Guillaume d’Andlau, der von 2019 bis 2023 die Gedenkstätte des ehemaligen KL Natzweiler-Struthof leitete, hat in dem hier anzuzeigenden Buch eine gut dokumentierte Geschichte des Lagers und seiner Nebenlager vorgelegt. Die Gedenkstätte ist als Centre européen du résistant déporté (CERD) Bestandteil der Erinnerungskultur in Frankreich. Nach Graf Andlau gemachten Schwierigkeiten wurde sein Vertrag nicht verlängert, sodass 2023 seine Tätigkeit für die Institution endete. Zu den von ihm gegebenen Impulsen gehörte es, die Bekanntheit des ehemaligen Lagers deutlich zu erhöhen; Teil davon ist auch das vorliegende Werk.
In sieben Abschnitten, denen drei Anhänge und eine Bibliografie folgen, wird ein Überblick über das System der Konzentrationslager und über Einzelheiten der Verfolgung im einzigen Konzentrationslager auf französischem Boden gegeben. Neben dem Lager Natzweiler-Struthof gab es nahebei in Schirmeck-Vorbruck zwischen 1940 und 1944 ein Sicherungslager, das mit Natzweiler-Struthof nicht verwechselt werden sollte. Während in das Lager Schirmeck-Vorbruck besonders die Gefangenen gebracht wurden, die sich als Elsässer dem Germanisierungszwang der Besatzer widersetzten, waren in Natzweiler-Struthof Gefangene aus anderen Gründen inhaftiert. Mehr als die Hälfte waren Gefangene aus politischen Gründen, 20 % waren Juden und 7 % waren zivile Fremdarbeiter.
5 % waren französische Gefangene, die aufgrund des »Nacht‑und‑Nebel-Erlasses« (NN) inhaftiert worden waren: Niemand sollte vom Verbleib der Personen erfahren, die in Gefangenschaft genommen wurden. Dies betraf besonders Personen, denen Widerstandshandlungen gegen die Besatzungstruppe vorgeworfen wurden. Einerseits waren ihre Widerstandsaktionen nicht schwerwiegend genug gewesen, als dass sie zum Tode hätten verurteilt werden sollen, andererseits sollte ihr Verschwinden ohne Hinweis auf ihren Verbleib zur Ungewissheit über ihr Schicksal beitragen. Mit dieser besonderen Art der Gefangenschaft suchte die Besatzungstruppe den Widerstand in den besetzten Ländern besonders in Westeuropa seit 1942 zu treffen. Wenn diese Gefangenen auch nur einen verhältnismäßig geringen Anteil an der Gesamtzahl der Häftlinge in Natzweiler-Struthof ausmachten, so ist die Tatsache, dass es sich um Franzosen handelte, überaus wichtig für die Erinnerung an sie.
Das Buch ist in kurze Abschnitte gegliedert, Fotos und Skizzen vertiefen den Eindruck. In einer Chronologie, die von 1919 bis 2014 reicht, wird die Geschichte des Lagers, der für seine Entstehung wichtigen Akteure und Entwicklungen und der Erinnerung an das KL beschrieben. Ende März 1941 wurde der erste Lagerleiter eingesetzt, am 29. April 1945 wurde das KL Dachau befreit, in dem sich zahlreiche Gefangene befanden, die aus Natzweiler dorthin gebracht worden waren. In den Jahren 1945 und 1947 wurden ehemalige Lagerleiter wegen ihrer Verbrechen verurteilt und einzelne hingerichtet. In den Folgejahren wurde dem ehemaligen Lager geringes Interesse zuteil und erst ab 1960 wurde es zu einem nationalen Monument der Deportation ausgebaut.
Die Überschrift »Vom Paradies zur Hölle« bezeichnet den Weg von einem Ort, an dem Wintersport getrieben wurde, zu einem Lager, in dem mehr als 80 Personen nur deshalb getötet wurden, weil ein deutscher Anatom ihre Köpfe für »Forschungen« in einem Museum in Straßburg nutzen wollte. Die Bemühungen um eine Germanisierung des Elsass werden beschrieben und Fotos zeigen Märsche der Hitlerjugend und des Reichsarbeitsdienstes in Straßburg ebenso wie die Synagoge, die im Oktober 1940 in Brand gesetzt wurde. Immer wieder in den Text eingestreut sind Zeichnungen des aus La Rochelle stammenden Widerstandskämpfers Henri Gayot und des Norwegers Rudolf Naess, die meist Aspekte des Lebens der Gefangenen illustrieren. Beide Künstler waren Gefangene in Natzweiler und überlebten durch glückliche Umstände das Ende des Krieges.
