Die historische Grenzforschung kann in Deutschland ebenso wie in Spanien und in den anglo-amerikanischen Ländern auf eine bedeutende Tradition zurückblicken (vgl. 15). Für die Iberische Halbinsel lag der Interessenschwerpunkt der internationalen Forschung bislang auf der Herrschaftsgrenze zwischen den christlichen und den muslimischen Gebieten, die sich vom 8. bis zum 15. Jahrhundert allmählich nach Süden verschob (vgl. 13). Sandra Schieweck-Heringers Heidelberger Dissertation verortet sich – nicht zuletzt durch das ausführliche Einleitungskapitel zu »Traditionen und Trends« der historischen Grenzforschung (15‑30) – in diesem wissenschaftlichen Arbeitsfeld. Sie umreißt dabei mit der Entscheidung für eine vergleichende Analyse der kastilischen Grenzen zu den christlichen Nachbarreichen ebenso wie zu Al-Andalus gleichsam das Neuland, das mit dieser Arbeit erschlossen werden soll: Eine Analyse der genannten Herrschaftsgrenzen biete sich an, »unterlagen diese zwischen 1140 und 1400 doch gleichermaßen Aushandlungsprozessen, die ihren Niederschlag in zahlreichen Verträgen, anderen Urkunden und Quellen dokumentarischen Charakters fanden« (15). Auch könne, so die Verfasserin, »der systematische Vergleich interreligiöser und binnen-christlicher Herrschaftsgrenzen […] einen wertvollen Beitrag dazu […] leisten, binäre Forschungsmuster kritisch zu hinterfragen« (15). Den im Titel der Arbeit verwendeten, aus der Politikwissenschaft entlehnten Terminus »Grenzregime« versucht sie im Rückgriff auf neuere Arbeiten der Migrationsforschung begrifflich zu schärfen und so auch für die Mediävistik fruchtbar zu machen (vgl. 12–13). Für Schieweck‑Heringers methodisches Vorgehen ist darüber hinaus Martina Löws handlungstheoretisches Werk Raumsoziologie1 maßgeblich (vgl. 30 und 36–38), dem sich die in der Dissertation verwendeten Termini »Spacing‑Akte« und »Syntheseleistungen« zur näheren Beschreibung der Raumkonstruktion verdanken (vgl. 37 und 299). Explizit abgelehnt werden von der Verfasserin geschichtswissenschaftliche Deutungen in der Nachfolge Theodor Mayers, denen zufolge »die schwerpunktmäßig auf das Spätmittelalter datierende Transformation von einer personalen hin zu einer räumlich‑institutionellen Herrschaft die Ausbildung klarer, linearer Grenzen nach sich gezogen hätte« (39). Herrschaft sei, so Schieweck‑Heringers Grundannahme in Anlehnung an Arbeiten von Andreas Rutz, schon im Mittelalter räumlich definiert gewesen (vgl. 39).

In der Anordnung nicht ganz geglückt sind die Ausführungen der Einleitung zur Wahl des Untersuchungszeitraums. Zwar wird im Abschnitt »Der Untersuchungsraum: Das Königreich Kastilien und seine Außenbeziehungen von 1140 bis 1400« (42–65) ein konziser Überblick über die politische Geschichte der Krone Kastilien in dieser Zeit geboten, aus dem auch erhellt, inwieweit die Jahre um 1140 innerhalb der langen Regierungszeit Alfons’ VII. sozusagen einen Zäsur-Zeitraum für seine Beziehungen zu den Nachbarreichen darstellen (vgl. 43–46). Hier ist beispielsweise die Etablierung eines eigenständigen portugiesischen Königtums zu nennen (vgl. 45–46). Als explizite Begründung für den Beginn des Untersuchungszeitraums wird dieser politikgeschichtliche Befund von Schieweck-Heringer jedoch nicht angesprochen (vgl. auch 67: Begründung mit der Überlieferungsverteilung). Weshalb der Untersuchungszeitraum bis zum Ende des 14. Jahrhunderts reicht, erfährt man erst im folgenden Unterkapitel. Dieser Einschnitt ergibt sich – was aus Gründen der nötigen Arbeitsökonomie insbesondere bei einer Qualifikationsarbeit durchaus legitim erscheint – aus der Quellenlage, ist damit freilich nicht aus der Geschichte der kastilischen Monarchie begründbar: Obwohl die iberischen Reichsgrenzen des Mittelalters mit dem Ende der sogenannten Großen Reconquista in der Mitte des 13. Jahrhunderts im Wesentlichen feststanden, »resultierten […] auch in der Folgezeit einzelne territoriale Konflikte in vertraglichen […] Regelungen. Exemplarisch werden diese territorialen Übereinkünfte bis ungefähr 1400 in die Analyse einbezogen […]. Das Ausgreifen des Analysezeitraums bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts ist zudem bedingt durch die kastilischen Verträge mit den Herrschern des südlich angrenzenden Al-Andalus« (67–68).

