Die vorliegende, von André Holenstein an der Universität Bern betreute Dissertationsschrift von Sarah Rindlisbacher Thomi untersucht die Kontakte und europäischen Informationsnetzwerke von sechs profilierten Zürcher Theologen und deren Funktion für Rat, Geistlichkeit und familiäre Netzwerke im Verlaufe des 17. Jahrhunderts. Es geht also um die in der jüngeren Forschung vielfach thematisierten Außenverflechtungen eines frühneuzeitlichen Herrschaftsraums. Der Stand Zürich verfügte wie die übrigen eidgenössischen Stände über kein System von Ambassaden und Residenturen, um Informationen zu erlangen und eigene Interessen vertreten zu können. Diese Aufgabe erfüllten vorwiegend die von der Autorin als informelle Akteure der Außenbeziehungen bezeichneten Personenkreise: Solddienstunternehmer, Handelsleute oder eben auch die hier behandelten Theologen. Dies ist grundsätzlich bekannt, ebenso wie das distinkte soziale Profil der Zürcher Geistlichkeit und deren exzeptionell hoher Einfluss auf Entscheidungsbildungsprozesse der Obrigkeit. Im ersten Abschnitt der Arbeit werden diese Erträge der älteren Forschung kenntnisreich dargestellt. Die Leserinnen und Leser werden konzise in die Institutionengeschichte Zürichs, die Entwicklung der sogenannten reformierten Orthodoxie, sowie die Positionierung der Stadt im eidgenössischen und europäischen Machtgefüge eingeführt – allein dies macht das Buch zu einem unverzichtbaren Referenzwerk. Zugleich gelingt es der Autorin zu verdeutlichen, wie wenig wir noch immer über die Netzwerke der Theologen, die Praktiken des Informationsaustausches und die Entwicklung einer theologisch-politischen Sprache in Zürich wissen. Dabei wären diese Forschungsergebnisse, wie sie zurecht erklärt, im hohen Maße anschlussfähig gegenüber der jüngeren Diplomatiegeschichte ebenso wie der Konfessionalisierungsforschung.

Methodisch an die Netzwerkanalyse und die Intellectual history anknüpfend, analysiert die Autorin ein beeindruckend breites Quellenkorpus, das vornehmlich (aber nicht ausschließlich) die umfangreichen Korrespondenzen, Predigten, Gutachten und gelehrten Werke der besagten sechs Theologen umfasst. Die getroffene Auswahl orientiert sich an der Prominenz der Akteure – Rindlisbacher-Thomi hat über einen Zeitverlauf von rund 100 Jahren jene Geistlichen näher untersucht, die über herausragende internationale Reputation ebenso verfügten wie über enge Kontakte zu Bürgermeistern und Ratsschreibern. Wie jede Auswahl ist auch diese ebenso notwendig, wie anfechtbar. Zahlreiche, überaus einflussreiche Vorsteher der Zürcher Kirche wie Burkhard Leemann oder Johann Caspar Waser werden dadurch zu Randfiguren, andere wie der nicht minder bedeutsame Chronist und Sammler von Informationen zur europäischen Politik Johann Heinrich Fries tauchen überhaupt nicht auf.

Ungeachtet der starken Bezogenheit auf Einzelakteure widersteht die Autorin der Versuchung, ihre Studie chronologisch aufzubauen. Der Analyseteil gliedert sich vielmehr in drei sachlich geschiedene Teile, in denen die Geistlichen aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen betrachtet werden.

