Mit La Révolution française et les colonies dokumentiert Marc Belissa, wie die atlantische und karibische Geschichte nunmehr auch im Zentrum der französischen Revolutionsgeschichtsschreibung angekommen ist. Dazu führt er drei Forschungsfelder zusammen: Zunächst baut seine kompakte Synthese auf den Pionierwerken einer kolonialismuskritischen Revolutionsgeschichte von Yves Bénot und Marcel Dorigny sowie den jüngeren Beiträgen, etwa von Bernard Gainot und Clément Thibaut, auf.1 Zweitens erbringt das Buch eine wichtige Transferleistung der umfangreichen englischsprachigen Forschungsliteratur zur Haitianischen Revolution und revolutionären Karibik für ein breiteres französischsprachiges Publikum. Einschlägige spanisch- oder deutschsprachige Beiträge haben es indes nicht in die Bibliografie geschafft. Belissas Anspruch ist es, statt einer älteren universalistischen Geschichte der Verbreitung emanzipatorischer Prinzipien vom revolutionären Zentrum an die koloniale Peripherie eine histoire connectée des imperialen Raumes – und, in Ansätzen, von interimperialen Verflechtungen – zu schreiben. Drittens prägt Belissas Expertise für die internationalen Beziehungen der Ersten Republik und auf dem Gebiet der revolutionären Transformationsversuche des Völkerrechts seine Sicht auf die Revolution.2

Zu Beginn grenzt Belissa sein Verständnis des lien colonial klar von frankozentrisch-diffusionistischen Ansätzen ab und stellt die historiografischen Dynamiken auf dem Gebiet der Kolonialgeschichte seit dem Bicentenaire der Revolution 1989 heraus. So sehr er dabei die histoire croisée oder eine interimperiale Geschichte ins Feld führt, so sehr distanziert er sich zugleich von postkolonialen Interpretationen, die der Aufklärung und Revolution – und damit ihren Protagonisten – ein inhärent hierarchisch-rassistisches Menschen- und Weltbild bescheinigen. Stattdessen fordert Belissa historische Kontextualisierung ein und plädiert für ein pluralistisches Verständnis mehrerer Universalismen, denen der Glaube an die Machbarkeit von Fortschritt sowie an menschen- und völkerrechtliche Prinzipien von Emanzipation, Freiheit und Brüderlichkeit zugrunde lagen.

Zeichnet sich hier bereits ab, dass Belissa eine imperiale französische Revolutionsgeschichte bietet und keine Synthese zum Age of Revolutions – bezeichnenderweise kommt in seiner kolonialhistorischen Perspektive der Begriff »Haitianische Revolution« nicht vor –, so wird er im Schlusskapitel noch deutlicher: Hier positioniert sich Belissa sowohl gegen eine postkoloniale Dekonstruktion der Exzeptionalität der Revolution, die deren genuin emanzipatorischen Charakter infragestellt, als auch gegen eine geschichtspolitisch motivierte Relativierung der napoleonischen Kolonialpolitik, insbesondere der Wiedereinführung der Sklaverei 1802. Als Unterstützer Jean-Luc Mélenchons verortet Belissa diese Kolonialapologie beginnend bei Emmanuel Macron und politisch nach rechts ausgreifend. Bei aller deklarierten Abkehr von einer frankozentrischen Revolutionsgeschichte neojakobinischer Prägung verteidigt er seinerseits die Erste Republik nicht frei von Verzerrungen als »einzige abolitionistische Macht« (146) und Abschafferin der Sklaverei innerhalb eines gemeinsamen Revolutionsraums aus Metropole und Kolonien. Diese Emphase spiegelt seine früheren Interpretationen der Revolutionskriege und Schwesterrepubliken als Beiträge zu einem »kosmopolitischen« Völkerrecht wider, besitzt aber ihrerseits eine geschichtspolitische Dimension.

Die ersten vier Kapitel des Buches zeichnen die imperialen Entwicklungen zwischen Karibik und Indischem Ozean chronologisch nach. Der Schlusspunkt 1804 reagiert hier weniger auf die traditionellen Debatten, ob die Französische Revolution nun mit Napoléon Bonapartes Staatsreich, dem Konsulat auf Lebenszeit oder der Kaiserkrönung endete, sondern markiert die Proklamation der haitianischen Unabhängigkeit – wenngleich aber gerade nicht als »Republik«, wie auch von Belissa angenommen. Dass im Mittelpunkt der Darstellung die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und das Abolitionsdekret des Nationalkonvents von 1794 stehen und gegenläufige Dynamiken als »Siedlerterror« oder »Widerstände« beschrieben werden, lässt die interpretatorischen Leitplanken ebenso erkennen wie das Etikett »koloniale Reaktion« für die Konsulatszeit.

