In ihrer Monographie nimmt Cornelia Logemann das visuelle Potential der Personifikation zwischen dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit (1300–1600) in vier Untersuchungskapiteln in den Blick. Drei Leitfragen sind für die vorliegende Studie wesentlich: Mit welchen Bildmitteln generierten die Schöpfer der Personifikationen die Bedeutung, normierten und garantierten sie und passten deren Bedeutungsgehalt an situative Kontexte an? Wie verhalten sich die Personifikationen in Text, Bild und Performanz zueinander? Welche Rolle spielen Gender und Körper für die Wahrnehmung und in der Bedeutungsaufladung von Personifikationen?

Im Zeitraum zwischen dem 14. bis ins 16. Jahrhundert hinein verdichten sich die Darstellungsformen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht in Frankreich. Personifikationen erweisen sich dabei nicht als starres Gefüge, sondern verfügen über sich wandelnde Ausdrucksmöglichkeiten zwischen den Medien. Ausgangs- und Bezugspunkt bildet dabei die Iconologia von Cesare Ripa, dessen Werk eine schematische Kategorisierung der Personifikationen vornahm, die bis heute das Deutungsverständnis prägt, während es sich zeigt, dass Personifikationen teils drastische Veränderungen erfuhren, die sich dieser Kategorisierung teilweise entziehen.

Wesentlich für die Evolution der Personifikationen war der Rosenroman, da bereits im Text mehrere angelegt sind, wie der Garten, an dessen Mauern die Todsünden dargestellt werden. Literarisch sind demnach bereits durch Umschreibungen Allegorien vorhanden, die wie beschreibende Malerei formuliert sind. Diese Sprachbilder setzten nach Logemann dann einen Mechanismus in Gang, der bald darauf in einer vielfältigen Bildsprache mündete, die sich in illuminierten Handschriften ausdrückte, die keinesfalls für nicht Lesekundige gedacht waren. Text und Bild sind dabei nicht binär zu betrachten, sondern zusammengehörig. Vor allem späte Kopien von Vorgängerwerken erfuhren eine bildprogrammatische Erweiterung. Logemann zeigt, dass die fünf Sinne als weibliche Personifikationen dargestellt wurden, weil sie fünf klugen Jungfrauen zugeordnet sind, was in anderen Entsprechungen später fortgeführt wurde. Spätere Werke, wie der Pèlerinage de la vie humaine dachten die Prämissen des Rosenromans weiter. Dem träumenden Mönch, dessen Ziel das himmlische Jerusalem ist, begegnen auf seiner Reise viele Personifikationen, wie Gottes Gnade (Grâce Dieu), während die Vernunft (Raison) ihn leitet. Leser und Leserin erleben an der Seite des Protagonisten ein perfomatives Personifikationstheater, wobei die Tugenden wenig abwechslungsreich präsentiert werden, während die Laster als älter und vielfältiger dargestellt sind. Mnemonik soll hier zum Hilfsmittel der moralischen Lehre werden. Dabei nahm die literarische Produktion Einfluss auf die Produktion der Personifikationen. Insbesondere Übertragungsfehler wirkten sich auf die Ikonographie der Darstellungen aus, da die Miniaturen aus dem Text heraus konzipiert wurden.

An Werken von Christine de Pizan zeigen sich Genderimplikationen der Personifikationen, die allegorisch für Verführung und Abschreckung stehen, wobei Beziehungen zwischen dem männlichen Ich-Erzähler und den weiblichen Personifikationen vorkommen. Allegorische Frauenfiguren stehen aber auch für die Debatte um die Wirkmächtigkeit von Frauen und deren sozialen Status. Christine de Pizan erlebt dabei selbst eine Transformation von einer (weiblichen) Witwe hin zu ihrer (männlichen) Rolle als Autorin (Livre de la mutacion de Fortune), was einer literarisch-metaphorischen Geschlechtsumwandlung gleichkommend gedeutet wird, während ihre eigene Darstellung weiblich ist. Tugenden und Mächte erscheinen bei Pizan bekrönt und weiblich (Richesse, Chevalerie, Noblesse, Sagesse). Die Schriftstellerin weilt bildlich unter ihren Geschöpfen und erscheint als wenig abgegrenzt. Sie stattet Raison mit Eigenschaften aus, die sie zu einem Gegenentwurf der im Rosenroman unvernünftig handelnden Allegorie macht.

