Krieg bedeutet immer die Entfesselung von Gewalt mit dem Ziel den Gegner zum Aufgeben oder wenigstens an den Verhandlungstisch zu zwingen. Darüber wieviel Gewalt angewendet werden muss, darüber wird seit der Antike gestritten … David J. B. Trim und Brendan Simms untersuchen dies im vorliegenden Sammelband Epochengrenzen überschreitend am englischen und britischen Beispiel. Wie kann es sein, dass Großbritannien, das sich immer als Verteidiger der Normen des Völkerrechts und der Humanität präsentierte, nicht erst im Zweiten Weltkrieg rücksichtslos Gewalt gegen Zivilisten und unterlegene Gegner eingesetzt hat und dies nicht nur im kolonialen Kontext? Beinah in allen Kriegen, die England und ab 1707 Großbritannien in Europa führte, ist es zum bewussten Einsatz übermäßiger und rücksichtsloser Gewalt gegen Kombattanten und Zivilisten gekommen.
In einer Sammlung von Fallstudien, die von der Eroberung des normannischen Hafens Harfleur im Hundertjährigen Krieg bis zur Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg reichen, gehen die Autoren dieser Frage nach, wobei sie verschiedene Perspektiven der Forschung – Internationale Beziehungen, Geschichte des Krieges, Gewaltgeschichte, Strategiegeschichte und den Weg Großbritanniens zur europäischen Vor- und Ordnungsmacht – in ihre Untersuchungen einfließen lassen. Ausdrücklich verzichten sie, gerade im Hinblick auf die Gewaltanwendung englischer Armeen in Irland oder Schottland auf das Erklärungsmuster »kolonialer« Gewalt. Vielmehr geht es ihnen darum zu zeigen, wie hinter der Gewaltanwendung bewusste und nicht selten das Pro und Kontra abwägende Entscheidungen stehen.
Wie immer ist es unmöglich alle Beiträge eines Sammelbandes angemessen zu würdigen. Aber schon im ersten Beispiel, aus dem Hundertjährigen Krieg und dem Feldzug Heinrichs V., der in den Sieg von Azincourt mündete, steckt C. J. Rogers die zentralen Problemfelder ab, die in der einen oder anderen Form das Agieren der englisch-britischen Streitkräfte bis ins 20. Jahrhundert bestimmen. Rogers zeigt überzeugend, dass der Einsatz rücksichtsloser militärischer Gewalt nicht zuletzt gegen die Zivilbevölkerung immer Teil einer bestimmten Strategie war, gleich ob es gegen Kontrahenten in Schottland oder Irland oder auf dem europäischen Festland ging. Heinrich V. achtete während seines Feldzuges auf Disziplin und ahndete Übergriffe, gleichzeitig aber operierte er erfolgreich mit der gezielten Androhung von entfesselter Gewalt, um seine Feldzugsziele durchzusetzen. Dies entsprach seiner Selbstauffassung eines gerechten und frommen Königs. Dass es in der Schlacht von Azincourt dennoch zur Tötung von Gefangenen kam, erklärt Rogers aus der Situation. Es sei vor allem die Angst vor einem schnellen französischen Gegenangriff gewesen, der zum Tötungsbefehl führte, wobei unklar bleibt, wie viele Gefangene überhaupt getötet wurden.
Im Feldzug gegen die rebellierenden Schotten und Jakobiten, der in der blutigen Schlacht von Culloden (1746) kulminierte, setzten die Briten alle zuvor in Irland und Schottland bereits »erprobten« Verfahren rücksichtsloser Gewalt gegen Soldaten und Zivilisten ein, die von der Tötung Verwundeter und Gefangener auf dem Schlachtfeld bis hin zur sexuellen Gewalt gegen Frauen reichte (M. Pittcock). Der fortgesetzte Widerstand gegen die englische Krone führte zur Etablierung eines veritablen Besatzungsregimes und zahlreichen weiteren Übergriffen. Die gleichen Methoden kamen wenige Jahre später auf dem amerikanischen Kontinent zum Einsatz, etwa gegen die Bewohner der Halbinsel Akadien oder bei der Belagerung von Quebec 1759, die von einem Veteranen von Culloden, James Wolfe, befehligt wurde.
