In den letzten Jahren hat die vorindustrielle Wirtschaftsgeschichte verstärkt historische Wertschöpfungsketten (commodity chains) untersucht. Im Gegensatz zur Sichtweise von Immanuel Wallerstein, der Abhängigkeitsverhältnisse und das Zentrum-Peripherie-Verhältnis betonte, liegt der Fokus der neueren Forschung auf der informellen Koordination solcher Ketten, die in der Vormoderne meist geringe Zentralität und Koordination aufwiesen und von Heterogenität und Instabilität geprägt waren. Hierarchien und Asymmetrien sind nicht mehr so leicht erkennbar und oft nicht mehr das Hauptziel der Forschung.

Der vorliegende Sammelband hingegen fragt explizit nach der Entstehung, Veränderung und Struktur solcher Ketten zwischen Produzenten, Händlern und Konsumenten im Zeitraum vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Untersucht werden unter anderem gesetzliche Rahmenbedingungen, soziale Faktoren, Zirkulation der Waren, Verteilung von Gewinnen sowie regionale und produktbezogene Besonderheiten – mit dem Ziel, langfristige Entwicklungen zu identifizieren. Konzeptuell wird hier explizit begrifflich zwischen Kette und Netzwerk getrennt, wobei letzteres als ein Gefüge verstanden wird, »das um ein Zentrum herum organisiert ist«. Eine Handelskette hingegen ist – im weiteren Sinne – eine Verbindung von Elementen mit dem Ziel, eine Austauschaktivität durchzuführen, die allen Beteiligten einen gemeinsamen Gewinn einbringt. Betont werden hierbei die Kettenglieder, also Personen, die im breitesten Sinne am Handelstausch beteiligt sind.

Der Sammelband ist in drei Abschnitte unterteilt: »Akteure zwischen Licht und Schatten« (fünf Aufsätze), »Handelsketten zwischen räumlichen Ebenen und Beziehungsnetzwerken« (vier Aufsätze) und »Produkte als Glieder in Sammel- und Verteilungsketten« (vier Aufsätze). Der erste Abschnitt widmet sich den Akteuren der Wertschöpfungsketten, der zweite untersucht die Struktur und Beziehungen zwischen den Kettengliedern unter Macht- und Governance-Perspektiven. Der dritte Abschnitt betrachtet Produkte als strukturierende Elemente im Groß- und Einzelhandel.

Gilbert Buti untersucht die Familie Audibert im Kontext des global vernetzten Marseiller Handels. Schon in den 1740er-Jahren knüpften Georges und Joseph Audibert enge Beziehungen zur französischen Ostindienkompanie in Lorient und wurden zu wichtigen Akteuren im Austausch zwischen Indien, Marseille und der Levante. Die protestantischen Kaufleute handelten mit lokalen und indischen Waren und blieben selbst im Siebenjährigen Krieg, trotz der britischen Seeherrschaft, über den Canal du Midi im Fernhandel aktiv. Sie übernahmen diplomatische Aufgaben, förderten die Ausbildung und verfolgten eine klar familiär geprägte Firmenstrategie – trotz fehlender Nachlassquellen von Buti überzeugend rekonstruiert.

Frédéric Candelon Boudet analysiert die Rolle der Hochseekapitäne aus Bordeaux im 18. Jahrhundert basierend auf dem fonds des négociants der Archives départementales de la Gironde. Ihre zentrale Position zeigt sich in der Korrespondenz mit Kaufleuten über Ladungen und wirtschaftliche Risiken. In der Karibik agierten sie unter großem Druck und entwickelten flexible Verkaufsstrategien. Netzwerke, Erfahrung und diplomatisches Geschick waren entscheidend für ihren Erfolg. Kapitäne werden so als gestaltende Unternehmerfiguren im kolonialen Handel sichtbar, deren Handeln eng mit sozialen Beziehungen verflochten war.