In Kurzporträts werden die fünf Lagerleiter vorgestellt, die zwischen Mai 1941 und April 1945 dem Lager vorstanden. Dem Letzten unterstanden zwischen Januar und April 1945 nur noch die ins Reichsgebiet verlagerten Reste der verschiedenen Außenlager. Leider hat der Verfasser hierbei nicht das Buch von Tom Segev Die Soldaten des Bösen: Zur Geschichte der KL‑Kommandanten (1995) herangezogen, in dem ein Gespräch mit dem damals noch lebenden ehemaligen Natzweiler‑Kommandanten Hans Hüttig überliefert ist. Der Aufbau des Lagerregiments vom Kommandanten bis zum Blockführer und seinem Sekretär zeigt, wie viele Menschen notwendig waren, um das System der Gewalt zu stützen. Dessen Ausmaß zeigt sich auch an der Zahl der Inhaftierten, die von den ersten 539 Männern im Jahr 1941 auf insgesamt 36 852 Männer im Jahr 1944 anstieg, die aus mindestens 36 Staaten stammten.
Der dritte Abschnitt des Buches endet mit einem Überblick über die Tätigkeit der Gefangenen für die Kriegsindustrie im Südwesten Deutschlands. Der vierte Abschnitt (»Survivre à Natzweiler«) schildert den Weg der Gefangenen ab dem Eintreffen im Lager und ist bezeichnenderweise überschrieben »Du nom au numéro«. Mit vielen Einzelheiten wird die Ausnutzung der Gefangenen für die Kriegsproduktion geschildert. Der ständige Hunger und das Klima im höchstgelegenen KL des deutschen Herrschaftsgebietes quälten die Gefangenen. Eine kleine Unterbrechung des Alltags waren die gelegentlich eintreffenden Postsendungen. Die wachsende Anzahl der Gefangenen führte auch zu einer wachsenden Anzahl von Toten, für die 1943 ein Krematorium eingerichtet wurde.
Der fünfte Abschnitt beschreibt wie Professoren und einige ihrer Mitarbeiter der Reichsuniversität Straßburg wie Otto Bickenbach, Eugen Haagen und August Hirt die Möglichkeiten des Lagers nutzten, um dort Menschenversuche und andere als »Wissenschaft« bezeichnete Grausamkeiten durchzuführen. Verschiedene Gerichtsverfahren legten später die Einzelheiten der Verbrechen offen. Besonders hatte sich der Anatom Hirt hervorgetan, der eine größere Anzahl Gefangener aus dem KL Auschwitz nach Natzweiler hatte bringen lassen, um sie dort töten zu lassen, damit sie für ein noch anzulegendes Museum in Straßburg genutzt werden könnten. Leider erwähnt der Verfasser nicht, dass Mitarbeiter Hirts, die von diesen Tötungen für wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten profitieren wollten, deswegen zu Beginn der 1970er-Jahre in Frankfurt am Main vor Gericht gestellt wurden.
Im sechsten Abschnitt ist das Ende des Lagers beschrieben. Waren nach der Befreiung von Paris im August 1944 schon zahlreiche Gefangene über den Rhein zu den dort bestehenden Außenlagern gebracht worden, wurde in den folgenden Monaten das Lager Natzweiler geleert, sodass die amerikanischen und französischen Truppen im November 1944 dort keine Gefangenen mehr antrafen. Bis März 1949 wurden in dem Lager Personen untergebracht, die wegen ihrer Straftaten während der Okkupation verurteilt worden waren.
Der siebte Abschnitt beschreibt die Erinnerungsarbeit, die seit Februar 1945 in dem Lager geleistet wurde. War die Erinnerung zu Beginn geprägt vom Schicksal der einzelnen Gefangenen, so entwickelte sich später das Centre européen du résistant déporté (CERD) zum Erinnerungsmal für alle Deportierten der Kriegszeit. Die Anlagen behandeln einzelne Mitautoren oder Künstler von Abbildungen und die Terminologie der verschiedenen Typen von Lagern. Großes Interesse verdient die Aufstellung der über Süddeutschland verteilten Außenlager, die der SS zuarbeiteten (11 Lager) oder Teil der Kriegsindustrie waren (34 Lager), sowie der sieben Lager, die ab Dezember 1943 der Schieferölproduktion dienten (Unternehmen »Wüste«). Die geographische Ausbreitung dieser Außenlager grenzte im Osten an den westlichen Rand des vom KL Dachau eingerichteten Außenlagerkosmos. Eine Bibliografie informiert über die neuere französischsprachige Forschung, die hoffentlich durch dieses Werk zukünftig stärker zur Kenntnis genommen wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Ulrich-Dieter Oppitz, Rezension von/compte rendu de: Guillaume d’Andlau, Le KL Natzweiler-Struthof. Un camp de concentration en Alsace annexée, Bernardswiller (ID l’édition) 2023, 164 p., ill. en coul., ISBN 978-2-36701-292-6, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2025/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.110914