Der jesuitische Ritenstreit provozierte um 1700 ein neuartiges Nachdenken über die geoffenbarte Zeitordnung. Wenn die frühesten chinesischen Quellen, die durch Missionare zugänglich wurden, nicht über die Sintflut sprachen: Waren sie dann weniger alt als die Jesuiten behaupteten; oder handelte es sich bei der Flut vielleicht gar nicht um ein universelles Ereignis? Solche Datierungsfragen und der Vergleich von Erfindungen, so von Papier und Buchdruck, legten ein Denken in Entwicklungsstufen nahe. Die Jesuiten nutzten dies, um die zivilisatorische Höhe der Chinesen hervorzuheben und die Akkommodation christlicher Riten an deren Bräuche zu legitimieren. Ihre Gegner werteten die ostasiatischen Leistungen ab gegenüber denen in monotheistischen Regionen wie dem Nahen Osten und vor allem Europa. In Ansätzen entstand so eine neue Zeitordnung neben der humanistischen linearen Trias von antiker Blüte über mittelalterlichen Niedergang zu neuzeitlicher Wiedergeburt und der dichotomischen »Querelle des Anciens et des Modernes« in Frankreich um 1700. Hierzu stießen nun konkurrierende Periodisierungen von Vergangenheiten auf anderen Weltteilen, deren Widersprüche in der aufklärerischen Universalgeschichte aufgehoben werden mussten.

Diese Integration war damit ein spezifisch frühneuzeitliches historiografisches Projekt, das auf die völlig neuartigen Dimensionen der interkontinentalen Kulturkontakte reagierte, die die Frühe Neuzeit auch in heutigen Epochendefinitionen charakterisiert. Um dieses Spannungsverhältnis geht es nicht nur Cornel Zwierlein mit seinem von reichem Quellenmaterial inspirierten Blick auf China, sondern vielen Autoren in dem von ihm mit Andreas Mahler herausgegebenen Tagungsband Zeiten bezeichnen. Die 17 Beiträge gehen auf eine Tagung zurück, in der die Fusion der altehrwürdigen Arbeitskreise zur Renaissance- und Barockforschung zum Wolfenbütteler Arbeitskreis Frühneuzeitforschung« mit einer insgesamt gelungenen und anregenden Bestandsaufnahme und Reflexion über diesen Gegenstand zelebriert wurde.

Die Institutionalisierung als Teilepoche und die Verbreitung des Begriffs erfolgten in der Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren. Die Herausgeber erklären die »Frühe Neuzeit« wenig überzeugend zu einem Kind des Kalten Krieges, weil sie den konzeptionellen Rahmen abgegeben habe dafür, dass Historiker aus der BRD und der DDR sich über Ereignisse wie den Bauernkrieg streiten konnten. Doch die sozialistische Historiografie orientierte sich nicht an einer neuartigen Epochendefinition, sondern an den auf Marx und Engels zurückgehenden Versuchen, die Geschichte als Dialektik von Revolutionen zu beschreiben, darunter die »frühbürgerliche« der Reformation. Außerdem etablierten sich Early Modern History, histoire moderne, storia moderna und analoge Epochenbezeichnungen in vielen europäischen Ländern unabhängig von der Deutungskonkurrenz des Kalten Krieges aus der Notwendigkeit, die politisch-ökonomischen Doppelrevolutionen um 1800 in einer oft durchaus teleologischen Deutung als kategoriellen Bruch zwischen Vormoderne und Moderne zu beschreiben. Hierzu wäre ein Beitrag von Justus Nipperdey hilfreich gewesen oder zumindest die kritische Auseinandersetzung mit ihm, der ein entsprechendes Epochenverständnis zumindest für die USA schon im frühen 20. Jahrhundert ansetzt.

Allerdings überschaut auch Zwierlein die Historiografie der erwähnten Länder wie wenige andere. Insofern kann man etwas bedauern, dass in diesem Band neben der deutschen die anglophone oder vielmehr anglistische Perspektive auf die Begrifflichkeit und ihre Verwendung vorherrscht: im Hinblick auf den Mediengebrauch und die Rolle des Buchdrucks als Periodisierungsinstrument (Ingo Berensmeyer), vor allem für die Literaturgeschichte (auch Felix Sprang), das Theater (Anne Enderwitz) oder die Wissenschaftsgeschichtsschreibung mit ihren Innovationen (Florian Klaeger). All das sind Fallstudien, die sich für einen transnationalen oder komparativen Ansatz anbieten, ja aufdrängen und (nur) dann dem Untertitel »europäische Geschichte und globale Gegenwart« wirklich gerecht würden. Jörn Steigerwald trägt eine französische Perspektive bei, nämlich Charles Perraults neuartige Setzung und Zuschreibung eines Jahrhunderts als Epoche für sich: »Siècle de Louis XIV«.

Auf die Renaissance fokussieren Reinhard Strohm und Bernd Kulawik und widerlegen die Gründungslegenden, wonach das Studium der Musik und der Architektur damals im Wortsinn »wieder geboren« worden sei. Die entsprechenden Wissenschaften, auf die man hätte zurückgreifen können, hatte es in der Antike noch gar nicht gegeben. Wer sich auf das Altertum bezog, wollte seine Forschungen nobilitieren, folgte aber nicht zwingend dem Vorbild der Alten.

Auf der deskriptiven Ebene vertritt Martin Gabriel den Standpunkt, dass man in der Geschichtsschreibung etwa über Lateinamerika durchaus von einer globalen Frühen Neuzeit reden könne, selbst wenn die abendländische Trias mit ihrem Antikenbezug für diese irrelevant sei. Auch sonst raten die meisten Autoren zu einer pragmatischen Verwendung von Epochenbegriffen und konkret demjenigen der Frühen Neuzeit. Es handle sich um problematische, umstrittene und stets neu zu definierende, aber unumgängliche Werkzeuge der Historiografie. In diesem Sinn legt Thomas Martin Bück ihre epistemologische, narratologische, heuristische und didaktische Funktion dar. Zugleich hält er fest, dass man die Epochen nicht zu einem Erkenntnisziel machen sollte. Ähnlich warnt Daniel Woolf vor der inhärenten Teleologie und der Essentialisierung von Epochen, die aber nicht nur durch ihre Fetischisierung droht. Erkenntnistheoretisch naiv ist auch die Gegenposition, dass es eine »echte« Geschichte jenseits der Zwänge und Unschärfen von verallgemeinernden Konzepten geben könnte, zu denen – auch – Epochenbegriffe zählen. Dass sie, wie Achim Landwehr meint, insofern Einheitlichkeit beanspruchen, als alles, was in ihnen vorkommt, zu ihnen gehöre, ist eigentlich nicht zwingend. Ob sein weicherer Begriff einer »Zeitschaft«, die »Abweichendes oder Störendes« mit umfasst, letztlich notwendig und hilfreicher sein wird als Periodisierungen, muss sich noch weisen. Auf die »Zeitgenossenschaft« richtet dagegen Susan Richter ihren Blick und gibt damit einen Vorgeschmack auf ihre umfassendere Studie über Rétif de la Bretonne und Sébastien Mercier, die 2025 erscheint.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Maissen, Rezension von/compte rendu de: Andreas Mahler, Cornel Zwierlein (Hg.), Zeiten bezeichnen. Frühneuzeitliche Epochenbegriffe: europäische Geschichte und globale Gegenwart/Labelling Times. The »Early Modern«. European Past and Global Now, Wolfenbüttel 2023, 388 S., 7 s/w Abb. (Wolfenbütteler Forschungen, 177), ISBN 978-3-447-12072-2, EUR 74,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109504