In den 1970er-Jahren schaute die französische Öffentlichkeit auf die Flüchtlingskrise in Südostasien, in den Ländern, die einst zum französischen Kolonialgebiet gehört hatten. Der konservative Präsident Valérie Giscard d’Estaing reagierte recht schnell und entschied sich 1975 zur Aufnahme von Geflüchteten aus diesen Gebieten über Kontingente.

Laura Wollenweber analysiert diese »Postkoloniale Flüchtlingskrise« im Kontext der bis heute andauernden Auseinandersetzung um Aufnahme oder Ausgrenzung von Geflüchteten. Sie stellt die Frage, inwiefern Empathie und Menschenrechtsideen und -diskurse gesellschaftliche und politische Akteure beeinflussten. Basierend auf einem akteurszentrierten Ansatz untersucht sie den Umgang mit den ostasiatischen Geflüchteten und den Diskurs darüber. Sie arbeitet heraus, welche Bedeutung der Verweis auf Menschenrechte in den jeweiligen Diskursen spielte und an welchen Stellen dieser Verweis gesellschaftliche Akteure sowie politisch Verantwortliche zum Handeln bewegte. Die Aufnahmeprogramme fielen in Frankreich in eine Zeit der Wirtschaftskrise, in der sich zunehmend ein rassistischer Diskurs gegenüber Migranten durchsetzte und die Regierung eine immer restriktivere Migrationspolitik betrieb. Dass sich gesellschaftliche Akteure in dieser Situation für die Aufnahme von Geflüchteten aus Südostasien aussprachen und dass die konservative Regierung entgegen ihrer restriktiven Migrationspolitik Aufnahmeprogramme auf den Weg brachte, verdeutlicht, weshalb es lohnenswert ist, diese Flüchtlingskrise im Hinblick auf den Menschenrechtsdiskurs genauer zu beleuchten.

Als wichtige Akteursgruppe macht Wollenweber humanitäre Helfer aus, die unterstützt durch Medien Bilder der humanitären Katastrophe in Szene setzten, um die politisch Verantwortlichen in Frankreich zur Aufnahme von Geflüchteten zu bewegen. Sie demonstriert, welch wichtige Rolle Menschenrechte hier als Argumentationsmuster spielten. Sowohl linke Intellektuelle als auch konservative Kräfte interpretierten das Engagement für die Geflüchteten ihr zufolge als eine Verteidigung der Menschenrechte. Während die Erstgenannten im Zuge der antitotalitären Wende auf die Menschenrechte als universellen Wert verwiesen, die es vor Staaten jeglicher Couleur zu verteidigen und beschützen gelte, nutzten Akteure aus dem konservativen Lager den Menschenrechtsdiskurs, um auf die Verbrechen der Kommunisten anzuklagen (31–84).

Die Untersuchung der Reden des französischen Präsidenten Valérie Giscard d’Estaing zeigt, wie dieser prominent die Aufnahme der Geflüchteten mit dem Verweis auf Frankreich als Wiege der Menschenrechte begründete, obwohl er sich zugleich mit seiner restriktiven Migrationspolitik insbesondere gegenüber Menschen aus dem Maghreb von dieser Tradition entfernte. Wollenweber erklärt sein Reden und Handeln damit, dass er mit der Aufnahme von Menschen, die aus kommunistischen Staaten flohen, an der Idee der Menschenrechte festhalten und zugleich mit einer breiten Zustimmung seiner konservativen Wählerschaft rechnen konnte. Die Studie kann so zeigen, dass die Entscheidung über die Aufnahme ostasiatischer Geflüchteter nicht vordergründig von den Menschenrechten als universellem Wert abhing, sondern von innenpolitischen Faktoren beeinflusst wurde, und die Menschenrechtsidee für den antikommunistischen Diskurs instrumentalisiert wurde (85–118).

