Der vorliegende Sammelband wurde vom Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben, um sich »seiner eigenen Kolonialgeschichte« (so der Klappentext) zu stellen. Das Herausgeberteam – allesamt renommierte Wissenschaftler – war bei der Auswahl der Themen und der Gestaltung der Texte jedoch völlig frei.

Der Band eröffnet mit der Institutionengeschichte des Auswärtigen Amtes in Bezug auf Kolonien. An den Beginn stellt der Verfasser Martin Kröger eine Denkschrift Heinrich von Kusserows vom April 1884, wonach klar war, dass das Thema »Kolonialpolitik« institutionell im Auswärtigen Amt verortet war. 1890 wurde eine Kolonialabteilung innerhalb des Auswärtigen Amtes eingerichtet. Seit 1898 befand sich auch das Oberkommando der »Schutztruppen« dort. Seit der Kolonialkrise ab 1904 wurde die Diskussion um die Gründung eines eigenen Reichskolonialamtes erneut entfacht, das 1907 eingerichtet wurde. Wie für die Kolonialabteilung so auch für das Reichskolonialamt konstatiert Kröger, dass es sich personell gesehen um eine »überschaubare Größenordnung« (56) handelte, auch der Etat war »recht bescheiden« (59). Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland, so Kröger, nur noch abwickelnd beteiligt.

Dieses Bild akzentuiert der Beitrag Gabriele Metzlers über das Auswärtige Amt und die koloniale Frage in der Weimarer Republik, die mit dem Revisionssyndrom, dem Mandatssystem, und seinem Verhältnis zu anti-imperialen Kräften vielfältige Weisen der Auseinandersetzung mit den Kolonien darstellt. Seit 1924 erhielt das Auswärtige Amt die alleinige Zuständigkeit für koloniale Fragen zurück. Während der NS-Zeit wurden im Auswärtigen Amt Kolonialplanungen und -ziele erstellt, die weit mehr Gebiete vorsahen, als die ehemaligen Kolonien, wie Johannes Hürter in seinem Beitrag (etwas versteckt) zeigt.

Wenn eine der Motivationen für die Produktion des Buches war, die »Mitverantwortung« des Auswärtigen Amtes während der deutschen Kolonialzeit zu bestimmen, dann suggeriert der eröffnende Beitrag eher Marginalität. Lesen wir nun die Beiträge von Jakob Zollmann über das deutsche Kolonialrecht, sowie Tanja Bührers und Matthias Häußlers über die Verantwortung für die Kolonialkriege in Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika und den Yixu Lüs über Tsingtau, ergibt sich möglicherweise ein anderes Bild.

Zollmann zeigt zunächst auf, dass das Auswärtige Amt spätestens seit 1882 mit Kolonialfragen beschäftigt war, als der Kaufmann Adolf Lüderitz mit seinem Plan an es herantrat, mit Josef Fredericks im südwestlichen Afrika einen Vertrag über den Abtritt von Besitzrechten gegen die Zahlung eines jährlichen Tributes zu schließen. Er bat um staatlichen Schutz. Das Amt wurde daraufhin über seine Diplomaten in London tätig, wenn auch zurückhaltend. Das Deutsche Reich werde sich zwar nicht in Überseeprojekten engagieren und begrüße es, wenn die britische Regierung ihren Schutz über Lüderitz’ Vertrag übernehmen würde, es behalte sich aber vor, diesen selbst zu gewährleisten. Unklar war, wie die britische Regierung reagieren würde. Daraufhin fragte Deutschland wiederum auf diplomatischen Wege nach der Grundlage des britischen Anspruches. Das Telegramm Bismarcks an den deutschen Konsul in Kapstadt vom 24. April 1884, in dem er bat, amtlich zu erklären, dass die Niederlassung von Lüderitz unter dem Schutz des Deutschen Reiches stehe, gilt als Beginn der formellen deutschen Kolonialpolitik, was allerdings – wie Zollmann ausführt – für die Zeitgenossen zunächst nicht so klar war. Die folgenden Spannungen mit der britischen Regierung wurden im Wesentlichen zwischen britischen und deutschen Diplomaten verhandelt, mit dem Ergebnis, dass die Briten die deutsche Schutzerklärung 1884 akzeptierten.

Das Auswärtige Amt arbeitete ein Konzept für die völkerrechtliche Stellung aus, in dem deutschen Kaufleuten Souveränitätsrechte übertragen wurden. Die unklare rechtliche Stellung der »Schutzgebiete« klärte maßgeblich das Auswärtige Amt mithilfe der Schutzgebietsgesetze. Eine »Pyramide der delegierten Verordnungsgewalt« (85) reichte vom Kaiser bis zum Bezirksamtmann und blieb trotz tausenden von Verordnungen bewusst ein »Recht im Ungefähren« (92). Ab den 1890er-Jahren scheiterte die Verwaltung durch Kaufleute weitgehend und der Staat übernahm direkt die Verwaltung.

