Die Historiographie zur Revolution von 1848 ist im Moment dabei, ihre geographischen Perspektiven zu erweitern. Zum Zeitpunkt des letzten Jubiläums vor 25 Jahren standen vor allem nationale Erfahrungen im Mittelpunkt; Vergleiche verschiedener nationaler Erfahrungen oder gar europäische Geschichten, wie sie etwa Jonathan Sperber 1994 vorgelegt hatte, waren eher selten. Seither sind eine ganze Reihe auf weite Teile oder ganz Europa bezogene Darstellungen erschienen, etwa von Mike Rapport, Alexandra Bleyer und – am umfassendsten – von Christopher Clark. Les mondes de 1848 geht einen Schritt weiter und fragt nach globalen Implikationen und Verflechtungen. Formal bewegt sich das Buch zwischen dem Modell der Histoire mondiale de la France (2017) mit ihren konzisen Abschnittseinführungen und kurzen Beiträgen und dem klassischen Sammelband. Es gibt vier konzise Abschnittseinleitungen und acht mit »focus« überschriebene Interventionen sowie 19 längere Aufsätze. Der Band ist in vier größere Teile gegliedert. Der erste – »Déseuropéaniser 1848?« – enthält eine Einleitung von M. Middell und M. Maruschke zu historiographischen Perspektiven und dem Ort der Jahre um 1848 im Prozess der Globalisierung, gefolgt von Beiträgen zu indigenen Aufständen in Mexiko um 1848 (R. Lira), den Goldfunden in Kalifornien (E. Perez-Tisserant), der algerischen Revolution von 1848 (C. Fredj) und zur Betrachtung »des Südens durch den Süden« am Beispiel von Aufständen in Südafrika, Mauritius und Ceylon (S. Sivasundaram).

Der zweite Teil diskutiert die Zirkulation von Ideen und Erfahrungen am Beispiel Lateinamerikas (J. Myers), emanzipatorischer Kolonialisationskonzepte (C. Thibaud), der Verbindung zwischen Abolitionismus und Feminismus in den Seneca Falls Treffen (H. Quanquin), der Chartisten (P. Pickering), Australiens und Neuseelands (F. Bensimon) und den millenaristischen Erwartungen, die auf Pius IX. projiziert wurden (I. Veca).

Der dritte Teil hat den stringentesten thematischen Fokus: Die Abschaffung der Sklaverei, die 1848 von der französischen Republik verkündet wurde. Dabei geht es einerseits um die Entschädigung der Sklavenhalter mit ihren regional sehr unterschiedlichen Auswirkungen (M. Cottias). Andererseits werden kontextualisierte Fallstudien präsentiert. So zeigt M. Oualdi am Beispiel von Algerien, dass es sich bei der Emanzipation im arabischen Kontext nicht um eine Pionierleistung handelte. N. Sobrevila diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der französischen Erfahrung und ähnlichen Gesetzen in Südamerika. Insgesamt wird konstatiert, dass Sklaverei weiter existierte, so dass ihre Abschaffung erheblich später bekräftigt werden musste, bis sie wirklich zustande kam. In Senegal reagierten benachbarte Territorien auf die Aussicht, dass ihre Sklavinnen und Sklaven in das freie Territorium fliehen könnten, mit einer Aussetzung von Exporten, bis die Verwaltung diese Bedenken durch eine Schließung der Grenzen für Sklavinnen und Sklaven von außerhalb zerstreute. In einem der Fokus-Beiträge wirft J. Marquet die interessante Frage auf, warum es selbst in Frankreichs indischen Kolonien, also in einer Gesellschaft ohne Versklavung, 1848 nicht gelang, eine Gesellschaft staatbürgerlicher Gleichheit zu schaffen.

Der vierte Teil beschäftigt sich unter dem Titel »Échos, réverbérations, indices« vor allem mit den Reaktionen auf 1848 in den Teilen der Welt, in denen es zu keinen unmittelbar mit den Revolutionen verbundenen Veränderungen kam: mit der russischen Mobilmachung gegen revolutionäre Einflüsse (J. Becker), den Aufständen auf dem Balkan (A. Y. Kaya), den USA zwischen mexikanischem Krieg und Goldfunden (S. Villerbu) sowie Brasilien (A. J. Roithmann) und Kuba (R. Sánchez).