Es folgen sieben problemgeschichtlich gegliederte Kapitel, die sich einerseits als separate Synthesen lesen lassen, andererseits die Leitgedanken des Buches weiterführen. Sie verbinden wirtschafts-, sozial-, politik- und ideengeschichtliche Aspekte, wobei die metropolitane Perspektive stark bleibt. Auf die Rehabilitation aufklärerischer Universalismen in Form von Sklavereikritik und Abolitionismus verwendet Belissa einigen Aufwand, ebenso auf die Kolonialgesetzgebung der revolutionären Nationalversammlungen. Demgegenüber stehen dezentrierte Perspektiven aus den Kolonien selbst und die Handlungsmacht nichtweißer Akteure zurück. Fragen, wie republikanisch orientiert die Aufständischen in der Karibik waren und wer die Sklaverei in den Kolonien de facto abschaffte – die sich selbst emanzipierenden Versklavten, die überforderten Kolonialfunktionäre oder der Pariser Nationalkonvent3–, beantwortet auch Belissa zugunsten der metropolitanen Republik.

Differenzierter fällt der mobilitätsgeschichtliche Überblick zu geflohenen Sklaven, Deserteuren, Kriegsgefangenen, Flüchtlingen und Emigranten des siebten Kapitels aus, während das achte Kapitel die Kolonialhierarchien samt ihren Klassifizierungslogiken und Aufstiegsmöglichkeiten instruktiv beleuchtet. Wichtig im Lichte jüngerer Debatten ist das elfte Kapitel zu den kolonialen Kriegs- und Gewaltpraktiken, gerade in der sich zum Unabhängigkeitskrieg entwickelnden Schlussphase der »Révolution de Saint-Domingue« (273). Belissas Charakterisierung als »Massenmord« (269) könnte noch an Profil gewinnen, würde er die Kontroverse um den Caribbean genocide, auf die sie sich richtet, auch als solche ansprechen.4

In Summe macht das Buch wichtige Themen, Perspektiven und Befunde der französischen imperialen wie der atlantischen Geschichte der Revolutionsjahre einem französischsprachigen Publikum zugänglich. Die Trennung von chronologischem und thematischem Teil bietet darstellungspraktische und lesefreundliche Vorteile, entlastet aber auch die Revolutionsgeschichte von einigen ihrer grundlegenden Spannungen: zwischen abolitionistischen Diskursen und der Verbindung von Emanzipation und Terror, zwischen emanzipatorischem republikanischen Universalismus und der interimperialen Kriegslage oder zwischen republikanischem Durchsetzungsanspruch und kolonialem Kontrollverlust.

Das Fazit würdigt einmal mehr die entschädigungslose Sklavenemanzipation durch die jakobinische Republik 1794 und stilisiert, als Gegenfolie einer scharfen Napoleon-Kritik, Schwarze Kolonialakteure wie Toussaint Louverture zu Republikanhängern, als die sie eher in frankozentrischer Projektion erschienen. Weiterhin sind in Belissas Buch die eingefahrenen Bruchlinien zwischen Revolutions- und Napoleon-Historiografie zu erkennen. Vor diesem Hintergrund bildet die zu Beginn angekündigte Revolutionssynthese in kontextualisierender Absicht zugleich eine geschichtspolitische Intervention der 2020er-Jahre, die am Schluss noch einmal deutlicher benennen könnte, dass republikanische Emanzipation am Ende des 18. Jahrhunderts ein kolonialpolitisches Instrument darstellte. Auch über den Ausgangspunkt des Buches ließe sich konsequenter nachdenken: Als Fragestellung zentriert der Titel La Révolution française et les colonies stärker auf die metropolitanen Prozesse, als er dezentriert, und er setzt der Erklärungsreichweite Grenzen, die stärker von der mémoire als der histoire konturiert werden.

1 Yves Bénot, La démence coloniale sous Napoléon. Essai, Paris 1992; ders., Marcel Dorigny (Hg.), Rétablissement de l'esclavage dans les colonies françaises 1802. Ruptures et continuités de la politique coloniale française, 1800–1830, Paris 2003; Marcel Dorigny (Hg.), Les abolitions de l'esclavage. De L. F. Sonthonax à V. Schœlcher 1793, 1794, 1848, Paris 1995; ders., Bernard Gainot (Hg.), La colonisation nouvelle (fin XVIIIe‒début XIXe siècles), Paris 2018; Clément Thibaud u.a. (Hg.), L'atlantique révolutionnaire. Une perspective ibéro-américaine, Bécherel 2013.
2 Marc Belissa, Fraternité universelle et intérêt national (1713–1795). Les cosmopolitiques du droit des gens, Paris 1998; ders., Repenser l'ordre européen (1795–1802). De la société des rois aux droits des nations, Paris 2006.
3 Differenzierter Jeremy D. Popkin, You Are All Free. The Haitian Revolution and the Abolition of Slavery, Cambridge 2010.
4 Philippe R. Girard, Caribbean Genocide: Racial War in Haiti, 1802–4, in: Patterns of Prejudice 39 (2005), 138–161; ders., French Atrocities during the Haitian War of Independence, in: Journal of Genocide Research 15 (2013), 133–149.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Friedemann Pestel, Rezension von/compte rendu de: Marc Belissa, La Révolution française et les colonies, Paris (La fabrique éditions) 2023, 312 p., ill., ISBN 978-2-35872-265-0, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109487