Weitreichende Konsequenzen hatte die Beschießung von Kopenhagen 1807, mit der man in London einen Anschluss Dänemarks an das napoleonische Lager verhindern wollte. Für B. Simms ist das britische Vorgehen ein spektakuläres Beispiel »of the British State’s use of calculated violence for geopolitical ends« (115). Obwohl es zum Zeitpunkt der Operation bereits klare Indizien dafür gab, dass Dänemark sich nicht Napoleon anschließen würde, befahl man die Beschießung Kopenhagens und nahm damit Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf, um Dänemark zu demütigen und die Zerstörung der dänischen Flotte zu erzwingen. Die Operation gegen einen anerkannten neutralen Akteur war ein klarer Verstoß gegen die völkerrechtlichen Regeln der Epoche. Das Verb »cophenhagen« fand seitdem Eingang in die militärische Sprache, wenn es um den rücksichtlosen Einsatz von Gewalt ging.
Der britische Admiral Fischer wollte im Ersten Weltkrieg die deutsche Flotte »cophenhagenisieren« (134), doch dazu kam es nicht. Stattdessen blockierte die britische Flotte bis in das Frühjahr 1919 die deutschen Küsten und trug wesentlich zu Hunger und Mangel der deutschen Bevölkerung bei (Beitrag von M. E. Cox). Das Muster von Kopenhagen begegnet erneut im Schlag der Briten gegen die französische Flotte auf der Reede vor Oran (Mers-el-Kébir) im Moment des Zusammenbruchs der Dritten Republik und des Übergangs zum Vichy Regime 1940. Angesichts der französischen Weigerung, die Schiffe zu übergeben, und ohne weitere Verhandlungen abzuwarten, eröffneten die Briten das Feuer, zerstörten die Schiffe und töteten über Tausend Franzosen. Churchill beklagte später, dies sei die schmerzvollste Entscheidung, an der er jemals beteiligt gewesen sei (134).
Wie Churchill die planmäßige Zerstörung deutscher Städte in diesem Zusammenhang rechtfertigte, darauf geht R. Overy in seinem Beitrag über die Zerstörung Hamburgs nicht ein, wohl aber zeigt er in aller Deutlichkeit, dass es den Planern des Bombenkriegs immer weniger um die Zerstörung kriegswichtiger Infrastruktur ging als um Vergeltung für den deutschen »Blitz« 1940 und die Bestrafung eines als totalitär erachteten Volkes und eines totalitären Regimes. Die Dimensionen, in denen man dabei dachte, verdeutlicht der gewählte Codename »Gomorrha«.
Angesichts der Tatsache, dass zurzeit in Deutschland an die Zerstörung der Städte durch alliierte Bomben vor 80 Jahren gedacht wird und zur gleichen Zeit in der Ukraine wieder Bomben in Wohnvierteln einschlagen, kommt hier ein Band zur rechten Zeit, der einlädt darüber nachzudenken, welche Grenzen in einem Krieg gelten. Es bleibt zu hoffen, dass wir in Westeuropa weiterhin nur im Kontext mit der Vergangenheit darüber nachdenken und in Osteuropa die Menschen schon bald nicht mehr vor Bomben Schutz suchen müssen - auch wenn es zur Zeit nicht danach aussieht, dass dieser Krieg bald vorbei ist.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: David J. B. Trim, Brendan Simms (ed.), Harfleur to Hamburg. Five Centuries of English and British Violence in Europe, London (Hurst Publishers) 2024, 336 p., ISBN 978-1-911723-17-2, GBP 45,00., in: Francia-Recensio 2025/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.110945