Die Historikerin und Germanistin Margaret Manale (CNRS) hat die Geschichte Hermann Röchlings und der Völklinger Hütte mit dem Schwerpunkt auf der NS-Zeit untersucht. Das Werk ist auf Französisch und Englisch erschienen.1
Im ersten Teil des Buches stellt Manale die Familiengeschichte der Röchlings im 19. Jahrhundert und deren Aktivitäten in der Kohle- und Stahlindustrie, insbesondere im 1871 annektierten Elsass-Lothringen, dar. Hermann Röchlings Vater Carl besaß seit 1881 die Völklinger Hütte im Saarland und errichtete 1898 im lothringischen Thionville die Carlshütte, die Hermann Röchling leitete. Ab 1901 führte er gemeinsam mit seinem Bruder Ludwig das Familienunternehmen. Im Ersten Weltkrieg beteiligte sich Röchling an der Ausplünderung der besetzten Gebiete und wurde nach Kriegsende mit zweien seiner Brüder als Kriegsverbrecher angeklagt. Das Urteil, zehn Jahre Freiheitsstrafe, 10 Mio. Francs Geldstrafe und Einreiseverbot in Frankreich, wurde nicht vollstreckt, da Hermann Röchling als Mitglied der Waffenstillstandskommission gegen eine Auslieferung immun war. Die Familie verlor die Carlshütte, war aber weiterhin im deutsch-französischen Grenzgebiet tätig. Trotz wirtschaftlicher Nachteile engagierte sich Röchling 1935 bei der Volksabstimmung im Saargebiet für den Anschluss an das Deutsche Reich und trat im selben Jahr in die NSDAP ein.2 Mit dem Werk Blumberg im Schwarzwald beteiligte er sich an NS-Autarkiebestrebungen.
Der zweite Teil »Entscheiden für das Großunternehmen – das tausendjährige Reich« (93–168) schildert jene drei Handlungsbereiche, die Röchling im Zweiten Weltkrieg nach Ansicht von Manale stark beeinflusste: Dies betreffe erstens die Ausschaltung nichtdeutscher Unternehmer im besetzten Frankreich und Luxemburg. Die Carlshütte erhielt Röchling zurück und verwaltete außerdem die de Wendelsche Fabrik in Ébange (Lothringen). Auch die Rolle anderer Akteure wie seines Cousins 2. Grades, Ernst Röchling, wird dargestellt. Zweitens handele es sich um die Zwangsarbeit, die im besetzten Gebiet eine große Rolle spielte, da sich die Bevölkerung im Vergleich zur Vorkriegszeit stark verringert hatte (123). Wegen der dauerhaften Personalknappheit im besetzten Frankreich und in Völklingen setzte Röchling zahlreiche Zwangsarbeitskräfte ein, zunächst französische Kriegsgefangene, später zivile Zwangsarbeitende aus West- und Osteuropa. Auf Fälle von Sabotage reagierten die Nationalsozialisten mit Repressalien. Drittens werden Röchlings Aktivitäten für die Rüstungsindustrie, u. a. als Mitglied des Rüstungsrates und seit 1942 Vorsitzender der Reichsvereinigung Eisen (RVE) dargestellt.
Der chronologisch folgende Teil 3 fokussiert auf »Menschenmaterial« und »Rohstoffe«. Röchling bemühte sich um Zwangsarbeitende für seine Fabriken, ohne die er die Planzahlen nicht erreichen konnte. Manale schildert deren schlechte Situation anhand von Zeugenaussagen. So habe Hermann Röchling »den Fabriken von Völklingen ein ›Umerziehungslager‹ für ausländische Zwangsarbeiter angegliedert« (203).
Teil 4 behandelt Hermann Röchlings Bewertung nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere den zweiten Kriegsverbrecherprozess in Rastatt. Er wurde erneut zu zehn Jahren Haft verurteilt, von denen er nur einen Teil verbüßte. Bei seiner Rehabilitierung spielte der Ost-West-Konflikt eine wichtige Rolle.3 Auch war er in den Augen vieler Deutscher, allen voran seiner Beschäftigten, nie ein Kriegsverbrecher gewesen. Kurz vor seinem Tod wurde er mit dem Ring der Werner von Siemens-Stiftung ausgezeichnet und posthum benannte man eine Werkssiedlung (erneut) nach ihm. Im Anhang des Buchs finden sich ausgewählte Dokumente, u. a. eine Beschreibung der industriellen Kriegsschäden im Departement Meurthe-et-Moselle (342–363).
