Margarete von Frankreich war eine Prinzessin aus dem Hause der Kapetinger, der nach dem Erbschaftszufall die Herrschaft über die Grafschaften Artois und Burgund in Personalunion zuteilwurde. Diese verstreuten Gebiete im Einflussbereich zwischen Flandern und den Valois-Königen ergänzten ihren eigenen Besitz, der ebenfalls in Flandern, der Champagne, dem Nivernais und in Burgund lag. Die vorliegende Studie analysiert, wie sich die Regierung einer Hochadeligen in diesem weiten territorialen Gefüge zwischen sich unterschiedlich herausbildenden staatlichen Institutionen und lokalen Einflüssen gestaltete. Die Einleitung wirft die Frage auf, welchen persönlichen Einfluss die erfahrene Witwe auf die Regierungsarbeit in Gebieten, die auch einen frühen Institutionalisierungs- und Bürokratisierungsprozess durchliefen, besaß (17). Gab es für die Gräfin überhaupt die Möglichkeit, eine Art »weibliche Regierungsform« herauszubilden, wie der Buchtitel prominent ankündigt?
Um die »Mechanik dieser zusammengesetzten gräflichen Macht« (20) zu erfassen, geht die voluminöse Studie in zwei Teilen vor. Der erste Teil widmet sich den Rahmenbedingungen und Praktiken der fürstlichen Regierung, wie sie um Margarete herum entstand, ausgehend von der Untersuchung des Rates: Entscheidungsprozesse und Beteiligung der Gräfin an der Ausarbeitung von Verordnungen, Verbindung des Rates mit den lokalen Organen im Artois und in Burgund sowie Praktiken der Kanzlei, Ausübung der Justiz und des Gnadenrechts, schließlich Organisation der Finanzen. Der zweite Teil ist eine Studie der interpersonalen Netzwerke, auf die sich Margarete in ihrem Leben am Hof und bei der Ausübung der Regierungsgeschäfte stützte: Verwandte, Verbündete, die Organisation des Hotels, die Präsenz von Klerikern, Adeligen und Handwerkern sowohl im Rat als auch in ihrem »hôtel« stehen hier im Vordergrund.
Die Studie besteht aus einer imposanten und gelehrten Auswertung der archivalischen Quellen, Rechnungen und Anordnungen. Somit eröffnet sich auf der einen Seite eine vielschichtige Institutionengeschichte mit ihren Entwicklungen und »monarchischen Einflüssen« und generationellen Effekten, die auch den jeweiligen juristischen und strukturellen Unterschieden der beiden Herrschaftsgebiete Rechnung trägt. Auf der anderen Seite ermöglicht das Material eine feine prosopographische Auswertung der Menschen hinter der Bürokratie: Die Gräfin wählte ihre Berater und Ratsmitglieder nach ihren persönlichen Netzwerken aus, diese waren dabei stark französischstämmig (und nicht flämisch) und konservativ gegenüber einer zu großen lokalen institutionellen Unabhängigkeit geprägt. Die stabile Haushaltslage (trotz des Hundertjährigen Krieges) und die Tatsache, dass »ihre« Berater von ihrem Sohn Louis de Male und später von Philipp dem Kühnen weiter übernommen wurden, sprechen ebenfalls für ihr Geschick bei der Personalwahl und -bindung, die von Loyalität und Langlebigkeit geprägt war.
Der Autor, dessen besprochene Studie eine Überarbeitung seiner Habilitationsschrift ist, ist ein profunder Kenner der flämischen und burgundischen Finanz- und Verfassungsgeschichte des Spätmittelalters und der dortigen politischen Fürstenkultur. Seine außerordentliche Kenntnis der Quellen und der archivalischen Zusammenhänge wird hier meisterhaft für seine Fallstudie ausgewertet. Jedoch: Eine Antwort auf die Titelzeile des Buches, inwiefern die Regierung Margaretes eine »weibliche Ausdrucksform« habe, lässt die Studie unbeantwortet. Sowohl in der Einleitung als auch im Schlussteil wird das Thema mit jeweils weniger als einer halben Seite gestreift. In der Tat kann der Autor persönliche Entscheidungen Margaretes ausmachen, die sich insbesondere auf die familiären und generationellen Netzwerke beziehen. Diese Personalentscheidungen beruhen, eher den vormodernen Strukturen entsprechend und weniger dem Geschlecht der herrschenden Person geschuldet, vor allem auf familiären Netzwerken. Stattdessen unterlaufen dem Autor sprachliche Essentialisierungen, die stereotype Rollenbilder reproduzieren: Hier wird ihre sparsame Haushaltsführung gelobt, dort wird die Witwe Margarete zur »Matrone« (254–255, 401), weil sie die unehelichen Kinder ihres früh verstorbenen Ehemannes toleriere und ihrem Haushalt vorstehe. Es werden ihre »pazifikatorischen« und »moderierenden« (17, 264) Tendenzen hervorgehoben, jedoch ohne ausführliche Belege, sondern mit Verweis auf Isabella von Portugal (255). Die enge Beziehung Margaretes zu ihrer Schwester Blanka, Nonne in Longchamp, wird als besondere Frauensolidarität stilisiert, um dann im nächsten Satz hervorzuheben, dass es bereits ihre Mutter und später ihr Sohn Louis waren, die sich nicht scheuten, beim Papst einen Dispens einzuholen, um die Verwandte im Kloster häufig besuchen zu dürfen (250–251).
Vielleicht war Margaretes Regierungsstil so wenig »weiblich« geprägt, weil sie zuallererst eine regierende Person war und sich über die Funktion und Aufgaben, weniger über ihr Geschlecht, definierte? Oder die Studie hätte von einem weniger verfassungsgeschichtlich-institutionellen Forschungsansatz und dafür stärker von einem kulturwissenschaftlich-gendertheoretischen Ansatz profitiert, z. B. mit Blick auf zeitgenössische Frauen in ähnlichen Situationen? Zumindest war es der Rezensentin nicht möglich, dem Rat des Autors folgend, »zwischen den Zeilen lesend« (412) eine weibliche Regierungsausübung Margaretes zu finden.
Die Studie ist sehr gut zu lesen und verwendet einen reduzierten Fußnotenapparat, der dabei die reiche und beeindruckende Quellenauswertung ins Zentrum stellt. Drei Karten und ein Stammbaum helfen dabei, die Lesenden durch das territoriale und dynastische Geflecht zu führen, dem Margarete über zwanzig Jahre lang vorstand. Die insgesamt 17 Abbildungen von Urkunden und Briefen sowie die sechs Tabellen mit Auswertungen helfen ungemein, die geographische und personelle Vielfalt im Blick zu behalten. Für die Verfassungsgeschichte und die Netzwerkanalyse Flanderns und Burgunds zwischen den Kapetingern und den Valois ist diese Studie eine kaum zu übertreffende Goldmine. Sie nimmt die Lesenden mit in eine Analyse von Institutionen und Praktiken von Rat, Kanzlei oder Justiz, aber auch in eine Hofgesellschaft zwischen flämisch-lokalen und französisch-royalen Einflüssen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Vanina Kopp, Rezension von/compte rendu de: Jean-Baptiste Santamaria, Gouverner au féminin: Marguerite de France, comtesse d’Artois et de Bourgogne. 1361–1382, Villeneuve d’Ascq (Presses universitaires du Septentrion) 2024, 454 p., 17 ill., 3 cartes (Histoire et civilisations), ISBN 978-2-7574-4133-6, DOI 10.4000/11zg9, EUR 32,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111112