Als Spezialist für die angedachte Kalenderreform nahm der Zisterzienser Hermann Zoestius (* um 1380, † nach 1443) auf Wunsch des Generalabts von Cîteaux in den Jahren von 1434 bis ca. 1443 am Basler Konzil teil. In dieser Zeit verfasste er Schriften, die im Kontext dieser nicht umgesetzten Reform stehen, einige konzilaristische Traktate und, gewissermaßen in der Schnittmenge beider Bereiche, die hier besprochene Abhandlung von 1436 zur Kirchenunion, De fermento et azimo. Zoestius spricht über die verschiedenen Aspekte des Großen Schismas, sein Fokus ruht aber auf dem titelgebenden Azymenstreit, dem Dissens über den Gebrauch von gesäuertem oder ungesäuertem Brot in der Eucharistie zwischen griechischer und lateinischer Kirche. Er mag dies tatsächlich als einen der wesentlichen Punkte des Schismas erachtet haben – auf jeden Fall war es derjenige, der am meisten seinen Interessen entsprach. Denn im Kern der Frage, welche Art von Brot Jesus beim letzten Abendmahl gebrochen und mit seinen Jüngern geteilt hat, steht für Zoestius ein kalendarisches Problem: Die widersprüchlichen Zeitangaben einerseits in den synoptischen Evangelien und andererseits bei Johannes, daraus folgend die Datierung der Passion und damit die Frage, ob dieses Mahl den rituellen Vorschriften des Pessach unterworfen war oder nicht.
Zumindest während und kurz nach dem Basler Konzil galt dem De fermento et azimo ein gewisses Interesse. Elf der zwölf erhaltenen Handschriften datieren zeitnah, eine dreizehnte ist verloren. Das von den Editoren überzeugend argumentierte Stemma (101–112) zeigt mehrere Entwicklungsstadien des Textes. Die Vorlage α entstand um oder vor dem 23. November 1436, neun Monate später fügte Zoestius aus den ihm erst dann bekannt gewordenen Additiones des Paul von Burgos († 1435) eine umfangreiche Marginalglossierung hinzu, im Stemma als α1. Auf dieser Basis entstand zwischen 1441 und 1443 Pb (Paris, BnF, lat. 16404) eine revidierte Fassung, kopiert von dritter Hand, vermutlich für Zoestius’ eigenen Gebrauch (97). Auch hier zeigen sich spätere Korrekturen, im Stemma als Pb1. Die Edition folgt Pb als autoritativer Fassung letzter Hand auch in der Graphie. Ein Vergleich mit der Handschrift zeigt, dass »even orthographically« (113) nur eingeschränkt gilt; im Sinne der Leserfreundlichkeit differenzieren die Editoren u/v und normalisieren die Homophone ti/ci stillschweigend. Die Anlage des Textes ist nur bedingt intuitiv, deshalb ist die Lektüre des Stemmas (101–112) und der ratio edendi (113–114) dringend geboten, wobei eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse hilfreich gewesen wäre. Zu beachten sind vor allem folgende Punkte: Wann immer der Text ohne Markierung zweispaltig gesetzt ist, findet sich die Marginalglossierung in der rechten Spalte. Davon abweichend sind markiert in Umrandung an zwei Stellen (89, 204) links der ursprüngliche von α abhängige Text und rechts die von Pb abhängige überarbeitete Fassung gesetzt, bei einer dritten Divergenz (206) scheiden sich die beiden Fassungen bereits mit α1. Es handelt sich dabei aber jeweils nur um einzelne Sätze. Zur Entlastung des textkritischen Apparats finden sich die Varianten der codices descripti zweiter Generation und niedriger, die von den Editoren ebenfalls erfasst wurden, zusammen mit weiteren »minor orthographical variants« (113) in einer Appendix (209–214). Die umfangreichen Zitate sind in einem Quellenapparat nachgewiesen.
