»Succéder n’est pas hériter« und »venir à la suite« ist nicht dasselbe wie »prendre la place«. Im Französischen werden die Unterschiede deutlicher als im Deutschen. Hingegen hat »succéder« nicht dieselbe Bedeutungsvielfalt wie »nachfolgen«, weshalb Joseph Morsel (»Succéder dans la société chrétienne latine. Rapport introductif«, 11–29) programmatisch den deutschen Begriff aufnimmt. Die vermeintliche Eindeutigkeit der Verbindung von Nachfolge und (dynastischem) Erbe zu dekonstruieren, ist eine der Zielsetzungen des Bandes.

Insgesamt 22 thematische Beiträge, ein Vorwort (Dominique Valérian, 7–9) und zwei methodische Einleitungen (Joseph Morsel; Vanessa van Renterghem, »Succéder dans les mondes musulmans médiévaux. Rapport introductif«, 31–43) sowie die gelehrten, bis zur Gegenwart ausgreifenden Reflexionen in der Zusammenfassung (Patrick Boucheron, »Quand la nuit succède au jour. Rêveries conclusives«, 385–400) öffnen die Diskussion für neue Horizonte. Die Beiträge sind in fünf Einheiten gegliedert: Rechnungen und Bilanzen; Dynastien, Normen und Praktiken; Historiographie und Theorie; Kirche; Ritualität und Legitimation, und sie umfassen den weiten Raum vom 5. bis zum 16. Jahrhundert. Schon deshalb findet der Band seine Stärke in quellennahen und methodisch stringenten exemplarischen Studien, hinter denen der Ansatz zu einer dichten Gesamtkonzeption zurücktritt.

Dass die europäische wie die orientalische (arabische) und byzantinische Welt erfasst werden, ist bemerkenswert. Bereits die Einleitungen zur lateinischen christlichen (europäischen) Gesellschaft einerseits (Morsel) und zur islamischen (arabischen) Welt andererseits (van Renterghem) markieren den transkulturellen Horizont, sie bleiben aber unverbunden und die transkulturelle Perspektive wird nur in Einzelbeiträgen partiell wieder aufgenommen. Umso bedeutender sind die Einsichten, die die Beiträge zur Ausformung familiärer Vernetzungen und zugleich einer davon gelösten Auswahl eines geeigneten Nachfolgers für Machtpositionen im arabischen Raum vermitteln (Clarck Junior Membourou Moimecheme, »Une compétition sous contrôle? La fabrique du successeur dans l’émirat de La Mecque [XIIIe‑XIVe siècle]«, 153–168; Enki Baptiste, »Succéder à l’imam dans l’ibadisme osmanais. Sources de légitimité d’un pouvoir en marge du califat [XIe–XIIe siècle]«, 339–353). Deutlich wird hier der häufig übersehene Zusammenhang von Nachfolge und Eignung (Idoneität) betont.

Er kennzeichnet auch die Vorbehalte und Zurückweisungen gegenüber fremden und unerwünschten Aspiranten auf eine Nachfolge im weltlichen wie geistlichen Umfeld und in letzterem die Entwicklung von Exklusionsmechanismen etwa gegen Klerikerkinder oder Häretiker (Isabelle Rosé, »Neophyta! Usage polémiques d’une hérésie de la succession épiscopale [seconde moitié du IXe siècle]«, 283–296; Arnaud Fossier, »L’impossible succession. Une approche juridique de l’hérédité en milieu clérical [XIIe–XIIIe siècle]«, 309–321; Lucile Queney, »Un étranger au pouvoir. Identités et légitimation dans les successions exogènes en Bretagne [IXe–XIIIe siècle]«, 355–368).

Auch die eingeschränkten Erbrechte und damit Handlungsspielräume von Frauen werden berücksichtigt, besonders in Verbindung mit der jüdischen Tradition (Chloé Bonnet, »Succéder ou prendre la place? Les veuves juives du Roussilon et de la Catalogne [XIVe siècle]«, 61–74) und den nochmals verminderten Ansprüchen von Witwen. Zugleich wird mit diesem Beitrag die im transkulturellen Kontext neben östlichem und westlichem Christentum sowie dem Islam oft vernachlässigte Geschichte des Judentums einbezogen (auch Emmanuel Bain, »Inventer sa succession dans l’exégèse médiévale [XIIe–XIIIe siècle]«, 201–214). Ein anderes Bild ergibt die vulnerable familiäre Nachfolgepraxis am byzantinischen Hof, bei der die Frauen der Kaiser von der Repräsentantin exklusiver Außenkontakte zu einem Faktor persönlich motivierter Instabilität wurden (Cristina La Rocca, »Planifier la succession royale et échouer. Le cas de Théodoric [489–526] et la compétition pour le règne en Italie«, 93–105).

