Die Publikation setzt die Reihe »Obituaires. Série in-8°« innerhalb des »Recueil des historiens de la France«1 als nunmehr dreißigster Band fort. Die von Jean-Loup Lemaître angefertigte Edition befasst sich mit den »Obituaires« der im Limousin bei Beyssac (dép. Corrèze) gelegenen Kartause Glandier. Sie wurde im Jahr 1219 durch Archambaud VI., Vicomte von Comborn, auf seinem eigenen Grund als Sühne für einen an Mönchen begangenen Mord gegründet, der sich in die Neubesetzung des Abtstuhls von Saint‑Martin de Tulle einordnen lässt. Glandier war neben Mortemart die einzige Kartause des Limousin und hatte bis zur Französischen Revolution Bestand, bevor es zwischen 1860 und 1901 kurzzeitig wiederbelebt wurde.

Nach einer Einführung des Reihenherausgebers Jacques Verger (VII–XI) ist der Band in für die Reihe typischer Manier aufgebaut: Auf eine kurze Bibliographie (1–5) folgt die ausführliche Einleitung des Bearbeiters (7–32), in der er zunächst Bezug auf die in den 1840er-Jahren einsetzenden Forschungen zur Abtei nimmt, wobei die 1886 erschienene Arbeit von Boutrais bis heute als maßgeblich gilt.2 Hierauf stellt er das spärliche Quellenmaterial zu Glandier zusammen und identifiziert diejenigen Quellen, die von den o. g. Forschenden des 19. Jahrhunderts verwendet wurden, vor allem das Cartulare Glanderiense (La Grande Chartreuse, archives du monastère, 6 GLAN 5). Ein kurzer Überblick zur Geschichte Glandiers soll vor allem zum Verständnis der edierten Quellen dienen. Unter anderem wird hier die Stiftungsurkunde des Archambaud wiedergegeben. Es schließen sich acht Tafeln mit historischen Karten, historischen und modernen Fotografien der Klostergebäude sowie älteren Rekonstruktionszeichnungen an (25‑32, Pl. 1–8).

Ferner werden Betrachtungen zur Memorialpraxis des Kartäuserordens beigefügt (33–42), und anhand normativer Quellen (Consuetudines, Statuten, Ordinarien etc.) sowie Aktenmaterial vorgestellt, Bezug zu Glandier und auf Vergleichsbeispiele genommen. Endlich folgt die ausführliche Vorstellung der für die vorliegende Edition maßgeblichen Handschriften, wobei zwischen dem im Original verlorenen Nekrologium – erhalten sind vier abschriftliche Auszüge frühneuzeitlicher Gelehrter (17. und 18. Jahrhundert) – (43–48) und einem zweiteiligen Kalendarium (48–62) unterschieden wird. Während eine äußere Beschreibung des Nekrologmanuskripts auf Basis der spärlichen Auszüge nur noch rudimentär gelingt, kann zur Datierung seiner Anlage oder zu seinen paläographischen Aspekten nichts mehr gesagt werden – die exzerpierten circa 50 Einträge betreffen vor allem das 11. und reichen bis ins 15. Jahrhundert. Zu finden sind hauptsächlich weltliche Personen mit »berühmten Namen«, die für die Forschenden in ihrem jeweiligen Zeitgeist von vorrangigem Interesse waren, sodass lediglich ein allgemeiner, aber nicht uninteressanter Eindruck gewonnen werden kann.

Das auf Basis einer älteren, offenbar unter Platzmangel leidenden Vorlage verfasste papierne Calendarium (La Grande Chartreuse, archives du monastère, 6 GLAN 1) wurde 1683 angelegt. Es ist heute unvollständig, umfasst aber immerhin noch 196 von ursprünglich 230 foll. Zusammen mit seiner Beschreibung und der Objektgeschichte transkribiert Lemaître in diesem Abschnitt häufig auch Textauszüge – v. a. die instruktive Einleitung der Hs. sowie die anonyme und nur fragmentarisch überlieferte (Gründungs‑)Geschichte. Vor allem relevant sind zwei Quellen: 1. das eigentliche Calendarium domus Glanderii (foll. 15–135), das hauptsächlich Verstorbene des gesamten Ordens aus der Zeit nach der Anlage des Manuskripts sowie nur nachrangig Konventualen aus Glandier verzeichnet und bis Ende des 18. Jahrhunderts in Gebrauch war; 2. das Calendarium secularium (foll. 136–227 [228]), in dem weltliche Wohltäter verzeichnet wurden. Auch die Frage nach der Person der anlegenden Hand wird behandelt, wobei Lemaître eine frühere Zuschreibung relativiert. Zuletzt werden in diesem Abschnitt auch verschiedene Personengruppen (bspw. mit Amtsbezeichnungen oder Wohltäter aus dem Limousin) anhand ihrer Einträge in die beiden Quellen zusammengestellt. Abermals schließen sich Tafeln mit schwarz-weiß Abbildungen einzelner Handschriftenseiten sowie des Einbands an (65–72, Pl. 9–16).