Den komparatistischen Hauptteil der Arbeit bilden zwei Großabschnitte (»Die vertragliche Konstruktion der kastilischen Herrschaftsgrenzen«, 83‑230; »Das kastilische Grenzregime«, 231‑298). Die vergleichende Analyse wechselt zwischen synchroner und diachroner Betrachtungsweise, und zwar deshalb, weil »die räumlichen Aushandlungsprozesse der einzelnen Grenzen ungleichzeitigen Konjunkturen unterlagen« (65). Im Sinne der oben skizzierten Löwschen Begrifflichkeiten konzentriert sich der erste der beiden Großabschnitte auf »Syntheseleistungen«, nämlich die vertraglich fixierten herrschaftlichen Grenzziehungen, während im zweiten Großabschnitt »Spacing-Akte« und zugleich ihre Wechselwirkung mit den Grenzverträgen thematisiert werden (vgl. 69–70). Dies geschieht anhand von »Mikrostudien« (vgl. zum Begriff 69 und öfter), beispielsweise der Untersuchung des kastilischen Grenzregimes an der Grenze zwischen Murcia und dem aragonesischen Valencia in der Zeit König Alfons’ XI. von Kastilien (1312/25–1350).

Ein wesentliches Ergebnis der Dissertation ist die strukturelle Ähnlichkeit der Grenzkonstruktion zwischen den christlichen Reichen untereinander und gegenüber dem Emirat von Granada: »Spezifika bzw. Unterschiede« des Grenzregimes »scheinen […] zumeist auf Einflüsse der jeweiligen Anrainer zurückzuführen zu sein« (305).

Anhang I (311–326, »Kompendium kastilischer Außenverträge«) umfasst nach der Chronologie sämtliche Verträge, die von 1137 bis 1410 von kastilischer Seite mit Vertretern der angrenzenden Herrschaftsgebiete geschlossen wurden, soweit sie Vorgaben zu den kastilischen Herrschaftsgrenzen enthalten und »Gegenstand der systematischen vergleichenden Untersuchung sind« (311). Sie bilden den Kernbestand der ausgewerteten Quellen (vgl. 66). Es handelt sich um insgesamt 40 Dokumente mit schwerpunktmäßiger Verteilung auf das 12. und 13. Jahrhundert (vgl. auch 67 dazu). Unter ihnen befindet sich, wie für diesen Zeitraum und herrscherliche Verträge zu erwarten, kein Ineditum. Dennoch stellt dieses mit viel Fleiß und Sachkenntnis erarbeitete Urkundenverzeichnis ein nützliches Hilfsmittel für die weitere Forschung dar. Der kartographische Anhang II (327–333, in Farbe) schöpft aus einem spanischen historischen Atlas von 2010 (Titeldaten siehe S. 327).

Zwei sorgfältig erstellte Indizes, ein geographisches und ein Namensregister, erleichtern die Benutzung des Bandes, bei dessen Lektorat allerdings einige Flüchtigkeitsfehler übersehen wurden (z. B. 298: »genzübergreifenden«, »Akeure«, »appelierten«). Der Monographie ist wegen ihrer inhaltlich-methodischen Qualität viel Beachtung auch in der spanischsprachigen Forschung zu wünschen, zu der das knappe resumen español (307–310), in Ergänzung zur ausführlicheren deutschsprachigen Zusammenfassung (299–306), beitragen dürfte.

1 Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt 112022 (1. Auflage 2001).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Frank Engel, Rezension von/compte rendu de: Sandra Schieweck-Heringer, Iberische Grenzregime. Die Herrschaftsgrenzen Kastiliens im Vergleich (1140–1400), Münster (LIT-Verlag) 2024, 391 S. (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt, 18), ISBN 978-3-643-25038-4, EUR 34,90., in: Francia-Recensio 2025/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111116