Viele Jahre nach dem Verkauf der Völklinger Hütte durch die Erben von Röchling und nach ihrer Schließung wurde diese 1994 in die Liste als UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Manale kritisiert, man habe sich in diesem Kontext nicht mit der menschenverachtenden Unternehmensgeschichte auseinandergesetzt. Die in der Hütte seit 2018/19 existierende Dauerausstellung zur Zwangsarbeit im Unternehmen4 und zur Rolle der Familie Röchling dienten lediglich als Feigenblatt und gingen nicht weit genug (305–306). Ebenso scharf urteilt sie über die umfangreiche Biografie des Wirtschaftshistorikers Wolfgang von Hippel, die als Auftragsarbeit (313) die Behandlung der Zwangsarbeitenden verharmlose.
Entgegen Manales Aussage (15) ist Röchlings Biografie nicht unbekannt. So bildete sich 2010 eine Bürgerinitiative für die Umbenennung der Siedlung Hermann-Röchling-Höhe. Hippel brachte 2018 mit über 1000 Seiten ein quellengesättigtes Werk heraus, das freilich vor allem auf dem Unternehmensarchiv basiert, in das viele kompromittierende Quellen erst gar nicht gelangt waren. Auch fehlt dem Buch eine abschließende Bewertung. Im Gegensatz dazu nutzte Manale das Unternehmensarchiv nicht. Viele ihrer Quellen aus dem Umfeld der Gerichtsprozesse sind mehrere Jahre nach den Ereignissen entstanden, was gleichfalls ihren Aussagewert beschränkt.
Manale untersucht nicht die individuelle Schuld von Hermann Röchling, sondern macht ihn als Unternehmensleiter unmittelbar für alle Verbrechen verantwortlich, die an Zwangsarbeitern und Zwangarbeiterinnen in der Völklinger Hütte, dem Arbeits- und Erziehungslager (AEL) Etzenhofen und in der Carlshütte begangen wurden. Die Rolle einflussreicher Akteure vor Ort wie des Generaldirektors Wilhelm Rodenhauser, der Werkschutzleiter Rasner und Foerger oder auch des Leiters des Direktoriums Hans-Lothar von Gemmingen erwähnt sie nicht. Nach ihrer Aussage »unterschieden sich die Ausbeutungsstrukturen und Unterdrückungsmechanismen« in einem Unternehmen wie der Völklinger Hütte kaum von einem KZ (209). Dem steht entgegen, dass der Betrieb auf die Zwangsarbeitenden angewiesen war; deren individuelle Behandlung hing allerdings stark von der rassistischen Ideologie ab. Auch stand das AEL Etzenhofen,5 wo die Internierung auf 56 Tage begrenzt war und die Bedingungen ähnlich schlecht wie in einem KZ waren, nicht unter der Kontrolle des Unternehmens (205), sondern der Gestapo, wie andernorts auch.
Röchling war nicht – wie im Klappentext zu lesen – ein »Nazi der ersten Stunde«, auch wenn er sich dem Regime bereitwillig anschloss und nicht davor zurückscheute, zur Fortführung des Krieges Zwangsarbeiter unter schlechten Bedingungen einzusetzen. Ihm zu unterstellen, willentlich zur Ermordung vieler von ihnen beigetragen zu haben, verkennt jedoch die wirtschaftliche Zielsetzung der Zwangsarbeit in der Montanindustrie.6
Manale hat eine detailreiche Studie vorgelegt. Sie kritisiert berechtigterweise, dass deutsche Unternehmen ihre NS-Geschichte und insbesondere Zwangsarbeit gerne unter den Tisch fallen lassen, doch lässt ihr Buch die Objektivität einer historischen Studie bisweilen vermissen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Ute Engelen, Rezension von/compte rendu de: Margaret Manale, Hermann Röchling. La fabrique du Troisième Reich, Paris (Max Milo Éditions) 2023, 413 p., ISBN 978-2-31501-122-3, EUR 22,90., in: Francia-Recensio 2025/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.1.109747