Kolonialabteilung und Reichskolonialamt standen also recht weit oben in der Verwaltungspyramide, die sich darunter stark verbreiterte und zwar über die Gouverneure zu den Bezirksamtmännern und Stationschefs. Ebenso zu dieser Pyramide gehörten Einheimische, die für die Verwaltung arbeiteten – auch die einheimischen politischen Vertreter, die offiziell von der deutschen Kolonialverwaltung anerkannt, mit Rechten und Pflichten und teilweise Besoldung in sie eingebunden wurden, wären hier anzuführen (hierzu finden wir mit Holger Droesslers Beitrag über Samoa und implizit jenem von Kokou Azamede über Togo eklektische Hinweise im Band). Würden diese Personengruppen mit hinzugenommen, entstünde ein anderes Bild, was die personelle und finanzielle Marginalität angeht. Neben dem Etatansatz für die Kolonialabteilung und das Reichskolonialamt existierte ein gesonderter »Schutzgebietsetat«, der viermal so hoch war, zuzüglich der von Kröger zumindest kursorisch erwähnten Sonder- und Nachtragshaushalte (allein 1906 83,4 Millionen Mark). Hierzu lesen wir im Band ansonsten aber nichts.

Tanja Bührer klärt in ihrem Beitrag die Frage der Verantwortung des Auswärtigen Amtes für die koloniale Gewalt in Deutsch-Ostafrika. Das Auswärtige Amt beauftragte Hermann Wissmann 1888, Pläne für eine nicht-staatliche militärische Expeditionstruppe vorzulegen. Eine Kontrolle über die Art der Kriegführung durch den Staat gab es explizit nicht. In der Folge kam es zu entgrenzter Gewaltausübung, über die Wissmann selbst kaum berichtete, das Auswärtige Amt aber über den Generalkonsul aus Sansibar zumindest teilweise in Kenntnis gesetzt wurde. Die Gründung einer staatlichen Kolonialtruppe für Deutsch-Ostafrika 1890 sollte diesen Kontrollverlust einhegen. Dies gelang jedoch nicht wie erhofft. Bührer spricht vom »Leutnantsimperialismus«, einer weitgehend unbeaufsichtigten Gewaltausübung. Die Berichte, die an das Auswärtige Amt geschickt wurden, beschönigten und verschwiegen, was dem Auswärtigen Amt allerdings eher recht war, so Bührer. Dessen Interesse war, die Kosten für die Kriege möglichst gering zu halten, was zu extrem hohen zivilen Opfern führte.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt Matthias Häussler mit Blick auf die Kriege in Deutsch-Südwestafrika. Die Kolonialabteilung wurde zur Erfüllungsgehilfin der menschenverachtenden Kriegführung Lothar von Trothas. Häussler schließt insofern an Krögers Beitrag an, als er die Kolonialabteilung als schwache Institution darstellt, deren Leiter oft wechselten und die von den Gegebenheiten vor Ort wenig Ahnung hatten, die zwar formell relativ weit oben in der Hierarchiepyramide standen, de facto aber durch informelle Strukturen (Häussler) oder das »Recht im Ungefähren« (Zollmann), gepaart mit Ignoranz (Bührer) kaum kontrollierend auf die Verhältnisse vor Ort eingreifen konnten. Im Falle des Krieges von 1904 zeigt Häussler die aktive Rolle des Leiters der Kolonialabteilung Stübel. Er formulierte das strategische Kriegsziel eines Vernichtungskrieges »mit allen Mitteln« (139) mit dem Ziel, die Einheimischen als politische Einheit auszulöschen (138). Wie Häussler anmerkt, gingen diese Worte der Berufung von Trothas voraus.

Yixu Lü zeigt, dass das Auswärtige Amt beratend und ausführend bei der deutschen Besetzung von Tsingtau 1897 beteiligt war. Das Auswärtige Amt setzte die Weltpolitik des Kaisers mit dem Wunsch nach einem Stützpunkt in China um. Nachdem über zwei Jahre keine Fortschritte erzielt worden waren, wurden die wichtigsten Verhandlungsführer von ihren Posten entfernt und die militärische Besetzung geplant. Die Ermordung zweier deutscher Missionare diente als Vorwand. Der Leitungswechsel im Auswärtigen Amt zu Bernhard von Bülow ermöglichte eine expansionistische Politik.

Insgesamt hinterlässt der Band einen heterogenen Eindruck. Aus den fachwissenschaftlich fundierten und lesenswerten Beiträgen von Zollmann, Bührer, Häussler und Kröger kann elizitiert werden, wie Kolonialpolitik institutionell im Auswärtigen Amt verankert war. Keiner der Beiträge wird diesem Anliegen alleinig gerecht, da jeder einen etwas anderen Schwerpunkt hat, wodurch relativ viele Redundanzen auftreten. Im Wunsch das Thema breit anzugehen und auch Erinnerung und Erbe bis zu den aktuellen Restitutionsdebatten mit aufzunehmen, verliert der Band etwas den Fokus.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Stefanie Michels, Rezension von/compte rendu de: Carlos Alberto Haas, Lars Lehmann, Brigitte Reinwald, David Simo (Hg.), Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe, München (C. H. Beck) 2024, 592 S., 21 Abb., ISBN 978-3-406-80713-8, EUR 36,00., in: Francia-Recensio 2025/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.110919