Marie Antoinette zählt zu den bekanntesten Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts und gehört darüber hinaus zu den Frauen in der europäischen Geschichte, über die am meisten geschrieben worden ist. Schon zu ihren Lebzeiten und insbesondere im Zuge der Französischen Revolution stand sie als Königin und Autrichienne im Zentrum scharfer politischer Polemik und erfuhr eine breite publizistische Resonanz. Und auch nach ihrer Hinrichtung 1793 zog die letzte Königin des Ancien Régime immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung, Kunst und Literatur auf sich. Diese nachhaltige mediale Präsenz hat eine bisweilen schier unüberschaubare Menge an Darstellungen und Deutungen hervorgebracht, wobei sich eine Ambivalenz in ihrer Rezeption bis in die Gegenwart manifestiert – jüngst etwa in dem vielbeachteten Auftritt der Metal-Band Gojira zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Paris.1 Die (geköpfte) Königin bleibt auch in gegenwärtigen Diskursen eine polarisierende Figur.
Vor diesem Hintergrund zielt Joachim Brüsers Studie auf eine biografische Perspektivverschiebung: Statt sich der diskursiven Fama Marie Antoinettes zu widmen, fokussiert er den »biographischen Übergang […] als aus der österreichischen Erzherzogin die französische Dauphine wurde« (XIII). Zentral ist dabei folgerichtig ihre Brautfahrt im Frühjahr 1770, deren vollständige Rekonstruktion »bisher nicht erfolgt« (2) sei. Brüser will diese Forschungslücke schließen, indem er sowohl die Heiratsverhandlungen zwischen Wien und Versailles als auch die Etappen der Reise unter Einbeziehung umfangreicher Quellen systematisch aufarbeitet, u. a. auch um »Fehleinschätzungen« (2, 7) früherer, lokal begrenzter Publikationen (bezüglich der Bedeutung einer jeweiligen Station, eingebettet in den Gesamtkontext der Reise) korrigieren und historiografisch einordnen zu können.
Die Einleitung der Studie (1–9) umfasst eine kompakte Abbildung und Klassifizierung ihrer archivalischen Datengrundlagen (3‑6) sowie einen (sehr) knappen Abriss zum Forschungsstand (6‑7) und umreißt das historiografische Erkenntnisinteresse, wobei der Autor drei Leitfragen hervorhebt: Erstens, nach den Beweggründen für die konkrete Streckenführung, zweitens, nach den organisatorischen Unterschieden zwischen Wien und Versailles sowie drittens, nach der Bilanz der Reise (8–9). Dabei sollen stets beide Perspektiven einbezogen werden – die der Gäste und die der Gastgeber.
Dem ersten Kapitel zu den Heiratsverhandlungen und Reisevorbereitungen (10–104) folgt die chronologische Rekonstruktion der 21 Reisestationen (106–387), naturgemäß beginnend mit denen auf deutschem Territorium (105–293), gefolgt von der »Übergabe« (8, 294) auf der Île aux Épis (294–317) sowie den Stationen auf französischem Boden (318–387). Eine kurze Beschreibung der lokalen Hochzeitsfeierlichkeiten schließt den Hauptteil ab. Jede Station wird in einem »Dreischritt« (8) vorgestellt und beinhaltet eine einleitende Vorstellung der gastgebenden Region und Akteure, eine Darstellung der vorbereitenden Verhandlungen und Maßnahmen sowie des lokalen Festprogramms und des Aufenthalts der Delegation. Wenn es die Quellenlage erlaubt, wird ein Stationskapitel durch zeitgenössische Bewertungen des Aufenthalts beschlossen. Besonders diese sonst überhörten Stimmen der Mediation werfen hier interessante Schlaglichter. Die Studie schließt mit einem Fazit (435–458), das die Quellenbefunde der gesamten Arbeit mit Blick auf die Kernfragen reflektiert.
Die Arbeit überzeugt durch die nahezu lückenlose Aufarbeitung einer umfangreichen Quellenbasis und ihre transparente Struktur, die bereits im Inhaltsverzeichnis (V–XI) erkennbar ist und eine gute Orientierung ermöglicht. Darüber hinaus wäre eine kurze Zusammenfassung am Ende eines Abschnitts zur Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse mit Blick auf die Kernfragen der Untersuchung wünschenswert gewesen.