Der Editionsteil (73–242) bietet erstmals einen modernen Ansprüchen genügenden Text der genannten Quellen sowie eine Kommentierung. Die Edition ist abermals nach den drei Hauptquellen, dem Nekrologium (75–111) sowie dem Calendarium domus Glanderii (113–167) und dem Calendarium secularium (168‑242) unterteilt. Beim Nekrolog werden zunächst die genannten Abschriften einzeln und sodann eine chronologisch sortierte Synopse (»Reconstitution du Nécrologe«) der Personeneinträge geboten. Die Edition der beiden Kalendarien bringt (abermals) zunächst die Texte der schon erwähnten erzählenden Quellen, dann die eigentlichen Kalendarien, in denen rund 600 verschiedene Personen zu finden sind. Personen werden nach Möglichkeit im Fußnotenapparat identifiziert und weiterführende Angaben zu ihnen gemacht. Etwas umständlich ist die getrennte Registerführung (Orts-, Personen- und Sachregister), jeweils einmal für das Nekrologium und einmal für die beiden Kalendarien.

Explizite Editions- bzw. Transkriptionsgrundsätze finden sich im Band nicht; der editorische Usus wird offenbar vorausgesetzt, sodass bspw. manche satztechnischen Feinheiten erst selbst zu erschließen sind. Der Anmerkungsapparat bietet zwar nützliche Identifizierungen, Literaturhinweise etc., enthält aber nur einzelne Hinweise im Sinne eines kritischen Apparats, etwa zu verwendeten Kürzungen, Tilgungen, Korrekturen, Textausfällen (die man auf den Tafeln im Übrigen gut erkennt). Einiges hätte einheitlicher oder übersichtlicher gestaltet werden können: Seiten- bzw. Foliowechsel in den Mss. finden sich im Fließtext im ersten Editionsteil in eckigen, im zweiten Teil dann in runden Klammern. Mit durch alle drei Quellen fortlaufenden Zahlen in runden Klammern werden die einzelnen Tageseinträge sowie bei den erzählenden Quellen Sinneinheiten nummeriert; auf diese Zahlen beziehen sich dann – für nichtfranzösische Benutzer und Benutzerinnen gewöhnungsbedürftig – die Querverweise im Anmerkungsapparat, Fließtext und in den Registern. Moderne Datumsangaben stehen im Editionstext ebenfalls in eckigen Klammern. Paläographische Aspekte werden vernachlässigt, im Editionstext bspw. die verschiedenen eintragenden Hände nicht explizit unterschieden. Es sind lediglich (mutmaßlich) die Einträge der Anlageschicht recte sowie nachgetragene Passagen kursiv gesetzt. Wenn der Bearbeiter einleitend schon auf die anlegende Hand eingeht, würde man eine paläographische Analyse eigentlich erwarten, sei es nur, um Transparenz für weitere Forschungen zu schaffen. Abhilfe kann auch nicht durch die Tafeln geschaffen werden, da diese teilweise qualitativ zu wünschen übrig lassen. Ebenso verwundert, dass aus dem Ms. 6 GLAN 1 nur Abbildungen des Einbands und der erzählenden Quellen geboten werden, nicht jedoch von den eigentlichen Memorialquellen.

Lemaître charakterisiert das Kalendarium weniger als Memorialquelle, in der primär Verstorbene aus Glandier verzeichnet wurden, sondern als »un nécrologe de l’Ordre et de ses bienfaiteurs, en usage à la chartreuse«. Es werden entsprechend nicht nur Einblicke in die Netzwerke Glandiers geboten, sondern auch die Perspektive auf die zeitgenössischen Beziehungen des Ordens geweitet. Die Kalendarien seien also vor allem eine wertvolle Quelle zur Memorialpraxis der Kartäuser (62). Entsprechend können die diesbezüglichen Beobachtungen als großes Plus des Bands hervorgehoben werden. Sie sind kein bloßes »nice to have«; sie tragen nicht nur zum Verständnis der Quelle und der Zusammensetzung der darin verzeichneten Personen bei, sondern erleichtern auch das Einordnen ähnlicher Quellen anderer Ordenshäuser.

Mag das Auge des in deutscher Wissenschafts- und Editionstradition ausgebildeten Historikers oder der Historikerin in Bezug auf die Edition und Kommentierung von Memorialquellen zwar andere Sehgewohnheiten aufweisen, so erschließt der verdienstvolle Band dennoch wertvolle unikale Quellen für die kartäusische Geschichte im Limousin und darüber hinaus. Dies dürfte auch für einen vergleichenden Blick auf die Memorialpraxis anderer Orden von großem Wert sein. Darüber hinaus besitzt der durch die Reihe verfolgte Ansatz, auf Basis eines umfassenden Repertoriums die Memorialquellen Frankreichs systematisch zu edieren, für Deutschland nach wie vor unbedingten Vorbildcharakter.

2 Cyprien-Marie Boutrais, La chartreuse de Glandier en Limousin, Neuville-sous-Montreuil 1886.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Tobias P. Jansen, Rezension von/compte rendu de: Jean-Loup Lemaître (éd.), Les obituaires de la chartreuse de Glandier, Paris (Académie des inscriptions et belles-lettres) 2023, XI–246 p. (Recueil des historiens de la France. Obituaires. Série in-8°, 30), ISBN 978-2-87754-705-5, EUR 40,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109380