Ungewöhnliche Nachfolgeverfahren sind an westeuropäischen Höfen zu beobachten, wie die Deutung der Herrschernachfolge als göttlich legitimierte Korrektur der Regentschaft des Vorgängers im Westgotenreich (Céline Martin, »Cuncta reparans. Recceswinth ou la succession réparatrice«, 107–121) oder die Brudernachfolge im hochmittelalterlichen England (Justine Audebrand, »Succéder à son frère? Pratiques de la succession dans les royaumes anglais du haut Moyen Âge [VIIe–XIe siècle]«, 123–137).

Dass man Nachfolgen ungern dem (dynastischen) Zufall oder der Faktizität von Machtansprüchen überließ, wird vielfach deutlich. Solitäre, persönlich motivierte Designationen waren wirksam, trugen im Ganzen aber nicht zur Strukturierung von Nachfolgeregelungen bei (Franck Collard, Lydwine Scordia, »Troubles de la succession royale sous Charles VII et Louis XI«, 169–182, auch Fanny Madeline). Normative Regelungen oder narrativ und wertgebunden konstruierte Legitimationsstrategien sollten ebenso Berechenbarkeit und Evidenz schaffen wie symbolische Inszenierungen oder suggestive Fiktionen, im höfischen und städtischen Kontext (Vincent Challet, »Cossols viels et novels. Succession et continuité au sein du consulat montpelliérain [v.1200–v.1450]«, 369–383; Madeline, »L’empire controversé. Interpréter les pratiques successorales des rois normands et Plantagenêt [1066–1199]«, 139–152; Marie-Céline Isaïa, »Succession des temps et cycle des astres. La conscience historique des hagiographes latins [VIe–XIe siècle]«, 185–199; Marie-Lise Fieyre, »Une parenté bien ordonnée. Succession, hiérarchie et pouvoir dans le Livre de la danse des aveugles et de l’abuzé en court [v.1480]«, 249–263; Julien Guerro, »Légitimer une dynastie princière par l’image. La succession entre Philippe le Bon et Charles le Téméraire [1467–1470]«, 233–247).

Dass Nachfolge auch figurativ oder autoritativ verstanden wurde und dann zwischen Imitation und Nachahmung stand, führt in die Welt der Kunst, Dichtung und Wissenschaft (Aude Mairey, »Succéder à Chaucer dans l’Angleterre du XVe siècle«, 215–231; dazu auch Guerro, Bain, Boucheron) und diejenige des Handwerks und seiner Meisterschaft (François Rivière, »Apprentis et héritiers. Règlements et pratiques de succession dans le monde des métiers en Normandie, XIIIe–XVe siècle«, 75–89; zur Nachahmung auch Guerro), als Negativfolie aber auch zur Furcht vor der charismatischen Wirkung von Häretikern (Fossier).

Kirchliche Nachfolgen unterlagen im Ganzen denselben Konfliktpotentialen wie weltliche und das Ideal der Unanimitas galt schon den Zeitgenossen als überholt gegenüber dem pragmatischen Mehrheitsprinzip (Umberto Longo, »Succéder au temps de la réforme de l’Église. Définition des procédures canoniques de l’élection pontificale entre le XIe et le XIIe siècle«, 297–307; dazu auch Rosé). Dies wurde allerdings auf kurialer Ebene von dynastischer Machtpolitik unterlaufen und auf episkopaler von Vorstellungen einer Amtssukzession und Funktionsnachfolge überformt (Pierre-Bénigne Dufouleur, »Les successions familiales dans le Sacré Collège au XVe siècle«, 323–335; Maria Cristina Carile, »Succéder au siège épiscopal de Ravenne [Ve–IXe siècle]«, 267–281).

Durch den weiten Berichtszeitraum und die thematische Vielfalt der Beiträge bietet der Band ein hohes Anregungspotential für den künftige Diskurs eines aktuellen Themas zur Geschichte der europäischen Vormoderne.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Martin Kintzinger, Rezension von/compte rendu de: Succéder au Moyen Âge. LIIIe congrès de la SHMESP (Rome, 26–29 mai 2022), Paris (Éditions de la Sorbonne) 2023, 423 p. (Histoire ancienne et médiévale, 194), ISBN 979-10-351-0899-1, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109387