Der Edition stellen die Autoren neben den Kriterien und der Beschreibung der Handschriften (87–99) weitere Materialien voran. Dies sind die bislang umfangreichste und gut abgesicherte Darstellung von Zoestius’ Leben und Werk (17–30) sowie zwei einleitende Kapitel, die den Text, für den keine Übersetzung gegeben wird, erschließen und an die Stelle eines – eigentlich für einen technischen Text unabdingbaren – Kommentars treten. Schabel verantwortet »Hermann Zoest and Schismata (Chapters 11–12)« (31–56), Nothaft »Hermann Zoest on the Azymes Question (Chapters 1–10)« (57–114). Die vorgezogene Besprechung der letzten beiden Kapitel zusammen mit Zoestius’ zeitgleich entstandenen De potestate conciliorum et pape sollen einen grundsätzlichen Einblick in Zoestius’ Umgang mit den Differenzen zwischen Ost und West illustrieren (16). Dieser ist laut Schabel »to diminish the severity of the disagreement« (47), zeige aber auch »Hermann’s lack of full and professional theological training« (48). Die Diskussion des Azymenstreits gliedert Nothaft in die theologische Diskussion der biblischen Chronologie (60–66), die Berechnung des Datums der Kreuzigung (67–76) und die Datierung des Pessachmahls (76–85). Nothaft folgt Zoestius’ Argumentation nur teilweise linear und beginnt in gewisser Weise in medias res. Bereits der Überblick (57–60) setzt Konzepte voraus, für die (teilweise) erst in der Detailuntersuchung weiterführende Literatur gegeben wird. Für den nicht in die Materie eingearbeiteten Leser erschwert dies das Verständnis, da Nothaft hier eine Diskussion fortsetzt, die er bereits an anderer Stelle begonnen hat.1 Die theologische Diskussion und die kalendarische Argumentation sind im Folgenden detailliert und gut abgestützt dargelegt. Zoestius sucht die Schriftbelege zu harmonisieren, indem er für das von ihm ermittelte Jahr – er berechnet die Kreuzigung für den 3. April 33 (als 15. Mondtag) – das Greifen einer Ausnahmeregel des jüdischen Kalenders geltend macht. Damit hätten Jesus und seine Jünger am astronomisch korrekten Abend, am 2. April 33, ein Pessachmahl gefeiert, wie die Synoptiker angeben. Dass dagegen Johannes den 15. Nisan für den folgenden Samstag suggeriert, begründet Zoestius mit den genannten Ausnahmeregeln, den deḥiyyot, die eine Verschiebung des Monats gegenüber den Mondphasen begründen. »[A] crucial innovation on Hermann’s part concerns his ability to offer specific calendrical and legal reasons as to why Christ and his disciples did not celebrate Passover along with the other Jews« (59). Nach Nothaft bemüht sich Hermann auch im Azymenstreit um eine versöhnliche Haltung: »Hermann was far less confident […] that Christ’s Passover would have involved azymes, seeing as the Jews of Jerusalem had not yet rid their households of leaven on the day in question. According to what he ended up proposing […] either scenario was historically possible, which meant that Greeks and Latins had no legitimate grounds to fault each other for their respective custom« (58–59).
Nothaft und Schabel bieten die erste kritische Edition des De fermento et azimo, die auf einer sorgfältigen und gut dargelegten Untersuchung der Überlieferung basiert. Man hätte sich zwar mehr Leserfreundlichkeit wünschen können, zum Beispiel durch eine andere typographische Anlage der Edition oder durch einen Stellenkommentar, es bleibt aber festzuhalten, dass die einleitenden Kapitel kenntnisreich in die Thematik einführen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Maximilian Gamer, Rezension von/compte rendu de: C. Philipp E. Nothaft, Christopher D. Schabel (ed.), The Cistercian Hermann Zoest’s Treatise on Leavened and Unleavened Bread (De fermento et azimo). Oecumenism, Exegesis, and Science at the Council of Basel, Leuven, Paris, Bristol, CT (Peeters Publishers) 2022, IV–227 p. (Recherches de Théologie et Philosophie médievales. Bibliotheca, 21), ISBN 978-90-429-4917-1, DOI 10.2307/j.ctv2zx9prs, EUR 95,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111109