Romain Facchini untersucht die zentrale Rolle von Frauen im Handel des 18. Jahrhunderts anhand von Briefwechseln provenzalischer Kaufmannswitwen. Frauen wie Madame Olivier und Madame Peirot übernahmen Aufgaben wie Getreideverkauf, Lagerhaltung und Finanzverwaltung, agierten strategisch und setzten ihre Interessen auch juristisch durch. Facchini zeigt, wie sie Netzwerke nutzten und Verantwortung trugen, obwohl sie oft männlichen Schutz benötigten. Die Studie verdeutlicht, wie Händlerinnen Wirtschaftsräume gestalteten und bestehende Geschlechterrollen infrage stellten.

Marguerite Martin illustriert stille Handelsgesellschaften (sociétés en participation) im intraeuropäischen Handel der 1770er-Jahre. Besonders eindrücklich ist ein Fall von 1771, bei dem acht Handelshäuser aus sechs Städten eine geheime Allianz für den Indigohandel bildeten. Als einer der Partner insolvent wurde, geriet das gesamte Netzwerk ins Wanken und gefährdete das Kreditsystem. Der Kaufmann Deguer aus Nantes trug als einziger öffentlicher Akteur das Hauptrisiko, während andere sich ins Verborgene zurückzogen. Martins Analyse zeigt, wie riskant und zugleich flexibel solche anonymen Kooperationen waren.

Hayri Gökşin Özkoray analysiert die Organisation der Sklavenhändler im Osmanischen Reich des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese ausschließlich muslimischen, staatlich anerkannten Zünfte waren streng reguliert; auch Frauen wirkten als Vermittlerinnen mit. Der zentrale Markt in Istanbul (esîrhâne) fungierte als Handelsort und Zunftsitz. Der Fokus lag auf Sklaven aus dem Kaukasus und Osteuropa, oft über Vermittlung von Krimtartaren. Während der Staat die Gewinnmargen regulierte, blieben die Preise frei, was Schwarzmärkte begünstigte.

Arnaud Bartolomei analysiert den spanischen Atlantikhandel zwischen 1750 und 1850 als Netzwerk miteinander verbundener Handelsketten. Er unterscheidet drei Abschnitte: Europa–Cadiz (dominiert von europäischen Händlern), Cadiz–Veracruz (spanische Händler) und Veracruz–mexikanisches Inland (kreolische Händler). Rechtliche Rahmenbedingungen trennten die Gruppen, während Vertrauen und persönliche Beziehungen den Handel bestimmten. Auch nach den Unabhängigkeitserklärungen blieben viele Strukturen bestehen. Bartolomei zeigt, wie Institutionen und Netzwerke den transatlantischen Handel langfristig prägten.

Laurent Burrus untersucht die Handelsnetzwerke der Schweizer Kaufmannskolonie im Marseille des 18. Jahrhunderts anhand von Kapitänsberichten an die »Intendance sanitaire«. Die Schweizer agierten flexibel als Kommissionäre, Reeder oder Kaufleute und vermittelten den Handel zwischen Nordeuropa und dem Mittelmeer. Enge Netzwerke mit Maklern, Agenten, Reedern und Kapitänen waren Grundlage ihres wirtschaftlichen Erfolgs. Burrus zeigt, wie sich die protestantischen Schweizer als zentrale Akteure in der maritimen Wirtschaft Marseilles etablierten.

Julien Villain untersucht die Handelsstrukturen in Lothringen im 18. Jahrhundert, insbesondere das Zusammenspiel von Groß- und Einzelhändlern. Die meist wenig kapitalstarken Ladenbesitzer waren auf marchands-magasiniers angewiesen, die jedoch unter starkem Wettbewerbsdruck standen, da Einzelhändler Anbieter gegeneinander ausspielten. Um konkurrenzfähig zu bleiben, mussten sich Großhändler spezialisieren und attraktive Konditionen bieten. So entstand ein dynamisches Verhältnis aus Konkurrenz und Kooperation, das die Handelsbeziehungen fortlaufend veränderte.

Boris Deschanel untersucht staatliche Versuche im 18. Jahrhundert, Einkünfte aus dem Handel über Abgaben wie den dixième d’industrie, vingtième d’industrie und die patente zu besteuern. Diese Maßnahmen lösten politische Debatten über die Hierarchien innerhalb von Handelsketten und ungleiche Profite aus. Die Besteuerung und Kontrolle der Handelsströme blieb weitgehend erfolglos. Mit der Revolution und dann im 19. Jahrhundert veränderten sich die Rahmenbedingungen, dies führte jedoch zu widersprüchlichen Steueranpassungen.

