Der Titel des Buches ist natürlich dem gleichnamigen Film Au revoir, les enfants (1987) von Louis Malle entlehnt, denn die Thematik, die im Mittelpunkt dieser Biografie steht, ist eine ähnliche, wenn auch eine viel komplexere. Als Leiter von Heimen für jüdische Kinder aus Deutschland und dem »angeschlossenen« Österreich, die 1938 mit den Kindertransporten nach Frankreich gekommen waren und vom Œuvre de secours aux enfants (OSE) betreut wurden, setzte sich der Reformpädagoge und Sozialist Ernst Papanek für diese Kinder ein und konnte später 253 von ihnen durch die Ausreise nach Amerika vor der Deportation retten.
Auf der Basis bestehender Publikationen, von Archivrecherchen und Interviews mit Zeitzeugen, darunter mit den Kindern Papaneks sowie einigen der von ihm geretteten Kinder, vollzieht Lilly Maier in dem reichhaltig durch Fotos illustrierten Buch eine multidimensionale Geschichte nach. Diese wird fast so spannend erzählt, wie sie die Beteiligten wohl erlebt hatten: Die persönliche Geschichte Ernst Papaneks, seiner Frau Lene und der gemeinsamen Söhne Gus und Schorschi, seiner politischen Aktivität als Sozialist in Österreich und im Exil, seines Engagements für die jüdischen Kinder zunächst in Frankreich, seiner Reformpädagogik dort in den Ferien- und Kinderheimen, der eigenen Verfolgung und Inhaftierung, der erst gescheiterten und dann gelungenen Ausreise in die USA, der Gewissensbisse, seine Schützlinge in Frankreich zurückgelassen zu haben, bevor er dann doch noch viele von ihnen retten konnte. Und dann geht es nicht nur um die politische, sondern auch um eine Gesellschaftsgeschichte der beteiligten Länder, und nicht nur im Hintergrund.
Papaneks Biografie war eine Odyssee zwischen der eigenen Verfolgung und Hilfe für andere Verfolgte. Nach dem austrofaschistischen Putsch 1934 musste er Österreich verlassen und arbeitete zunächst in der Tschechoslowakei in der Exilorganisation der österreichischen Sozialisten, während seine Familie in Wien blieb, seine Frau Lene war Ärztin in einer Klinik. Seit 1936 war er bei der Organisierung von Hilfslieferungen für die Genossen im spanischen Bürgerkrieg aktiv. Im Sommer 1938 kam die Familie im Pariser Exil wieder zusammen. Dort fand Papanek eine Anstellung bei der OSE als Leiter eines Kinderheims in Montmorency, die Auffangstation für jüdische Kinder aus einem »Kindertransport« war, dem noch weitere folgen sollten. Papanek setzte durch, dass die Heime nicht nur eine Zwischenstation werden sollten, denn er erkannte deren sozialpsychologische und pädagogische Bedeutung: »Die OSE-Schützlinge fühlten sich durch die Gemeinschaft mit gleichaltrigen Schicksalsgenossen weniger isoliert und machtlos«, schrieb Papanek später (105). Die antiautoritäre Erziehung, die er dort praktizierte, stieß dagegen zunächst auf heftigen Widerstand seitens der OSE, doch Papaneks Experiment erregte internationale Aufmerksamkeit und Zustimmung.
Nach Kriegsausbruch wurde Papanek wie die meisten anderen étrangers indésirables in verschiedenen improvisierten Lagern interniert. Durch Fürsprache der OSE wurde er bereits am 4. November 1939 wieder entlassen, doch die Visa für Amerika, die die Familie erhalten hatte, waren abgelaufen. Nach dem Waffenstillstand mussten die Heime der OSE in die »freie Zone« im Süden umziehen, und Papanek kam nach Montintin bei Limoges.
