Es ist gemeinhin bekannt, dass sich die Botanik im Sinne des Studiums und der Erforschung von Pflanzen ob ihrer selbst willen erst im Zuge der Differenzierung und Entstehung der modernen Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit als eigenständige Wissenschaft formierte. Davor betrieb man das Studium der Pflanzen hauptsächlich unter dem Aspekt des Nutzens für den Menschen. Ein Wandel dieses jahrhundertealten Ansatzes zeichnet sich indes schon gegen Ende des Mittelalters ab. Mit diesem wieder (nicht neu!) erwachenden Interesse an der Pflanze als Subjekt befasst sich Ariane Forot in ihrer Monographie Du végetatif au végetal, l’éssor d’un nouvel intérȇt pour la plante à la fin du Moyen Âge.

Nach einer Einführung in das anspruchsvolle Thema untersucht die Verfasserin im ersten Teil Werke des Mittelalters, vornehmlich aus der Feder des Albertus Magnus und berühmter Enzyklopädisten, hinsichtlich des Wissens über Pflanzen, das bereits auf eine Wahrnehmung der Pflanze als eigenständiges Forschungsobjekt hinweisen könnte. Sie erklärt anhand zahlreicher Beispiele, wie sich das Studium der Pflanzen gleichsam als Buchgelehrsamkeit mit geringen Ansätzen zur Empirik herausbildete, um hierfür Gründe wie fehlende, noch nicht bestehende Hilfswissenschaften, etwa Anatomie und Morphologie samt mangelnder allgemeingültiger Fachterminologien und Einflüsse antiker philosophischer Autoritäten wie Aristoteles auf die intellektuelle Wahrnehmung der Pflanze, aufzuzeigen. Der zweite Teil befasst sich ebenfalls unter Verwendung zahlreicher repräsentativer Quellen und vieler Beispiele unter verschiedenen Aspekten mit der Wahrnehmung und Präsentation der Pflanze als für den Menschen vornehmlich nützliches Objekt, vor allem in der Heilkunde, aber auch in der Landwirtschaft, dessen wirksame Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten im Vordergrund standen. Zu Recht richtet die Verfasserin ein Augenmerk auf die bereits damals bestehende Problematik, die in zahlreichen Schriften abgehandelten Pflanzen überhaupt zu identifizieren, und erläutert, wie sich die zeitgenössischen Autoren dieser Herausforderung zu nähern versuchten, so etwa mittels Vergleichen von Beschreibungen der Pflanzen in unterschiedlichen Werken. Trotz der Fokussierung auf den rein utilitaristischen Aspekt sieht die Verfasserin ein sich abzeichnendes Interesse an der reinen Beobachtung der Pflanze selbst und die allmähliche Hinwendung zu einer detaillierten Wahrnehmungsweise. Im dritten Abschnitt untersucht die Autorin wiederum unter dem Aspekt antiker Einflüsse, anhand welchen Wissens und welcher Wissensübermittlung, repräsentiert durch fachspezifische Literatur wie Synonymalisten, pharmazeutische Handbücher, Herbarien samt Pflanzendarstellungen und insbesondere das Tacuinum sanitatis, ein Wandel in der Wahrnehmung der Pflanzen vom Objekt zum Subjekt hin nachgewiesen werden kann. Die Übersetzungen lateinischer Werke in Landessprachen und entsprechende Kommentierungen bei anhaltendem Fehlen einer allgemein verbindlichen Terminologie und definierten naturwissenschaftlichen Rahmenbedingungen erschwerten bei gleichzeitigem Wissenszuwachs nach dem Verständnis der Verfasserin zunächst das Studium der Pflanze als wissenschaftliches Forschungsobjekt. Insgesamt sieht die Autorin am Ende des Mittelalters eine sich abzeichnende Spezialisierung von Wissen über die Pflanzen, auch in botanischer Hinsicht, das dann von den Werken der Renaissance aufgenommen wird. Das Werk schließt mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis und einem Inhaltsverzeichnis.

Der Verfasserin ist es mit ihrer Studie gelungen, ein komplexes und vielseitiges, höchst anspruchsvolles Forschungsgebiet im Kontext nicht nur philosophischer, philologischer, theologischer und empirisch geprägter Einflüsse gut verständlich darzustellen. Die Argumentation ist logisch konsistent, nachvollziehbar und durch eine Fülle von sorgfältig ausgewählten Quellen und Referenzliteratur belegt. Es überrascht ob der Sorgfalt, dass die Quellen aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis, die zentralen Einfluss auf die Wissensformierung über Pflanzen ausübten, nur am Rande berücksichtigt werden. Ebenso fehlt die einschlägige wissenschaftshistorisch relevante Referenzliteratur, angefangen von umfassenden Studien zur Geschichte der Botanik (zum Beispiel Ilse Jahn, Geschichte der Biologie, ³1998 oder Änne Bäumer, Biologie von der Antike bis zur Renaissance, 1991) und zur Geschichte der Pharmazie (Rudolf Schmitz, Geschichte der Pharmazie von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters, 1998), die eine angemessene Erweiterung des Blickwinkels und ein besseres Verständnis des historischen Kontexts ermöglicht hätten, bis hin zu modernen Untersuchungen über die Entwicklung der Botanik im Kontext der Differenzierung der Wissenschaften, die im Prinzip erst die Untersuchung der Pflanze als Subjekt in einem allgemeingültigen Forschungskonzept ermöglichten. Keine bemerkenswerte Erwähnung findet die Bedeutung der Stellung und Wahrnehmung der natürlichen Dinge und des Menschen in der mittelalterlichen Kosmologie, die sich im Zuge der Renaissance und des Humanismus grundlegend änderte und erst dann eine Individualisierung und Spezifizierung in vielen Bereichen zuließ. Die Stärke des Werkes liegt indes vor allen Dingen in der Vielzahl und wohlbedachter Zusammenstellung der ausgewerteten mittelalterlichen Quellen sowie in der systematischen Präsentation der von zahlreichen quellenbasierten Beispielen untermauerten Argumentation. Insgesamt bietet die Studie eine gute Annäherung an ein hochspezifisches Thema innerhalb eines komplexen und herausfordernden Kontexts und ist damit für eine breite, interessierte Leserschaft gut zugänglich. Überdies regt sie aufgrund ihres Konzepts und der Schlussfolgerungen zu weiteren wissenschaftlichen Diskussionen und interdisziplinären Untersuchungen an und führt uns wieder vor Augen, welch große Forschungsdesiderate aus wissenschaftshistorischer Sicht noch in mittelalterlichen Quellen verborgen liegen.

Das Werk kann guten Gewissens einer breiten Leserschaft aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie etwa der Wissenschaftsgeschichte, der Botanik-, Pharmazie- und Medizingeschichte, der mittelalterlichen Geschichte oder der Philosophiegeschichte, aber auch jedem und jeder an dem Thema interessierten Leser und Leserin als Einstieg in eine faszinierende Forschungswelt empfohlen werden.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sabine Anagnostou, Rezension von/compte rendu de: Ariane Forot, Du végétatif au végétal, l’essor d’un nouvel intérêt pour la plante à la fin du Moyen Âge, Paris (Honoré Champion) 2024, 438 p. (Sciences, techniques et civilisations du Moyen Âge à l'aube des Lumières, 24), ISBN 978-2-7453-6028-1, EUR 78,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111092