erklärt. Was die eigentliche Lemmatisierung betrifft, so folgt sie nicht immer dem Standard: so werden brahaign = baraing und berhaigneté = baraigneté unterschiedlich lemmatisiert, wodurch die Mitglieder einer Familie getrennt werden. Auch die semantische Analyse ist zuweilen zweifelhaft: broche »brachet« ist fragwürdig, eher »Art Spieß«; ceine »dernier repas du Christ«, richtig »Abendmahl«; chenal 843 l. 842 »grenier, garde-manger«, unklar (evtl. chenal »Dachrinne«?) etc. Die kritische Nutzung der einschlägigen Wörterbücher hätte Fehlinterpretationen vermieden.

Alles in allem bietet Frau Pinche trotz kleinerer Unklarheiten hier die definitive Edition der als Seint Confessor bekannten Sammlung einiger Heiligenleben. Alle die sich mit dieser Textsorte beschäftigen, können der Herausgeberin dafür dankbar sein.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Stephen Dörr, Rezension von/compte rendu de: Wauchier de Denain, Li Seint Confessor. Édition critique par Ariane Pinche, Paris (Honoré Champion) 2024, CL–463 p. (Les classiques français du Moyen Âge, 204), ISBN 978-2-7453-6159-2, EUR 48,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109368