Dieses ausgezeichnete Buch, hervorgegangen aus einer Kölner Habilitationsschrift, verblüfft durch seinen Titel und bietet originelle, multiperspektivische Zugriffe auf die Herrschaft römisch-deutscher Könige im regnum Italicum zwischen 1056 und 1152. Die Verknüpfung »Reichsitaliens« mit dem nordalpinen Reich der Deutschen, die seit vielen Jahrzehnten zu den großen Themen der deutschen und italienischen Mediävistik gehört, wird hier aus traditionellen Blickwinkeln einer politischen Ereignisgeschichte herausgelöst, indem sich Analyse und Darstellung auf die vielfältigen Akteure von Verflechtung und Disruption in ihren kulturellen Handlungsweisen und sozialen Interessen konzentrieren.

Der Zeitansatz ist klug gewählt, weil zwischen den herrschaftlichen Zugriffen der ottonischen und frühsalischen Kaiser und der hartnäckigen Intensivierung staufischer Dominanz seit Friedrich I. Barbarossa eine fast hundertjährige wechselvolle Beziehungsgeschichte liegt, in der sich die Frage nach der Präsenz der römischen Könige und Kaiser wie ihrer Akzeptanz in verschiedenen Regionen Oberitaliens stellt. In den krisenhaften Jahren um 1100 trat die monarchische Gestaltungskraft südlich der Alpen so sehr zurück, dass man durchaus die Frage »Ein Reich ohne König?« stellen kann. Gleichwohl steckt hinter diesem Titel die Annahme, ein König müsse gestaltend herrschen oder überhaupt irgendetwas Wirksames tun. Dabei wurde im Hochmittelalter politische Ordnung (noch?) nicht ohne König gedacht; Monarchie blieb noch lange »alternativlos«. Allerdings mussten die Menschen im regnum Italicum einüben, mit einem fernen und zeitweise nicht mehr erfahrbaren König auszukommen.

Für solche Alteritäten gegenüber kraftvoller Königsherrschaft könnte ein vergleichender Blick auf das regnum Francorum im 11. und frühen 12. Jahrhundert hilfreich sein. Über eineinhalb Jahrhunderte kamen die französischen Könige nicht mehr über die Loire hinaus nach Süden. Trotzdem erhielt sich dort die Vorstellung einer Zugehörigkeit, auch ohne wechselseitige Verflechtung und ohne persönlichen Augenschein. Gewiss – die Unterschiede zwischen dem Süden des regnum Francorum und dem regnum Italicum sind evident, zumal der römisch-deutsche König für seine Kaiserkrönung nach Rom gelangen musste und in Deutschland, Italien und Burgund gleich über drei regna herrschte, während der französische König auf ein regnum beschränkt blieb. Immerhin prägte der faktische Ausfall königlicher Gestaltungskraft im 11. und 12. Jahrhundert auch weite Teile Frankreichs, in denen der lebende Herrscher streckenweise regelrecht vergessen schien. Die ältere französische Mediävistik sprach deswegen allerdings nicht von einem »Reich ohne König«, sondern entwickelte aus ihren etatistischen Staatsvorstellungen die Idee einer »anarchie féodale«, die erst im energischen Ausgreifen Philipps II. Augustus und seiner beiden Nachfolger nach Süden beendet wurde. Es ist nicht das geringste Verdienst von Étienne Doublier, neue Anstöße zu vergleichendem Nachdenken über politische Ordnungen in weitgehender mittelalterlicher Königsferne zu geben.

Für das regnum Italicum zwischen dem mittleren 11. und dem mittleren 12. Jahrhundert liegt hier ein mustergültiges Standardwerk vor. Es zeichnet sich durch stupende Kenntnis der Quellen wie der internationalen Forschung ebenso wie durch die Kraft aus, sehr verschiedene methodische Zugänge in einer Gesamtdarstellung zu bündeln. Die vier großen Kapitel könnten für sich jeweils monographischen Rang beanspruchen. In ihnen geht es um (1) Motive, Wege und Träger der Interaktion, um (2) südalpine Mitwirkung in der königlichen Kanzlei, um (3) die Rezeption königlicher Praktiken und Symbole in den Urkunden italienischer Amtsträger und Notare und um (4) die Beschreibung von Königen und ihrer Herrschaft in ausgewählten Werken der italienischen Geschichtsschreibung.