Im Kapitel »Der Autor als Maler« beleuchtet Logemann den permanenten intermedialen Aushandlungsprozess zwischen Text und Bild. Gerade die sinnlichen Qualitäten der Bilder hatten dabei ein schwer kontrollierbares Eigenleben in der Imagination der Rezipienten. Ein verführerisches Äußeres geriet nun zum Laster statt zur Tugend, und es kam zu kreativen Innovationen bei der Verbindung mit bereits etablierten Bildtraditionen. Personifikationen boten nun als literarisch und malerisch Erschaffenes »quasidivine Erkenntnis« (127), wonach sowohl Autor als auch Maler höhere Wahrheiten umsetzten. In Dialogen benannten die Künste mittels Personifikationen ihre Vorzüge, wobei die Rhetorik ein blumiges Gewand, die Malerei jedoch einen Arbeitskittel trägt. Zuweilen änderten Personifikationen ihr Erscheinungsbild, je nach Kontext, weil sie unterschiedliche Statusebenen innerhalb narrativer Zusammenhänge innehatten. Personifikationen konnten auch als Transferfiguren zwischen dem Text und dem Bild vermitteln.

Anhand verschiedener Darstellungsmöglichkeiten der Personifikationen gelang es, verschiedene Hierarchieebenen der Tugenden und Laster sichtbar zu machen. Die Produktion von Personifikationen war oftmals von den Autoren allegorischer Texte abhängig, wobei sich ein visueller Code verfestigte. So konnte Fortuna als Handlungsträgerin ein Mischwesen zwischen Hell und Dunkel sein, aber auch zwischen Schönheit und Hässlichkeit. Die Aventure bildete dabei als Personifikation eine Scharnierfunktion mit symbolischem Doppelcharakter. Je nach Kontext konnten dabei unikale Lösungen für Fortunadarstellungen aufkommen – ihr instabiles Wesen führte zu einer instabilen Ikonographie. Die Kleider der Rhetorik hingegen stehen in einer Tradition, die bis zu Ovids Metamorphosen zurückverfolgt werden kann.

Allegorische Erzählungen wurden auch in Tapisserien überführt, von denen viele jedoch nur noch fragmentarisch erhalten sind. Welche Rolle spielte das Medium für die Weiterentwicklung der Personifikationen? Anders als in der Buchmalerei waren Tapisserien ein öffentlicher Raum der Bildbetrachtung, und Personifikationen wurden lebensgroß ausgeführt, was zu einer Interaktion zwischen dem Bildbetrachter und dem Bild führte. Tapisserien wurden so zu gewebten, virtuellen Sehnsuchtsorten. Auch in diesem Medium spielte der Rosenroman eine wichtige Rolle, fasste repräsentierend die literarische Vorlage zusammen, was wiederum zu Zusammenfassungen und Repräsentationen anderer Werke führte. Logemann bezeichnet Tapisserien konzise als gewebtes Bindeglied zwischen Literatur und Kunst, wobei sich in ihnen die Nachwirkung literarischer Werke zeige.

Anders als Tapisserien dienten Wandmalereien auch zur politischen Kommunikation, die bei Festen und Einzügen betrieben wurde, wenn Herrschende gleichsam selbst durch Maskeraden zu Personifikationen wurden und ihre politischen Tugenden artikulierten. Dabei konnte sich die Grenze zwischen historischer und ikonologisch-allegorischer Figur aufheben und dort dargestellte Ereignisse, wie beispielsweise die Geburt des Dauphins allegorisch überformt ausgedrückt werden. Insgesamt bietet das Buch eine höchst beeindruckende Studie mit einer gekonnten Blickführung, die einen völlig neuen Fokus auf Figuren legt, die man bekannt wähnte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Monja Katja Schünemann, Rezension von/compte rendu de: Cornelia Logemann, Prinzip Personifikation. Frankreichs Bilderwelt im europäischen Kontext von 1300 bis 1600, Heidelberg (Heidelberg University Publishing) 2023, 493 S., farb. Abb., ISBN 978-3-96822-222-6, DOI 10.17885/heiup.1221, EUR 109,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109381