Für das im Jahr 1998 bei Fayard Paris in französischer Sprache erschienene Alterswerk von Karl Ferdinand Werner La naissance de la noblesse liegt nun auch eine deutschsprachige Fassung mit einem für dieses Lesepublikum griffigen Titel Rang und Macht vor. Der renommierte Mediävist und langjährige Direktor des Deutschen Historischen Instituts Paris hat seine Forschungen zur Entstehung politischer Strukturen noch einmal zusammengefasst und erweitert; allerdings legte er dabei wie zu Beginn seines wissenschaftlichen Schaffens den Fokus auf die Entstehung einer herrschenden Schicht, welche die erste Stelle nach den Regenten für sich beanspruchte. Erinnert sei an seine frühen Studien wie etwa Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1.–8. Generation) von 1967, in welchen ihn Details zu Adel und Geschichtsschreibung des Frankenreichs und dessen Nachfolgestaaten beschäftigten. Aus seiner jahrzehntelangen Arbeit mit der Materie, die sowohl durch die Leitungsfunktion des von Anfang an deutsch-französisch und mediävistisch ausgelegten Forschungsinstitut und dessen Bibliothek, den wissenschaftlichen Austausch und Diskurs mit den französischen Kollegen bedingt war, als auch durch seine akkurate Arbeitsweise als Forschender im interdisziplinären Spektrum, hat Werner der heutigen Generation ein Werk hinterlassen, das bleibend Gültigkeit hat. Der zeitliche Rahmen reicht von der Spätantike bis ins 14. Jahrhundert, somit von den Wurzeln der Aristokratie aus den römischen Strukturen der Nobilität bis zu deren gravierendem Wandel im Laufe des 14. Jahrhunderts.
Das Buch ist in vier Teile mit jeweils mehreren Kapiteln gegliedert, wobei die spätantiken gallorömischen, politischen Gegebenheiten und Veränderungen und die aus ihnen hervorgegangenen fränkischen Eliten und Institutionen aus unterschiedlichen Perspektiven thematisiert wurden, wie etwa in Teil III, Kapitel 3 »Die Verchristlichung des Staates« oder diesen Teil einleitend, Kapitel 1 »Der Stand der Eliten«. – Die Tatsache, dass Institutionen langlebig sind, ist ein Phänomen der Spätantike und des ersten Mittelalters, was nicht nur die Anlehnung an die semantische Nomenklatur betrifft und die Rituale der Amtsübernahme insbesondere bei militärischen Ämtern, sondern auch die aus ihnen sich bildenden Verwaltungs- und territorialen Strukturen in Deutschland und Frankreich, die Werner in Zusammenhang mit der »militia civilis« setzt, nicht aber mit den kirchlichen Verwaltungsaufgaben der geistlichen Zentren. Das vielfach diskutierte Thema der Erblichkeit der Ämter oder das Streben nach Erblichkeit der Ämter durch den Adel wird in Teil IV behandelt. Nachhaltig sollte aber auch von den Lesern beachtet werden, dass die Anfänge des Lehnswesens und der Vasallität in fränkischer Zeit liegen und nicht erst deren veränderte Formen während des 12. Jahrhunderts den Anfang setzten (Teil IV). Vasallität und Lehnswesen waren der Zeit angepasst wie die Hofkultur, in welcher sie in kreativer Weise der Selbstinszenierung durch Aristokratie und Rittertum eine neue Formgebung erhielten. Dieser Ausblick auf die ritterliche Zeit wird am Beispiel Lothringen abschließend noch kurz skizziert, um die Formierung der europäischen Staatenwelt im dynastischen Europa anklingen zu lassen.
Der Haupttext des Buches ist eine quellengestützte, anhand der Quellentexte und Quellenzitate entwickelte Darstellung des Inhalts. Während die französische Fassung dazu jedoch nur wenige Fußnoten in Form von Quellenbelegen enthält, wurden diese in der deutschsprachigen Fassung von der Herausgeberin breit ergänzt und eingearbeitet und so eine bessere wissenschaftliche Transparenz erzeugt. Erfreulich ist auch die Ergänzung eines Ortsnamenregisters zum Personenregister und die durch die Herausgeberin überarbeitete Version des Literaturverzeichnisses mit Forschungsstand des Jahres 2000.
Das Spätwerk von Karl Ferdinand Werner und die Entstehung seines Buches Naissance de la noblesse (1998) mit dessen deutschsprachiger Fassung werden von Werner Paravicini in seinem Beitrag »Zur Einführung. Wie dieses Werk entstand« als Vorspann zum Buch sehr einfühlsam beschrieben; bedauerlich, dass der Autor die Publikation in deutscher Sprache nicht mehr erleben konnte. Er hinterließ der deutschen Wissenschaft und vor allem der jüngeren Generation mit diesem Buch sein kompetentes Wissen, welches nicht an einen Mainstream oder aktuelle Themen gebunden war, sondern in jahrzehntelanger Quellenreflexion und Diskussion im Freundeskreis entstanden ist. Frau Vones-Liebenstein ist zu danken, dass sie ihre Übersetzung deshalb noch einmal überarbeitet hat und einen wunderbaren Text gestalten konnte, der viel Lesevergnügen bereitet, auch weil die deutsche Fassung die Eleganz der französischen nicht vermissen lässt. Herr Kohl hat in seinem Nachwort »Der mittelalterliche Adel im 21. Jahrhundert – die Forschung seit Karl Ferdinand Werner«, einige Themen aufgegriffen, hätte aber vor allem noch mehr die Wirkung dieses Werkes von Karl Ferdinand Werner im 21. Jahrhundert ansprechen müssen, denn es lag ja in französischer Sprache vor. Im Fußnotenapparat kann – wie immer – Vollständigkeit nicht erwartet werden; vielleicht hätte etwa auf Seite 151 – »Coulaines – regalis potestas« – die hierauf Bezug nehmende Arbeit der Rezensentin Die Entstehung der »potestas regia« im Westfrankenreich während der ersten Regierungsjahre Kaiser Karls II. (840–877), Berlin 2000, angeführt gehört. Von Werner Paravicini wurde sie in seiner 2020 geschriebenen Einführung zum Buch auf Seite XXV zitiert und hätte bei aufmerksamer Lesung dieser Einführung gesehen und in den Text wie in das Literaturverzeichnis aufgenommen werden können.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Adelheid Krah, Rezension von/compte rendu de: Karl Ferdinand Werner, Rang und Macht. Die Entstehung des europäischen Adels, hg. von Ursula Vones-Liebenstein, mit einer Einführung von Werner Paravicini und einem Nachwort von Thomas Kohl, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2024, CXVI–634 S. (MGH Schriften, 81), ISBN 978-3-447-11974-0, EUR 115,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111126