Wollenweber bleibt nicht bei einer Untersuchung der großen politischen Linien stehen, sondern betrachtet auch die Akteure, die in Frankreich für die Aufnahme und die Integration der Geflüchteten zuständig waren. Es gelingt ihr durch die Untersuchung der Anträge von Geflüchteten die Bedeutung des Diskurses über Frankreich als »terre d’asile« innerhalb der zuständigen Behörde aufzuzeigen, des Office français de protection des réfugiés et apatriés (Ofpra). Dieser Diskurs sei in der Behörde so wichtig gewesen, dass sich Geflüchtete regelmäßig in ihren Anträgen darauf bezogen, da sie so offensichtlich auf einen positiven Bescheid hoffen konnten. Für Empfang und Integration der Geflüchteten engagierten sich auch zivile Akteure. Wollenweber untersucht exemplarisch die Arbeit einzelner Hilfsorganisationen aus dem christlichen Spektrum und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht mit den Menschenrechten argumentierten, sondern ihr Antrieb insbesondere im christlichen Grundsatz der Nächstenliebe zu suchen sei (119–170).

Erst im letzten Kapitel geht Wollenweber auf den postkolonialen Kontext der Flüchtlingskrise ein und untersucht diesen an ausgewählten Akteuren. Sie wählt hier mit dem Comité nationale d’entraide franco-vientnamien, franco-cambodgien, franco-laotien (CNE) und dem Veteranenverband Association nationale des anciens d’Indochine (ANAI) Akteure, die sinnbildlich für die Verbindung zwischen Flüchtlingsarbeit und Kolonialrevisionismus stehen. Sie arbeitet klar heraus, wie die Verbandsakteure die Flüchtlingskrise in Südostasien zu einer nachträglichen Rechtfertigung des Indochinakriegs instrumentalisierten, den sie zu einem antikommunistischen Krieg umdeuteten. Das Engagement dieser Akteure sei nicht begründet gewesen durch die Verteidigung der Menschenrechte, vielmehr habe ihre Kolonialnostalgie sie angetrieben. Wollenweber zeigt zudem, wie diese Akteure koloniale Stereotype der »gutmütige[n] und höfliche[n], jedoch etwas rückständige[n]« Bauern aus Südostasien verbreiteten, die »fügsamer« seien als Migranten und Migrantinnen aus den sogenannten Maghrebstaaten (193 ff, 171‑207).

Die Lektüre dieser Studie ist in jedem Fall lesenswert für all diejenigen, die sich mit Kolonialrevisionismus und postkolonialen Argumentationsmustern beschäftigen. Schade ist jedoch, dass Wollenweber sich bei dieser Frage auf die beiden genannten Verbände konzentriert. Nur am Rande werden postkoloniale Argumentationsmuster im Ofpra thematisiert. Da Wollenweber auch Missionare als Akteure untersucht, wäre es insbesondere auch lohnend gewesen zu untersuchen, inwiefern die zivilen christlichen Akteure durch kolonialrassistische, paternalistische Denkmuster geprägt waren.

Besonders empfehlenswert ist die Studie im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung der Menschenrechtsidee in der Auseinandersetzung um die Aufnahme von Geflüchteten. Wollenweber relativiert die Idee, die Aufnahme ostasiatischer Geflüchteter habe in Frankreich einen Ausnahmefall an empathiegeleitetem Handeln in einer Zeit dargestellt, die von zunehmendem Rassismus und einer immer restriktiveren Aufnahmepolitik geprägt war. Es gelingt ihr zu zeigen, dass selbst in diesem sehr speziell gelagerten Fall der Flüchtlingsaufnahme die Menschenrechte als universeller Wert nur eine untergeordnete Rolle spielten, sondern letztendlich ein antikommunistischer und kolonialrevisionistischer Diskurs die Aufnahmepolitik bestimmte, der den Geist der Zeit widerspiegelte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Anna Laiß, Rezension von/compte rendu de: Laura Wollenweber, Eine postkoloniale Flüchtlingskrise. Die Aufnahme kambodschanischer Flüchtlinge im Spannungsfeld von Menschenrechten und Rassismus in Frankreich, Bielefeld (transcript) 2023, 244 S., ISBN 978-3-8376-6468-3, EUR 67,49., in: Francia-Recensio 2025/2, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.110947