Der vorliegende Band widmet sich in 15 Beiträgen verschiedener Disziplinen dem Jüngsten Gericht. Mit dem Fokus auf die Frühe Neuzeit wird dabei eine Perspektive präsentiert, die im Vergleich zum stark beforschten Jüngsten Gericht im Mittelalter bisher wenig Beachtung fand. Der Band ist das Ergebnis einer Tagung, die auf eine gemeinsame Unternehmung des Graduiertenkollegs Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit (Universität Hamburg) und der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek in Wittenberg zurückgeht.
In einem knappen Vorwort skizziert Johann Anselm Steiger anhand von Forschungsfragen das Interesse des Bandes. Zu lesen ist, dass der Band sich eine Orientierung an aktuellen Fragen der geisteswissenschaftlichen und theologischen Forschung zum Ziel setzt: Es geht um die materielle Kultur und die Medialität der Gerichtsdarstellungen, um Frömmigkeitskulturen und miteinander ringende Konfessionen. Da diese Aspekte aus verschiedenen Disziplinen heraus angegangen werden, ist ein anregendes und facettenreiches Leseerlebnis zu erwarten. Neben den zahlreichen Abbildungen, die – wenngleich in s/w gehalten – in einer guten Qualität gedruckt und damit mehr als brauchbar sind, runden zwei Register den Band ab. Insbesondere das Register der aus der Bibel zitierten Stellen lädt dazu ein, den Band noch einmal anders zu erschließen.
Die Beschäftigung mit dem Jüngsten Gericht im Kontext der Frühen Neuzeit ergibt sich in diesem Band aus dem reformatorischen Verständnis vom Endgericht. Denn letzteres ist im Luthertum und damit anders als noch in der vorkonfessionellen Zeit kein alle Menschen betreffendes Universalgericht. »Vielmehr dürfen alle Glaubenden gewiß sein […], daß sie am Jüngsten Tag kein Verdammnisurteil zu hören bekommen, sondern ihnen der Eingang in die ewige Seligkeit unumstößlich in Aussicht seht« (57). Entsprechend beschäftigen sich gleich mehrere Beiträge mit der Bedeutung und Funktionalität der »Drohkulisse« Jüngstes Gericht im Luthertum (Cremer, Steiger, Höffler, Michels).
Konfessionsübergreifend ist die Frage nach der visuellen Vermittlung des Gerichts ein wiederkehrendes Thema des Bandes. Dass bildliche Darstellungen und geistliche Spiele auch noch in Zeiten der Konfessionalisierung wichtige Elemente der Vermittlung der Gerichtsthematik waren, wird in den bearbeiteten Fallbeispielen ebenso deutlich wie die auf die jeweilige Glaubenslehre abgestimmte Konfiguration dieser Darstellungen (Föcking, Höffler, Jahn, Kociumbas, Lipperheide, Malec, Smith). Ausgehend von diesen und weiteren Formen der Vermittlung eröffnet sich dann der Blick auf Praktiken, die zur Vorbereitung auf das Jüngste Gericht respektive dem Jüngsten Tag dienen, wozu barmherziges Handeln (Steiger) ebenso gehören kann wie der Rückzug (Lipperheide) oder die immer wieder aufscheinende Notwendigkeit religiöser Unterweisung (u. a. Kociumbas, Michels).
Auch mit der Erwartung des Jüngsten Gerichts selbst und den mit seinem Eintreten verbundenen Erwartungen und Hoffnungen beschäftigen sich die Beiträge des Bandes (Beyerle, Cremer, Steiger). So eröffnet sich ein über verschiedene Medien erschließbares Spannungsfeld, das sich zwischen dem Gericht als Entscheidungsereignis, der gleichzeitigen Deutung als freudig zu erwartender, gnadengetragener Erlösungsmoment voller Erhabenheit und dem Schrecken des Urteils aufspannt (Haiawi, Steiger). Inwiefern auch Alltagsbezüge bei der Ausformung des Gerichts und seiner Darstellungen eine Rolle spielen, lässt sich in verschiedenen Beiträgen nachverfolgen (Beyerle, Föcking, Kociumbas, Kurzmann, Malec).
Eine Anbindung der Gerichtsthematik und ihrer Ausdeutung an weitere zeitgenössische Themen werden ebenfalls in den Blick genommen. So geht es um die Erschließung der Gerichtsthematik durch die Aufklärung (Pohlig), die Verknüpfung mit Mechanik und Naturwissenschaft (Malec) oder die Einbettung in zeitgenössische Tendenzen der Musik (Huck), aber mit dem Beitrag von Stefan Beyerle auch um Wortgebrauch, allerdings in der jüdischen Antike.
Die an dieser Stelle nur kurz skizzierbare Vielfalt der Perspektiven ist eine große Stärke des vorliegenden Bandes. Zugleich bleiben die Bezüge der Beiträge zueinander oftmals offen. Wünschenswert wäre daher eine etwas umfangreichere Einführung, die die Ergebnisse der einzelnen Beiträge in einer dezidiert interdisziplinären Perspektive zusammenführt und so zumindest einen vogelschauartigen Überblick über die thematische Landkarte der Gerichtsvermittlung und -rezeption in der Frühen Neuzeit liefert.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Daniela Wagner, Rezension von/compte rendu de: Johann Anselm Steiger, Ricarda Höffler (Hg.), Das Jüngste Gericht in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Göttingen (V&R) 2023, 433 S., 103 Abb. (The Early Modern World, 7), ISBN 978-3-8471-1554-0, EUR 65,00., in: Francia-Recensio 2025/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109511





