Der vorliegende Band dokumentiert eine interdisziplinäre Tagung, über die man spannenderweise nicht wirklich etwas erfährt. Veranstaltet wurde sie offenbar zum 200. Geburtstag von Karl Marx 2018, vermutlich in Trier. Mehr als vereinzelte Referenzen in der Einleitung der Herausgeberin Petra Schulte finden sich aber über diesen Kontext nicht. Aufgerufen wird er dagegen nicht nur in dem ausdrücklich vergleichenden Beitrag von Christian Kny, sondern auch an anderen Stellen, etwa von Martin Thurner in seiner Auseinandersetzung mit der kusanischen Schrift De dato patris luminum aus dem Jahr 1446. Sei es wie es sei: Der Band stellt nicht Marx, sondern den ebenfalls Trierer Theologen und Juristen Nikolaus von Kues in den Mittelpunkt. Er bietet Einblicke in verschiedene Aspekte von Geld und Arbeit als zentrale Kategorien in seinem Denken und dem seiner Zeitgenossen. Auf die schon erwähnte Einleitung der Herausgeberin folgen elf Beiträge, die von zwei weiteren ergänzt werden, die nicht so sehr »Geld und Arbeit«, wohl aber Cusanus respektive seinen Kosmos zum Gegenstand haben und aus eher formalen Gründen Aufnahme gefunden haben: der eine als »Cusanus Lecture 2021«, der andere als »Helena Klotz-Makowiecki-Preis für wissenschaftliche Arbeiten zur Cusanus-Forschung«. Das liegt in der Logik der durch diesen Band wieder aufgenommenen Schriftenreihe Zeitenwende. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft und fügt sich zwanglos an die Tagungsbeiträge an, ohne die Konsistenz des Bandes wirklich zu torpedieren.

Petra Schulte eröffnet den Sammelband mit einem Überblick über die zentralen Themen und den interdisziplinären Ansatz der Beiträge. Sie zeigt, wie Nikolaus von Kues die moralischen Dimensionen von Geld und Arbeit in seine philosophischen und theologischen Werke integrierte und weist damit Grundlinien auf, die gut zu den folgenden Einzelbeiträgen hinführen.

Markus A. Denzel beleuchtet die wirtschaftlichen Denk- und Handlungsweisen der Epoche und betrachtet die wirtschaftlichen Umbrüche im Spätmittelalter. Er beschreibt die Folgen der Pest für die europäische Wirtschaft, die zu einem Rückgang der Bevölkerung, einer Neuverteilung von Ressourcen und einer Diversifizierung in Landwirtschaft und Handel führte. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Entwicklung von Handelsstrukturen und Innovationen wie bargeldlosen Zahlungssystemen, die den Fernhandel revolutionierten. Denzel argumentiert, dass diese Entwicklungen die Grundlagen für eine zunehmend kapitalistische Wirtschaft legten, die in die Moderne hineinwirkte, und skizziert somit die wirtschaftliche und ideengeschichtliche Relevanz des 15. Jahrhunderts.

Marco Brösch widmet sich der Biographie des Vaters von Nikolaus von Kues, Henne Cryfftz, und beleuchtet dessen Rolle als Kaufmann und Netzwerker. Er zeigt auf, wie die familiären Wurzeln des Nikolaus von Kues eine grundlegende Prägung für dessen wirtschaftliches Denken darstellten. Die Analyse der Rentenkäufe und wirtschaftlichen Aktivitäten der Familie offenbart ein tiefes Verständnis für die Bedeutung von Wohlstand und sozialem Aufstieg. Brösch macht deutlich, dass Nikolaus bereits in jungen Jahren wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge kennenlernte, die seine späteren theologischen und philosophischen Ansichten beeinflusst haben dürften.

Claudia Märtl untersucht die pragmatische und theologische Haltung von Nikolaus von Kues gegenüber Geld und Besitz. Sie analysiert seine Nutzung kirchlicher Pfründen und die kritische Rezeption seiner Aktivitäten im kirchlichen Kontext, etwa bei der Verwaltung von Ablässen. Märtl betont, dass Cusanus geschickt das Pfründenwesen und das kirchliche Klientelsystem für seinen eigenen Aufstieg nutzte, was zu zeitgenössischer Kritik führte. Dennoch wird gezeigt, wie er durch seine Reformtätigkeit und seinen persönlichen Lebensstil versuchte, eine Balance zwischen den Anforderungen der Kirche und seinen moralischen Überzeugungen zu finden.

Thomas Woelki wendet sich der Verwaltung des Hochstifts Brixen unter Nikolaus von Kues zu, wobei er die wirtschaftlichen und administrativen Herausforderungen hervorhebt. Er untersucht die Rechnungsbücher des Hochstifts, die ein detailliertes Bild von den Einnahmen und Ausgaben sowie der Finanzpolitik des Bischofs zeichnen. Dabei zeigt Woelki, dass Nikolaus einerseits auf Sparsamkeit setzte, andererseits die Rechte des Hochstifts energisch verteidigte. Trotz aller Bemühungen blieb die Bürokratisierung der Verwaltung begrenzt, was auf die informellen Strukturen und Machtverhältnisse jener Zeit zurückzuführen war.

Viki Ranff analysiert die Predigten des Nikolaus von Kues und deren Bedeutung für seine Konzeption der vita activa. Sie zeigt, wie Arbeit in seinem Denken als moralisch wertvoll und zugleich als Ausdruck der Hinwendung zu Gott interpretiert wurde. Ranff hebt hervor, dass Cusanus die Arbeit als Teil eines normativen Lebensentwurfs verstand, der sowohl weltliche als auch geistliche Aspekte miteinander verband. Ihre Untersuchung macht deutlich, wie sich in den Predigten des Nikolaus von Kues theologische Prinzipien mit konkreten, lebensweltlichen Herausforderungen verbinden.