Natacha Coquery analysiert den Verkauf beschlagnahmter Luxusgüter von Emigranten und Verurteilten während der Französischen Revolution (1792–1795). Trotz ideologischer Ablehnung nutzte die Republik diese Güter zur Finanzierung der Kriegswirtschaft. Öffentliche Auktionen waren zentral für ihre Verteilung, doch auch Einzelhändler profitierten und förderten einen Markt für gebrauchte Luxuswaren. Die Darstellung bleibt eher normativ und deskriptiv; eine stärkere empirische Fundierung wäre hier wünschenswert gewesen.

Anne Montenach untersucht die Piquage d’once, den Diebstahl und das Verstecken von Ausschuss in der Lyoner Seidenindustrie des 18. Jahrhunderts. Solche Aneignungen von Abfällen waren auch in anderen Branchen üblich. Die dezentrale Struktur der Grande Fabrique in Lyon begünstigte diese Praktiken. In begrenztem Umfang wurden sie toleriert, bei größerem Ausmaß führten sie jedoch zu Rechtsstreitigkeiten. Montenach analysierte 277 Verfahren mit 648 Beteiligten. Die Akten zeigen, wie gestohlene Seidenmaterialien halblegale und illegale Netzwerke innerhalb der Branche entstehen ließen.

Olivier Raveux untersucht den Handel mit mediterranen Korallen nach Indien und China im 17. und 18. Jahrhundert, primär Handelsstrukturen, Routen und Händlernetzwerke. Der französische Korallenhandel wird im Kontext der französischen Ostindien-Kompanien von deren Gründung bis zur Auflösung beleuchtet. Monopole und freies Unternehmertum prägten den Rahmen, Subrécargues agierten flexibel zwischen Schiff und Land. Korallen waren teils flüchtiges, teils lukratives Gut und dienten auch zur Finanzierung von Rücktransporten – sie waren ein Schlüsselprodukt globaler Netzwerke.

Xavier Daumalin untersucht den sizilianischen Schwefelhandel zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Schlüsselprodukt der frühen Industrialisierung. Schwefel war zentral für Schießpulver- und Säureproduktion und löste Rivalitäten zwischen Neapel und England aus. Marseille spielte eine wichtige Rolle in der Logistikkette von der Gewinnung bis zum Export. Die Händler handelten dabei meist individualistisch und opportunistisch. Die Studie zeigt die Verflechtungen von (proto-)chemischer Industrie, Marktstruktur und industriellem Kapitalismus auf. Die Nachfrage beeinflusste Preise, Techniken und Märkte. Der Schwefelhandel verdeutlicht zudem Spannungen durch ungleiche internationale Arbeitsteilung.

Insgesamt halten die Aufsätze, was der Sammelband in seiner Einleitung verspricht: Sie beleuchten Verflechtungen, Dynamiken und Akteure in ihrem Bezug zu unterschiedlichen Wertschöpfungsketten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Die Beiträge zeichnen sich meist durch eine Verbindung von Empirie und Theorie im Sinne der Einleitung aus. Die konzeptuellen Leitlinien des Bandes wurden dabei weitgehend durchgehalten, und sie eröffnen neue Perspektiven auf Handelsnetzwerke und Austauschprozesse der Vormoderne. Chaînes et maillons du commerce bietet einen bedeutenden Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte im Allgemeinen und gibt Impulse für die weitere Erforschung globaler Wertschöpfungsketten seit Beginn der Frühen Neuzeit.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Magnus Ressel, Rezension von/compte rendu de: Gilbert Buti, Anne Montenach, Olivier Raveux (dir.), Chaînes et maillons du commerce, XVIe–XIXe siècle, Aix-en-Provence (Presses universitaires de Provence) 2023, 304 p., ISBN 979-10-320-0425-8, DOI 10.4000/books.pup.66600, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111318