Im ersten dieser Abschnitte legt sie den Fokus auf die Netzwerke ihrer Protagonisten und die Praktiken, mit denen diese Netzwerke gebildet, stabilisiert und gepflegt wurden. Caspar Waser (1565‑1625) etwa verfügte über ausgezeichnete Kontakte in den englischsprachigen Raum, die noch aus seiner Studienzeit in Basel stammten, hinzu kamen Freundschaften zu Theologen in protestantischen Reichsständen. Viele seiner Korrespondenten schrieben ihm wöchentlich – wenn nicht öfter, was ihn zu einem der bestinformierten Männer in Zürich machte. Je dichter sein Netzwerk war, umso mehr Informationen konnte er seinen Korrespondenten bieten, was wiederum Diplomaten und Gelehrte in ganz Europa dazu motivierte, in dessen Netzwerk aufgenommen zu werden. Der spätere Reichskanzler Oxenstierna machte auf seiner Grand Tour 1603 in Zürich halt, um Waser kennenzulernen. Die hier geschilderten Mechanismen waren – bei aller Differenz im Detail – grundsätzlich auch bei den übrigen untersuchten Protagonisten zu beobachten. Ein sich bei ihnen allen zunehmend herausbildender geographischer Schwerpunkt ihrer Kontakte lag in den Niederlanden. Deren Diplomaten nahmen ihrerseits bevorzugt mit Theologen Kontakt auf und versuchten diese zu einer Stellungnahme in ihrem Sinne zu bewegen – mit Erfolg, wie das Beispiel des Antistes Antonius Klingler (1649–1713) zeigte, dessen Engagement die Solddienstkapitulation mit den Niederlanden 1693 nach Einschätzung der Zeitgenossen ermöglicht hatte.

Als Akteure, die nicht in die Disziplin des Ratsamtes eingebunden waren, waren die Theologen für Diplomaten attraktive Kontaktstellen. Sie konnten Vertraulichkeit versichern und andererseits Informationen liefern, die ein Senator kaum in Worte kleiden oder problemlos weiterleiten konnte. Dies galt etwa für die Weitergabe geheimer Dokumente, aber auch für informelle Vorinformation bei Verhandlungen, sowie die Versicherung, beim Rat auf eine Entscheidung mit Sinne des Korrespondenzpartners hinzuwirken. Pieter Valkenier (1641–1712), Gesandter der Niederlande, bedauerte denn auch 1689 ausdrücklich, dass nicht mehr der Theologe Johann Heinrich Heidegger sondern der Senator Johann Heinrich Rahn den Kontakt mit ihm pflegte. Dessen ungeachtet verwies der Wechsel von Heidegger auf Rahn auf die auch in anderen Fällen zu beobachtenden Versuche, weitere Zürcher Protagonisten in die personalisierten Netzwerke einzubinden und sie damit zumindest tendenziell anschlussfähig und perpetuierbar zu machen.

Neben die vertrauliche Informationsbeschaffung trat die publizistische Verbreitung von Nachrichten, aber auch die gezielte Beeinflussung von Entscheidungsträgern. Nachrichten wurden gebündelt und regelmäßig in Form von Zirkularschreiben an Amtsbrüder und andere Interessenten weitergeleitet. Geistliche verfassten Flugschriften, Lobgedichte, Traktate, Predigten und beeinflussten die Zensur im Sinne ihrer Position und der ihrer Kooperationspartner. In Gutachten aber auch in den sogenannten Fürträgen – einer institutionalisierten Form der politischen Zwangsberatung durch den Antistes – schalteten sich Geistliche zudem direkt in den politischen Entscheidungsbildungsprozess ein.

Es blieb nicht bei gesprochener, geschriebener und gedruckter Einflussnahme. Pastoren organisierten Auslandsreisen für Ratsverwandte, stellten Gesandten Unterkünfte zur Verfügung, waren bei der Briefübermittlung behilflich und organisierten diplomatische Treffen, wie jenes zwischen dem englischen Gesandten Coxe und Vertretern des kaiserlichen Militärs im Jahre 1690. Geistliche waren aber auch direkt in diplomatischer Mission tätig. Johann Heinrich Hottinger (1620–1667) z. B. verfügte anders als die Senatoren über gute Kontakte etwa in die Pfalz, und zwar nicht nur zu den Professoren in Heidelberg, sondern auch zum Kurfürsten mit dem er sich über nahöstliche Numismatik auszutauschen pflegte. Als der Rat 1663 einen Vertreter durch das Reich sandte, um im Falle eines innereidgenössischen Krieges Möglichkeiten militärischer Unterstützung zu sondieren, fiel seine Wahl denn auch auf den Theologen.