Manche dieser Artikel könnten auch unter anderen Überschriften platziert werden; gerade dadurch, dass er die Schwierigkeiten der Kategorisierung offensichtlich werden lässt, macht der Band aber das große Potential seines Ansatzes deutlich. Es lohnt sich offenkundig, die Frage nach der globalen Bedeutung von 1848 zu stellen, unabhängig davon, ob am Ende als Antwort das eher zufällige Zusammentreffen von Aufständen oder Spannungen konstatiert wird (so bei E. Fiquet in einem Fokus-Beitrag zu Äthiopien) oder der Nachweis direkter Verbindungen gelingt, etwa zwischen abolitionistischen und anti-abolitionistischen Maßnahmen. Die Revolutionen in Europa hatten überraschende intellektuelle Verbindungen zur Folge, z. B. das Bild Pius IX. als einer von Joachim von Fiore angekündigten Endzeitfigur in Europa und Südamerika. Sie beeinflussten Netzwerke und Symbole, etwa in den Goldräuschen Australiens und Kaliforniens, wobei in Australien die Furcht vor europäischen Agitatoren instrumentalisiert wurde.

Manche dieser Beziehungen wie die Verbindungen zwischen Europa und Südamerika sind im Prinzip bekannt. Andere machen weitere Forschungsperspektiven sichtbar; das gilt etwa für die Folgen der Diskurse und Ereignisse für indigene Gemeinschaften oder die Frage nach der Bedeutung der Lücke, die (auch in diesem Band) mit Blick auf China und Japan besteht.

Insgesamt wirft der Band weitergehende Fragen auf, die er mal direkt, mal indirekt thematisiert. Die chronologischen Grenzen der Beiträge stellen ein Plädoyer dafür dar, eine chronologisch breitere Definition von »1848« zugrunde zu legen, die sowohl eine längere Vorgeschichte von Spannungen, Revolutionen und Diskussionen als auch eine längere Nachgeschichte von Reformvorhaben, Reformmaßnahmen, Exil- und Verfolgungserfahrungen bis mindestens in die 1850er‑Jahre umfasst. So zeigt Bensimon, dass die australischen Reaktionen auf 1848 – Furcht vor französischen Angriffen und Forderung nach mehr demokratischer Teilhabe statt ministerieller Tyrannei – nur vor dem Hintergrund der Pläne für eine Wiederaufnahme der Deportationen von Verurteilten aus Europa verständlich sind, die 1846 beschlossen wurde. Er dokumentiert auch, dass dies bis weit in die 1850er‑Jahre nachwirkte, wegen der Präsenz von Chartisten auf den Goldfeldern, aber auch in einer Furcht vor einer unbritischen Revolution, die Symbole (wie den Entwurf einer alternativen Flagge) delegitimierte, die in den Debatten von 1846 breite Unterstützung hatten.

Zweitens wirft das detaillierte Panorama von globalen Aufständen, Unruhen, Verfassungs- und Freiheitsdebatten um 1848, die nur zum kleineren Teil ganz unmittelbar aufeinander bezogen waren, die Frage nach den Verbindungen zwischen den vielen Orten und Arten der Revolution, der Unruhe oder auch nur der Verunsicherung auf. Middell und Maruschke deuten die Richtung einer Antwort an, indem sie auf den Stand der Globalisierung verweisen. In anderen Beiträgen wird das Thema eher indirekt sichtbar. So verweist Kaya auf die starke Deflation im Osmanischen Reich, die vermutlich eng mit den wirtschaftlichen Folgen der Revolutionen zusammenhing und die etwa in Bosnien auf eine Agrarwirtschaft im Prozess der stärkeren kapitalistischen Marktorientierung traf, was zu Aufständen beitrug. Insofern zeigt sich auch in der Distanz des globalen Blicks, dass jede Revolution etwas anders war, aber dass es durchaus gute Gründe gibt, von einer revolutionären Erfahrung zu sprechen. Der Band entfaltet somit zahlreiche Anregungen, die hoffentlich von der weiteren Forschung intensiver aufgegriffen werden können.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Andreas Fahrmeir, Rezension von/compte rendu de: Quentin Deluermoz, Emmanuel Fureix, Clément Thibaud (dir.), Les mondes de 1848. Au-delà du printemps des peuples, Ceyzérieu (Champ Vallon) 2023, 349 p. (Époques), ISBN 979-10-267-1065-3, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2025/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109736