Doch mit seiner Biografie als bekannter österreichischer Sozialist, im Spanischen Bürgerkrieg engagierter Exilaktivist, zudem Jude, kam Papanek auf die Auslieferungsliste. Der sozialistische Bürgermeister von Limoges warnte ihn rechtzeitig, und so musste die Familie erneut versuchen, nach Amerika zu kommen. Die Organisation der Ausreise von Marseille über Lissabon nach New York, nur durch Beziehungen ermöglicht, gestaltete sich für die Papaneks so, wie in Anna Seghers’ Roman Transit (1944) beschrieben. Von Amerika aus gelang es Papanek dann unter Einschaltung verschiedener Hilfsorganisationen und dank seines Netzwerks in Frankreich, drei weitere »Kindertransporte« in die USA zu ermöglichen, unter schwierigsten Umständen nicht nur wegen der Situation im besetzten Frankreich und angesichts des Vichy-Regimes, sondern auch, weil man in Amerika auf die Rettung politischer Flüchtlinge eingestellt war und noch nichts von den Deportationen ahnen konnte, die den Kindern später drohten. So wurde die Sinn- und Kostenfrage gestellt, konnte man doch »mit dem Geld, das nötig war, um ein Kind nach Amerika zu bringen, ein Kind in Frankreich ein ganzes Jahr lang versorgen« (183). Und dann ging es um die 1600 Kinder, die in den OSE-Heimen untergebracht waren. Gerettet werden konnten durch die Papanekschen Kindertransporte nur 253 davon – immerhin. Die Fahrt der Kinder auf ihrem Weg nach Marseille wurde am Lager Gurs vorbeigeführt, wo einige ihren dort inzwischen nach den antisemitischen Vichy-Gesetzen inhaftierten Eltern ihre Butterbrote durch den Zaun reichten. Nur wenige ihrer Eltern und wenige der Kinder, die von Franzosen versteckt wurden, überlebten. Nachdem zunächst bürokratische Hemmnisse auf beiden Seiten weitere Ausreisen behinderten, und als nach dem Bekanntwerden der ersten Deportationen von Kindern die US-Regierung großzügig 5000 Visa genehmigte, war es zu spät, denn die Besetzung der bislang freien Zone in Südfrankreich im November 1942 bedeutete das Ende aller Hilfsmaßnahmen.
Auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA war Papanek nicht vorbereitet. Sein Heimprinzip konnte er dort nicht fortführen, denn institutions galten als Heime für Schwererziehbare und wurden von den Hilfsorganisationen abgelehnt. Lotte Marcuse vom German-Jewish Children’s Aid wurde zur Gegnerin Papaneks und verfolgte eine strikte Trennung der Kinder nach ihrer Ankunft durch Verteilung auf Pflegefamilien über die ganze USA. Sie unterband – soweit es ging – jeden Kontakt der Kinder untereinander sowie mit ihren Eltern bzw. anderen Angehörigen in Europa. Sie sollten zudem assimiliert werden um den Antisemitismus in den USA nicht zu befördern.
Papanek, der so säkular eingestellt war, dass er sich »selbst nie als Jude« (230) sah, begegnete dem Antisemitismus, wohin er auch ging. Seine Partei, die SPÖ sah den Antisemitismus als Hauptgrund für den Erfolg der Nazis, erfährt die Autorin in Gesprächen mit Kennern der Parteigeschichte, und wollte dessen Fortbestehen nach 1945 nicht durch die Präsenz von Juden in den eigenen Reihen wieder fördern. Ein Problem, das übrigens auch der spätere Kanzler Bruno Kreisky hatte, als er ebenfalls 1946 zunächst vergeblich versuchte, wieder in die österreichische Politik einzusteigen. Für diese Art von Anti-Antisemitismus waren die Juden immer noch das Problem. Wie Kreisky musste Papanek nach dem Krieg feststellen, dass er, einst in der Führungsriege der SPÖ, dort nicht mehr erwünscht war, zum einen als Exilant, zum anderen als Jude.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Wolfgang Geiger, Rezension von/compte rendu de: Lilly Maier, Auf Wiedersehen, Kinder! Ernst Papanek. Revolutionär, Reformpädagoge und Retter jüdischer Kinder, Wien, Graz (Molden) 2021, 304 S., ISBN 978-3-222-15048-7, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2025/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109746