Dessen ungeachtet standen die Geistlichen unter Legitimationsdruck – es stellte sich die Frage, wie sie angesichts der selbst postulierten Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Schwert ihre Intervention rechtfertigen konnten. Die Autorin sucht in dem nun folgenden Abschnitt nach Legitimationsstrategien und Motivationen der Akteure. Zürichs Geistliche, so kann sie nachweisen, hielten ungewöhnlich intensiv und lange an der Forderung nach einer konfessionellen, einer reformierten Bündnispolitik fest. Die Autorin gibt dafür eine Reihe von Gründen, wobei der wichtigste wohl in der sich mit dem Edikt von Fontainebleau verschärfenden Gegnerschaft der Geistlichen gegenüber Frankreich bestand – dem bevorzugten Bündnispartner der katholischen Eidgenossen. Anders als in Alten Reich überlagerten und verstärkten sich daher Konfessionelle und bündnispolitische Antagonismen in der Eidgenossenschaft auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die beständigen bis weit in das 18. Jahrhundert fortdauernden konfessionellen Spannungen vor allem in der Ostschweiz, die kirchlich und ökonomisch eng mit Zürich verbunden war, trugen dazu bei, dass sich diese Interessenlage nicht abschwächte. So kann die Autorin für die letzten drei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts nicht eine Abschwächung sondern eine Intensivierung eines politischen Biblizismus feststellen, der sich in den 1620er-Jahren entwickelt hatte. Die ein Wächteramt beanspruchenden Geistlichen rekurrieren dabei in sich laufend wandelnden Kombinationen immer wieder auf die bedrohte Gemeinschaft der Heiligen, die Hausgenossen Gottes, den Leib Christi, das Gemeine Evangelische Wesen. Die Zürcher »Mutterkirche« sei im besonderen Maße für dessen Wohlergehen verantwortlich. Zwar hätten Zürcher Theologen auch Modelle der wechselseitigen konfessionellen Anerkennung und damit der Möglichkeit der Koexistenz entwickelt, vorherrschend sei jedoch eine apokalyptische Weltwahrnehmung gewesen, die die vielbeschworene Kirche Gottes kurz vor der Auslöschung sah.

Wie konnte die Geistlichkeit überhaupt einen solch starken Einfluss auf politische Entscheidungen erhalten und welche Folgen hatte dies für das Verhältnis von Obrigkeit und Geistlichkeit? Die Züricher Pastoren bildeten, so die Autorin, keinen endemischen, durch Selbstrekrutierung geprägten Stand, was Rivalitäten mit dem Rat von vornherein einschränkte. Bürgermeister bzw. Ratsschreiber und mit Außenbeziehungen beschäftigte Geistliche kooperierten insofern eng und im wahrsten Sinne des Wortes familiär miteinander, wobei der Familienverband durch Patenschaften und Heiraten erweitert werden konnte. Insofern stellte sich die Frage, ob hier wirklich Geistlichkeit und Obrigkeit miteinander kooperierten oder ob nicht vielmehr die ausgewählten Geistlichen nur Teile von Familiennetzwerken waren, die mit ihren Ratsverwandten kooperierten und mit Geistlichen, die an andere Familien gebunden waren, nur begrenzt Informationen austauschten. Die Frage ist also, wie stark die Bindungskräfte von Stand und Institution gegenüber Familienloyalitäten waren. Die Autorin wirft diese Fragen auf und gibt vorsichtig abwägende Antworten.

Diese abschließende Beobachtung ist bezeichnend für die hervorragend recherchierte und sauber argumentierende Studie, die holzschnittartige Schlussfolgerungen und Thesenbildungen sorgfältig vermeidet. Die Autorin hat stets die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes im Blick. Gleichwohl bettet sie ihn gekonnt in die aktuelle Forschungsdiskussion ein. Rindlisbacher Thomis Analyse zeigt die Spielräume einer kleinen, aber europäisch gut vernetzten, einflussreichen geistlichen Elite auf, die eigene Akzente sozialer Profilierung, politischen Handelns und politischen Sprechens entwickelte. Der Arbeit ist eine breite Rezeption zu wünschen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Lau, Rezension von/compte rendu de: Sarah Rindlisbacher Thomi, Botschafter des Protestantismus. Außenpolitisches Handeln von Zürcher Stadtgeistlichen im 17. Jahrhundert, Göttingen (Wallstein) 2022, 591 S., 2 Abb. (Frühneuzeit-Forschungen, 23), ISBN 978-3-8353-5236-0, EUR 59,90., in: Francia-Recensio 2025/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109506