Isabelle Mandrella untersucht die Münzmetaphorik im Denken des Nikolaus von Kues, die dieser als theologisch-philosophisches Deutungsmuster für Ordnung und Wert nutzte. Sie zeigt, wie Cusanus das Geld als Symbol für göttliche Ordnung und moralische Gerechtigkeit einsetzte, etwa in seinen Deutungen des Denars als universelles Maß. Mandrella analysiert die Verbindung zwischen Münzmetaphorik und christlicher Anthropologie, indem sie die Rolle des Menschen als geprägtes Abbild Gottes herausarbeitet.

Christian Rode untersucht in seinem Beitrag die Ontologie des Geldes bei Nikolaus von Kues und beleuchtet die Verbindung zwischen Geldwert und Freiheit. Er zeigt auf, dass Cusanus Geld nicht nur als ökonomisches, sondern auch als moralisch-ethisches Konzept versteht, das in den Dienst des Gemeinwohls gestellt werden muss. Dabei hebt Rode hervor, dass Nikolaus zwischen gerechtem Handel und moralisch verwerflicher Bereicherung unterscheidet und betont, dass der Gebrauch von Geld durch Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft geprägt sein sollte. Der Beitrag verdeutlicht, dass Cusanus’ Überlegungen zur Bedeutung des Geldes in gesellschaftlichen und theologischen Kontexten seiner Zeit innovativ sind, ohne jedoch vollständig aus der Tradition scholastischer Denkweisen herauszutreten.

Der im September 2023 verstorbene ehemalige Leiter der Trierer Cusanus-Forschungsstelle, Hans Gerhard Senger, widmet sich in seinem Beitrag der spekulativen Mehrwerttheorie des Nikolaus von Kues und beleuchtet deren metaphysische Grundlagen. Er argumentiert, dass Cusanus die Idee von Wert und Gerechtigkeit als Teil einer göttlichen Ordnung verstand, die durch den Menschen erkannt und umgesetzt werden muss. Senger zeigt, wie diese Theorie nicht nur ökonomische, sondern auch tiefgreifende philosophische Implikationen hatte. Seine Untersuchung betont die Bedeutung von Cusanus für die Entwicklung des europäischen Denkens über Wirtschaft und Gesellschaft.

Christian Kny reflektiert die Bedeutung von Arbeit im Denken des Nikolaus von Kues und vergleicht dessen Vorstellungen mit denen von Karl Marx. Er zeigt, dass Cusanus Arbeit als Mittel zur Hinwendung zu Gott sah, während Marx sie als zentralen Aspekt der gesellschaftlichen Selbstverwirklichung betrachtete. Kny hebt hervor, dass beide Ansätze trotz grundlegender Unterschiede die transformative Kraft von Arbeit betonen. Diese vergleichende Perspektive eröffnet neue Einsichten in die ethische und philosophische Dimension von Arbeit.

Martin Thurner analysiert das Bauerngleichnis des Nikolaus von Kues, das er als Schlüssel für die Verbindung von Arbeit, Kultur und Religion interpretiert. Er zeigt, wie Cusanus die alltägliche Arbeit des Bauern in einen metaphysischen Kontext setzte und als Modell für die Hinwendung zu Gott verstand. Thurner hebt hervor, dass Cusanus die Arbeit nicht nur als notwendige Tätigkeit, sondern auch als Ausdruck der menschlichen Würde und Schöpfungskraft betrachtete. Sein Beitrag schlägt einen Bogen zur Moderne, indem er Parallelen und Unterschiede zu den Theorien von Karl Marx herausarbeitet.

Der Politikwissenschaftler Cary J. Nederman schließlich analysiert in seinem Beitrag die Verknüpfung von Physiologie und Ökonomie in Nikolaus von Kues’ Werk De concordantia catholica. Er zeigt auf, wie Cusanus ökonomische und politische Prozesse durch die Metapher des menschlichen Körpers beschreibt, wobei der Kaiser als eine Art Arzt fungiert, der die Gesundheit des politischen Körpers durch die Regulierung von Ungleichgewichten sicherstellen muss. Nederman betont, dass Cusanus dabei nicht nur wirtschaftliche Stabilität, sondern auch moralische und soziale Gerechtigkeit ins Zentrum seiner Überlegungen stellt. Diese Perspektive verbindet Cusanus mit anderen Denkern seiner Zeit, wie Christine de Pizan oder John Fortescue, während er zugleich durch seine Betonung der politischen und ökonomischen Balance eine eigenständige Position einnimmt.

Der Band bringt Perspektiven aus Theologie und Philosophie, Geschichte und ökonomischer Theorie zusammen. Die Ergebnisse sind manchmal für das 15. Jahrhundert nicht so außergewöhnlich wie die Fokussierung auf eine Zentralfigur es eher suggerieren als behaupten mag und (man möchte angesichts der Prominenz dieser Zentralfigur beinahe sagen: selbstverständlich) auch nicht immer bahnbrechend neu – aber in ihrer Kombination fast immer frisch kontextualisiert und spannend. Und regelmäßig bieten sie auch wirklich neue Perspektiven zu bisher wenig gelesenen Texten des großen Denkers.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Hiram Kümper, Rezension von/compte rendu de: Petra Schulte (Hg.), Geld und Arbeit. Nikolaus von Kues und das ökonomische Denken im 15. Jahrhundert. Unter Mitarbeit von Alexandra Geissler, Köln (Böhlau) 2024, 374 S., 1 s/w Abb. (Zeitenwende, 1), ISBN 978-3-412-52724-2, DOI 10.7788/9783412527266, EUR 60,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109386