Zu Beginn des Jahres 1692 verfügte die französische Marine mit über 100 Linienschiffen über eine der größten Flotten Europas. Nur wenige Jahre später waren sowohl die französische Atlantikflotte als auch die Mittelmeerflotte jedoch kaum noch einsatzfähig, bis sie im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714) fast vollständig zusammenbrachen. Für diesen rapiden Niedergang bietet die Forschung verschiedene Erklärungen an: Strukturelle Misswirtschaft, die Priorisierung des Landkrieges durch die französische Regierung oder der Verlust von 15 Linienschiffen bei Barfleur und La Hogue (Mai/Juni 1692) gelten als zentrale Faktoren. Benjamin Darnell schlägt in seiner Studie Maritime Power and the Power of Money in Louis XIV’s France ein neues Erklärungsmodell vor, das sich nicht auf einzelne Ereignisse oder strategische Fehlentscheidungen konzentriert, sondern den Finanzierungsmechanismus der Marine und die Informationsasymmetrien innerhalb des fiskalischen Systems in den Mittelpunkt stellt.

Auf der Grundlage von knapp 7500 ausgewerteten ordonnances de paiement, die Darnell durch Korrespondenzen ergänzt, argumentiert er, dass nicht primär mangelnde finanzielle Ressourcen oder strategische Fehlentscheidungen zur Erosion der französischen Seestreitkräfte führten, sondern tiefgreifende Probleme in der finanziellen Informationsverarbeitung und der Steuerung komplexer Finanzströme (7).

Nach der Einleitung gliedert sich die Studie in fünf Teile. Im ersten Teil erläutert Darnell den strategischen und fiskalischen Kontext im letzten Drittel der Regierungszeit Ludwigs XIV. Der Aufstieg der Flotte unter Colbert wird als ein System von hoher organisatorischer Komplexität rekonstruiert, das jedoch in Krisensituationen nur begrenzt anpassungsfähig war. Der in der Forschung viel diskutierte Strategiewechsel vom guerre d’escadre zum guerre de course in der Mitte der 1690er-Jahre1 erscheint in Darnells Interpretation nicht als Zeichen von Schwäche, sondern als pragmatische Reaktion auf institutionelle und finanzielle Restriktionen (25) – eine überzeugende Neubewertung, die etablierte Deutungsmuster infrage stellt. In Anlehnung an die Arbeiten von Guy Rowlands zur Armee Ludwigs XIV.2 zeigt Darnell zudem, dass die finanziellen Probleme der französischen Regierung auch im Bereich der Marine weniger auf Einnahmeschwierigkeiten als vielmehr auf exzessive Ausgaben zurückzuführen waren, da Frankreich zur Finanzierung seiner Anleihen große Summen über private Vermittler akkreditieren konnte (61–63).

Aus diesem Grund widmet Darnell der Rolle der trésoriers généraux de la marine im zweiten und dritten Teil besondere Aufmerksamkeit. Als Generalschatzmeister der Marine verwalteten sie nicht nur die Zahlungen und Ausgaben, sondern agierten faktisch als intermediäre Akteure im Spannungsfeld zwischen Obrigkeit und Märkten. Ihr Zugang zu privaten Krediten war zentral für die Zahlungsfähigkeit der Marine (101), gleichzeitig operierten sie in einem institutionellen »accountability vacuum« (10), das die Gewichtung persönlicher Interessen gegenüber denen der Marine ebenso begünstigte wie Ineffizienz. Trotz der Fokussierung auf eine wesentliche Akteursgruppe gelingt es Darnell, auch andere relevante Akteure – etwa die intendants de la marine, die Verwaltung in Versailles oder die Rolle einzelner Werften und Kapitäne – einzubeziehen. Dennoch bringt die Anlage der Studie naturgemäß eine gewisse Fokussierung mit sich: So bleibt die Argumentation stellenweise etwas abstrakt; eine stärkere Einbeziehung mikrohistorischer Perspektiven auf lokale Akteur:innen oder werftbezogene Netzwerke hätte die systematische Darstellung bereichert und die institutionellen Dynamiken differenzierter konturieren können.

In den abschließenden Kapiteln des vierten und fünften Teils analysiert Darnell die Ausgaben- und Schuldenstruktur der Marine zwischen 1690 und 1709, wobei die fortschreitende Entkoppelung von staatlicher Steuerung und operativer Realität besonders deutlich wird: Die Krone verlor zunehmend die Kontrolle über das »fisco-financier system« (236). Die Folge war eine operative Lähmung der Marine zwischen 1707 und 1709. Als problematisch erwies sich vor allem die langjährige Abhängigkeit des Systems von einem trésorier général (235). Darnell knüpft an dieser Stelle in überzeugender Weise an den Forschungsansatz des contractor state3 an, den er zum ersten Mal systematisch auf die französische Marine anwendet und damit zeigt, wie sich die Logiken des contractor state auf marinepolitische Steuerung, Kreditverhältnisse und institutionelle Kontrolle übertragen lassen..

Stilistisch ist die Arbeit präzise und klar strukturiert, auch wenn Zahlendichte und gewisse Wiederholungen in der Gliederung gelegentlich eine erhöhte Konzentration beim Lesen erfordern. Dennoch gelingt es Darnell, die Komplexität seines Themas verständlich darzustellen und seine Thesen überzeugend zu kontextualisieren. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Interdependenz von Finanzmanagement, Informationsfluss und operativer Handlungsfähigkeit in der frühneuzeitlichen Kriegsführung.

Insgesamt legt Benjamin Darnell somit eine ertragreiche Studie vor, die das Verständnis der Entwicklung der französischen Marine im letzten Drittel der Regierungszeit Ludwigs XIV. aus einer systemisch-institutionellen Perspektive bereichert. Sie liefert wichtige Impulse für die Militär-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte des Ancien Régime und zeigt eindrucksvoll, wie eng militärische Schlagkraft mit Infrastrukturen des Kreditwesens, der Verwaltung und der Informationsverarbeitung verknüpft war.

1 Vgl. Geoffrey Symcox, The Crisis of French Sea Power, 1688–1697. From the Guerre d’Escadre to the Guerre de Course, The Hague 1974.
2 Guy Rowlands, The Dynastic State and the Army under Louis XIV: Royal Service and Private Interest 1661–1701, Cambridge 2002.
3 Vgl. z. B. David Parrott, The Business of War: Military Enterprise and Military Revolution in Early Modern Europe, Cambridge 2012; Richard Harding, Sergio Solbes Ferri (Hg.), The Contractor States and its Implications (1659–1815), Las Palmas de Gran Canaria 2012.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sarah von Hagen, Rezension von/compte rendu de: Benjamin Darnell, Maritime Power and the Power of Money in Louis XIV’s France. Private Finance, the Contractor State, and the French Navy, Rochester, NY (Boydell & Brewer) 2023, 294 p., ISBN 978-1-8376-5054-5, GBP 85,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111326