Das erste Kapitel über die Interaktion der Könige mit ihren italienischen Gefolgsleuten wird ausschließlich nach herrscherlichen Regierungszeiten gegliedert. Aus südalpiner Perspektive war es dagegen das Zeitalter, in dem sich die frühere bischöfliche Dominanz zugunsten kommunaler Strukturierungen verschob und in dem sich die dominante Fürstenherrschaft der Markgrafen und Markgräfinnen von Tuszien/Canossa mit dem Tod Mathildes 1115 auflöste. Im Hinblick auf das italienische regnum stehen Heinrich IV. (1056–1106), Heinrich V. (1106–1125), Lothar III. (1125–1137) und Konrad III. (1138–1152) für einen Wechsel »von der Integration zur Kooperation« (152). Dabei tritt das halbe von Heinrich IV. geprägte Jahrhundert als Zeit hervor, in der sich die Durchsetzung der Heerfolge, die Teilnahme italienischer Gefolgsleute an Hoftagen südlich wie nördlich der Alpen, die Königsgastung, die Urkundenvergabe und die aktive Beteiligung an der Kanzleitätigkeit markant veränderten. Es kam »spätestens in den 1090er-Jahren zu einem regelrechten Zusammenbruch des »Systems« (154). Nach nur noch gelegentlichen Interaktionen auf den wenigen königlichen Italienzügen suchten dann seit etwa 1130 vor allem städtische Gemeinschaften neue Kooperationen, in denen der Herrscher als Parteigänger in innerstädtischen Konflikten oder als Garant von Regalienrechten gesucht wurde.

An der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert verschwanden italienische Notare für ein halbes Jahrhundert aus der königlichen Kanzlei. Für Jahrzehnte wurden die Urkunden für südalpine Empfänger zum großen Teil von nordalpinen Kanzleimitarbeitern ausgefertigt. Zudem versiegte die graphische und textuelle Imitation von Herrscherurkunden südlich der Alpen. Der Kanzler für Italien büßte seine frühere Funktion für die Stabilisierung und Aufrechterhaltung königlicher Herrschaft ein. Für diesen Wandel in Kanzlei und Urkundenpraxis macht Étienne Doublier den monarchischen Reputationsverlust wie »die andauernde politisch-militärische Instabilität südlich der Alpen« verantwortlich (322).

Besonders originell wirkt das dritte große Kapitel über »Königliches« in den Urkunden italienischer Amtsträger und notarii, in dem die Notwendigkeit regionaler Differenzierungen deutlich hervortritt. Wenn seit 1056 in Notarsurkunden die Datierung nach Königsjahren verschwindet, lässt sich das nicht allein mit der neuen Vorliebe für Inkarnationsjahre erklären. Vielmehr ging die Bedeutung des Königs im administrativen Handeln über Jahrzehnte zurück. Erst die ständigen Königsboten sorgten zwischen 1130 und 1150 wieder für eine stärkere Präsenz des königlichen Namens in den Urkunden. Jetzt verstanden sich der notarius oder der judex wieder aus ihrer persönlichen Bindung an die Person des Monarchen. Die diplomatischen Betrachtungen Doubliers führen zudem zu einem übergreifenden Verständnis vom Wandel der politischen Kultur. Vertrauten die Akteure im mittleren 11. Jahrhundert noch auf gemeinschaftsstiftende Praktiken im placitum, so vollzog sich die Willensbildung in der Konfliktzuspitzung um 1100 mehr und mehr in lokaler Gebundenheit. Das offensichtliche Selbstbewusstsein der Erzbischöfe von Mailand, Aquileia oder Ravenna beförderte regionale Entwicklungen im Urkundenwesen und benötigte kaum noch eine graphische oder kulturelle Rezeption von Herrscherdiplomen.

Die im vierten Kapitel untersuchten Geschichtswerke Benzos von Alba, Landulfs des Älteren, Arnulfs von Mailand, Landulfs von S. Paolo und Donizos von Canossa lassen solche Regionalisierungen exemplarisch hervortreten. Während sich Benzo von Alba oder Petrus Crassus beim salischen Herrscher noch durch die Beschwörung eines Antikenbezugs im aktuellen Romkaisertum als Kenner oder Ratgeber empfahlen, zielten die Mailänder Geschichtswerke vor allem auf Mailands Autonomie von Päpsten, Königen oder Kaisern. Donizos Vita Mathildis mag dagegen als Einladung an Kaiser Heinrich V. und seine Gemahlin Mathilde gelesen werden, dem Vorbild der principes Canusini und ihrer Wertschätzung Canossas nachzueifern.

Doublier bündelt seine reichen Ergebnisse immer wieder kapitelweise in Zusammenfassungen. Das Buch ist sehr gut geschrieben und dokumentiert (als kleiner Fehler sei die Nennung Arnulfs von Mailand als »Urenkel« Erzbischof Arnulfs I. notiert, 524). Am Ende steht als Schlussbetrachtung ein stimulierender Essay über den Wandel politischer Kultur im 11./12. Jahrhundert, geschrieben »für die orientierungssuchende Gesellschaft unserer Gegenwart« (602).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Bernd Schneidmüller, Rezension von/compte rendu de: Étienne Doublier, Ein Reich ohne König? Akzeptanz, Deutung und Repräsentation königlicher Herrschaft im regnum Italicum zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2024, 740 S. (MGH Schriften, 84), ISBN 978-3-447-12274-0, EUR 115,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111088