Insgesamt liegt die Stärke der Studie in der beachtlichen Quellenarbeit. Brüser dokumentiert umfangreiches Material, verzichtet jedoch größtenteils auf methodische und theoretische Auseinandersetzung. Dazu dürfte u. a. die zu wenig profilierte Fragestellung (8–9) der Studie beitragen, was sich exemplarisch an einem ihrer Kernpunkte – dem Nutzen der Reise – zeigt: Brüsers Anschauung greift hier insofern zu kurz, als dass er fast ausschließlich die – freilich bedeutsamen – messbaren und unmittelbaren Erträge für eine Partei berücksichtigt. Dies hat u. a. Konsequenzen für die daraus elaborierten Deutungsangebote: Beispielsweise werden Stationen an Klöstern und Wallfahrtsorten im Fazit unter »weitere Nebennutzen der Reise« (440) subsumiert und bleiben ohne Einbettung in die konfessionelle und politische Semantik des 18. Jahrhunderts unverständlich, obwohl dieser Punkt – insbesondere in dem hier besprochenen Kontext des renversement des alliances – durchaus analytisches Potenzial bietet. Eine stärkere Integration der aktuellen Forschungsansätze, die den Fürstenhof als komplexen Raum symbolischer Kommunikation, Patronage, Mikropolitik, Geschlecht, Körper, Materialität und Transkulturalität begreift, hätte interessante Perspektiven eröffnen können. Diesbezüglich fällt einmal mehr die sehr selektive Rezeption des Forschungsstandes (6–7) auf, der nahezu ausschließlich auf Publikationen zu dieser konkreten Brautfahrt beschränkt bleibt, ohne die breiteren einschlägigen Forschungskontexte zu erfassen.2 Auch in formaler Hinsicht hat die Arbeit Schwächen. Angesichts der sparsamen historiografischen Kontextualisierung bietet beispielsweise der Fußnotenapparat keine Entlastung bei der Aufarbeitung. So wird Sekundärliteratur in den Anmerkungen stets ohne Erscheinungsjahr und -rahmen zitiert (wohingegen die Quellen dort ohne nachvollziehbaren Grund in z. T. sehr umfangreichen Langtiteln posieren). Zeitpunkt und Kontext einer Veröffentlichung muss man sich entsprechend mühsam aus dem anhängigen Literaturverzeichnis erarbeiten. Diese Defizite strapazieren auch die Studienergebnisse insgesamt. So bleiben beispielsweise die Kategorien »politisch«, »logistisch« und »weitere« (440-441) analytisch blass und verdecken Verschränkungen. Zudem erschwert die strukturelle Trennung von Darstellung (im Hauptteil) und Analyse (im Fazit) streckenweise die Nachvollziehbarkeit der Argumentation. Dies betrifft beispielsweise Brüsers Befunde zur Sonderstellung einzelner Gastgeber (443-444) oder seine Analyse der Unterschiede zwischen französischer und habsburgischer Reiseplanung und -gestaltung (443-447), welche zwar vermerkt, jedoch kaum fragegeleitet kontextualisiert und diskutiert werden. Auch die abschließende Bewertung der Bündnisstrategie (451) wirkt matt in ihrer Aussagekraft und bleibt ambivalent.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Brüsers Studie durch die Aufbereitung umfangreicher Archivalien imponiert und detaillierte Einblicke in die Planung und Durchführung einer königlichen Brautfahrt bietet und dabei innen- und außenpolitische, kommunikative, logistische und finanzielle, sowie gesundheitliche, religiöse und zeremonielle Aspekte beleuchtet. Trotz der angesprochenen Defizite ist das Buch ein wertvolles Hilfsmittel für all jene, die sich mit dieser Brautreise als Ganzes oder ihren einzelnen Stationen eingehender beschäftigen möchten. Weiterführende Forschungen finden in ihr eine solide Grundlage und nicht zuletzt eine hervorragende Orientierung für die eigene Archivarbeit.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Monett Reißig, Rezension von/compte rendu de: Joachim Brüser, Von Wien nach Versailles. Brautfahrt und Hochzeit der Marie Antoinette im Frühjahr 1770, Münster (Aschendorff) 2024, 532 S., ISBN 978-3-402-25031-0, EUR 79,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111317