Die vorliegende Studie, zurückgehend auf die Habilitationsschrift des Autors aus dem Jahr 2021, hat das Ziel, eine vergleichende und verflechtungsgeschichtliche Analyse der Auseinandersetzung französischer, deutscher und italienischer Sozialisten und Sozialistinnen mit Faschismus und Nationalsozialismus vorzulegen. Dabei werden sowohl die einzel- als auch die gruppengeschichtliche Dimension berücksichtigt. Die teils synchron und teils diachron vorgehende Arbeit umfasst den langen, von dramatischen politischen Umbrüchen geprägten Zeitraum von 1919 bis Anfang der sechziger Jahre. Sie konzentriert sich dabei auf die Akteursperspektive, das heißt auf die Untersuchung der politischen Lebenswege führender Repräsentanten des Partito Socialista Italiana (PSI) der Section française de l’Internationale ouvrière (SFIO) und der SPD.

Ein zentrales Anliegen der Studie besteht darin herauszuarbeiten, in welchem Verhältnis die national geprägten Orientierungen und Strategien der Protagonisten und ihrer Parteien zu transnationalen sozialistischen Netzwerken und Kooperationen auf europäischer Ebene standen.

Die quellengesättigte Arbeit beruht entsprechend ihrem erfahrungsgeschichtlichen Ansatz wesentlich auf der Auswertung umfangreicher Archivbestände aus italienischen, deutschen und französischen Privatarchiven. Sie bezieht zugleich vor allem Quellen der internationalen sozialistischen Publizistik mit ein. Insgesamt werden, mit unterschiedlicher Intensität, weit über einhundert sozialistische Persönlichkeiten behandelt. Dazu gehören beispielsweise Kurt Schumacher, Willy Brandt, Erich Ollenhauer oder Toni Sender aus Deutschland, Léon Blum, Guy Mollet oder Daniel Mayer aus Frankreich und Pietro Nenni, Guiseppe Saragat, Lina Merlin oder Guiseppe Emanuele Modigliani aus Italien. Neben den umfangreichen Ausführungen zu den persönlichen und politischen Lebenswegen der ausgewählten Akteure werden, wenn auch nicht vorrangig, Aspekte der zeitgenössischen Theoriedebatten zu Faschismus und Nationalsozialismus sowie die Organisationsstrukturen und Spaltungen der sozialistischen Parteien und Widerstandsgruppen beleuchtet.

Die Studie besteht aus zwei Hauptteilen, von denen der erste die Periode der Nachkriegszeit ab 1919 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs behandelt. Hier stehen in komparativer Perspektive die Fragen nach den Erfahrungen, Orientierungen und Zukunftserwartungen von Sozialisten vor und während des Faschismus in Italien, des Nationalsozialismus in Deutschland und des unter deutscher Besatzung kollaborierenden Vichy‑Regimes in Frankreich im Fokus. Dabei werden insbesondere der politische Kampf der sozialistischen Frauen und Männer zur Verteidigung der Demokratien und für die Zeit nach deren Sturz die unterschiedlichen Formen des Widerstandes gegen die Diktaturen thematisiert. Darüber hinaus werden die von den antifaschistischen Akteuren entwickelten Nachkriegsplanungen behandelt.

Entsprechend der Grundfragestellung der Arbeit spielt die Analyse der Formen transnationaler antifaschistischer Netzwerke und Kooperationen in dieser Periode eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang zeigt die Studie, wie das demokratische Frankreich bis zur deutschen Besatzung 1940 insbesondere als Exilland für politische Flüchtlinge zeitweise das Zentrum internationaler sozialistischer Solidarität wurde. Generell konstatiert der Autor, dass angesichts der vielfältigen Formen internationaler sozialistischer Kooperationen die in der Forschung teilweise vertretene These von einer vorherrschenden »Nationalisierung« der Strategien sozialistischer Parteien in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre nuanciert werden müsse. Im Widerstand hätten zudem gerade Angehörige der jüngeren Generation von Sozialisten wie Daniel Mayer, Willy Brandt oder Mario Zagari eine transnational europäische Perspektive für sozialistische Zukunftsentwürfe entwickelt. Trotz dieser Feststellung sei allerdings zu berücksichtigen, dass gleichzeitig nationale Prägungen weiterhin eine dominierende Rolle spielten.

Neben den Formen transnationaler sozialistischer Kooperation im Widerstand werden auch die politischen Kontroversen auf nationaler und internationaler Ebene thematisiert, zu denen die Akteure sich positionieren mussten. Dazu gehörten beispielsweise die Debatten über die legalistische Strategie der SPD-Führung in der entscheidenden Phase der Zerstörung der Weimarer Republik, die Kontroverse über die Notwendigkeit einer militärischen Intervention Frankreichs zur Unterstützung der republikanischen Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg, die Frage nach der Notwendigkeit einer antifaschistischen Aktionseinheit zwischen sozialistischen und kommunistischen Parteien oder die Diskussionen über die »Appeasement«-Politik.

Der zweite Teil des Buches behandelt die Periode vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Anfang der sechziger Jahre. Im Mittelpunkt stehen hier die Frage nach den Erfolgen und Niederlagen der demokratischen Sozialisten bei der Gestaltung der jeweiligen Nachkriegsordnungen sowie die Problematik des Umgangs mit der Vergangenheit einschließlich der Herausbildung einer Diktatur und Widerstand betreffenden Erinnerungskultur. Schließlich werden Fortschritte und Schwierigkeiten beim Aufbau transnationaler sozialistischer Netzwerke und Kooperationen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten diskutiert, bei der zum Teil auf die Erfahrungen aus dem Widerstand aufgebaut werden konnte.

In der Frage der antifaschistischen Erinnerungskultur konstatiert der Autor für die von ihm untersuchte Personengruppe dabei erhebliche Unterschiede zwischen Frankreich und Italien auf der einen und Westdeutschland auf der anderen Seite. Während in der Bundesrepublik viele Sozialdemokraten über ihren antifaschistischen Widerstand in der Nachkriegszeit eher Stillschweigen bewahrten, stellten die Sozialisten in Italien und Frankreich ihn im Kontext der spezifischen nationalen Erinnerungskulturen beider Länder in der Öffentlichkeit in den Vordergrund.

Auch in der Frage der Behandlung von Kollaborateuren aus den eigenen Reihen und der Aufnahme von ehemaligen Mitläufern und Minderbelasteten in die Partei stellt der Autor signifikante nationale Unterschiede fest. Während vor allem die Praxis parteiinterner politischer »Säuberungen« bei der französischen SFIO ausgesprochen strikt gewesen sei, habe sich die SPD unter anderem aus wahltaktischen Erwägungen im Westdeutschland der Adenauerzeit für eine eher weiche Linie entschieden.

Die Studie liefert dank ihrer breiten Quellengrundlage und ihres innovativen Forschungsansatzes einen hochinformativen und gut zu lesenden Beitrag zur vergleichenden und transnationalen Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung. Sie kann mit ihrer akteurszentrierten Perspektive als wertvolle Ergänzung zu bereits vorliegenden politik- oder ideengeschichtlich angelegten Arbeiten betrachtet werden.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Bernd Zielinski, Rezension von/compte rendu de: Jens Späth, Wie umgehen mit Faschismus und Nationalsozialismus? Erfahrungen, Erwartungen und Erinnerungen italienischer, deutscher und französischer Sozialisten 1919–um 1960, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2024, 602 S., 5 Abb. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 147), ISBN 978-3-1113-7290-7, DOI 10.1515/9783111377070, EUR 159,95., in: Francia-Recensio 2025/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.110938