Mit dem Begriff »société des princes« hat Lucien Bély die vielfach verflochtene Welt der frühneuzeitlichen herrschenden Dynastien und Adelshäuser bezeichnet. Doch diese »société des princes« war zugleich auch immer eine »société des princesses«: Mochten die Oberhäupter regierender Dynastien oder adeliger Häuser interdynastische Heiraten aushandeln, es waren die Frauen, die »Prinzessinnen«, die die eigentlichen Träger der Verflechtung waren, dabei jedoch weit weniger im Zentrum standen. Einer Vertreterin dieser »société des princesses« hat Chantal Grell jetzt eine umfassende Biografie gewidmet: Louise Marie Gonzaga (1611–1667), älteste Tochter des Herzogs Charles de Nevers (1580–1637) und seiner Frau Catherine de Lorraine-Mayenne (1585–1618). Die Gonzaga-Nevers waren eine Nebenlinie der in Mantua herrschenden Gonzaga, Nevers’ Vater, Lodocivo, hatte die Linie im 16. Jahrhundert in Frankreich sesshaft gemacht. Charles de Nevers, Gründer von Charleville(-Méziers) an der französischen Ostgrenze, trat als eifriger Parteigänger der katholischen Reform in Erscheinung und konnte mit französischer Militärhilfe (1628–1631) erfolgreich, wenn auch zu einem hohen Preis (weitgehende Verheerung des Herzogtums), seine Ansprüche auf den vakant gewordenen Herzogsthron von Mantua durchsetzen.
Anders als ihre Schwestern Anne (1616–1684, bekannt als Princesse Palatine) und Bénédicte (1617–1637), die für ein Leben im Kloster bestimmt waren, sollte Louise Marie verheiratet werden. So wurde sie auch nicht im Kloster aufgezogen wie ihre Schwestern, sondern verblieb nach dem Tod ihrer Mutter unter der Obhut ihrer Tante, Catherine Gonzaga-Longueville. Sie wuchs mit ihren Brüdern auf und wurde so schon früh Zeugin der politischen Projekte und Aktionen ihres Vaters.
Als ihr Vater sich 1628 nach Italien begab, um seine Ansprüche auf den verwaisten Thron des Herzogtums Mantua geltend zu machen, blieb Maria mit ihren Schwestern in Frankreich. Zur selben Zeit trat Louise Marie zum ersten Mal in die Öffentlichkeit: als mögliche Geliebte und Kandidatin für eine Heirat mit Gaston d’Orléans, dem Bruder Ludwigs XIII. Das Projekt scheiterte am Widerstand der Königinmutter Marie de Medici. Aber auch Ludwig XIII. und Richelieu unterstützten das Projekt nicht.
Spätestens seit dem Beginn der 1630er-Jahre kursierten immer wieder Heiratsprojekte, die sich nicht verwirklichen ließen. Schon 1632 soll es eine Anfrage aus dem Königreich Polen gegeben haben. Nach dem Tod des Vaters 1637 wurde es für Louise Marie und ihre Schwester immer schwieriger, ein ihres Anspruchs als »prince étranger« gerecht werdenden, standesgemäßes Leben zu führen und zugleich ihren zeremoniellen Vorrang durchzusetzen.
Seit 1644 konkretisierte sich die Perspektive einer polnischen Heirat. Die erste Frau König Wladyslaw I., eine Habsburgerin, war verstorben, und der König suchte mit dem Heiratsprojekt eine politische Annäherung an Frankreich zu erreichen. Dies Angebot kam Mazarin nur zu gelegen, konnte er doch so in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges und der Verhandlungen in Münster und Osnabrück mehr Druck auf den Kaiser ausüben. Die Verhandlungen kamen zügig voran, am 5. November 1645 wurde die Heirat per procurationem in Paris vollzogen, am 27. November brach Louise Marie nach Polen auf, begleitet von einem polnischen Tross, dessen Erscheinen in Paris zuvor großes Aufsehen erzeugt hatte. Die Ehe war nur von kurzer Dauer. Wladyslaw verstarb bereits 1648, doch Louise Marie kehrte nicht nach Frankreich zurück, sondern heiratete 1649 dessen Bruder und Nachfolger Johann II. Kasimir.
Louise Maries Ehe kann als Paradebeispiel für eine dynastische Eheverbindung gelten. Für Mazarin war sie eine Schachfigur der internationalen Politik: Sie sollte in Polen versuchen, ihre Ehemänner zu einer antihabsburgischen Politik zu überreden. Louise Marie wurde zu einem wichtigen Akteur polnischer Innenpolitik in den Wirren, die die polnische Adelsrepublik in den folgenden Jahrzehnten durchschritt: Kriege gegen Brandenburg, Schweden und Russland und parallel dazu nicht enden wollende innenpolitische Konflikte um die Gestalt der Verfassung der Adelsrepublik. Im Zentrum stand die Frage der Wahl eines Nachfolgers zu Lebzeiten des Königs. Louise Marie und ihr Mann taten alles dafür, dass dies der Herzog von Enghien sein sollte, Sohn des »großen« Condés. Zu diesem Zweck wurden auch die Verheiratung ihrer Nichte und Patenkindes, Anne, mit Enghien eingefädelt. Doch die Übersiedlung der beiden erfolgte nicht (1664). Nur drei Jahre später, ausgezehrt von zahlreichen Reisen zu allen Jahreszeiten, zwei komplikationsreichen Schwangerschaften, zahlreichen Intrigen und entkräftet von den Aderlässen ihrer Ärzte, starb Louise Marie Gonzaga am 10. Mai 1667.
Chantal Grell hat eine quellengesättigte, detailreiche Biografie geschrieben, die weit über eine bloße Chronologie eines Lebens hinausreicht. Besonders im zweiten Teil entwickelt sich die Lebensbeschreibung Louise Maries zu einer Mikrogeschichte der Republik Polen. Von Anbeginn schenkt Grell dem Umfeld eine große Aufmerksamkeit, ordnet ihre Protagonistin in die intellektuellen und religiösen Kontexte (Précieuses, katholische Reform) ein und widmet sich ausführlich der Vorstellung von Persönlichkeiten, die Louise Marie ihr Leben lang begleiten und denen wir zahlreiche Informationen über ihr Leben verdanken, wie etwa Pierre des Noyers, ihrem Sekretär, der in engen Kontakten mit den Mitgliedern der République des Lettres in Frankreich stand und diese über die Ereignisse in Polen auf dem Laufenden hielt. Ausführlich rekonstruiert werden die politischen, religiösen und literarischen Netzwerke, in denen sich Louise Marie bewegte. In Polen agierte sie als Vermittlerin des französisch-polnischen Kulturtransfers, versuchte das französische Theater am Hof zu etablieren und gründete Niederlassungen von Frauenorden der katholischen Reform.
Ein zentrales Prinzip von Grell ist es, die Akteure zu Wort kommen zu lassen – lange Zitate aus den Quellen, manchmal über mehrere Seiten prägen ihre Darstellung. Hier wäre vielleicht doch etwas mehr zusammenfassend Analyse und Synthese wünschenswert gewesen. Dies Vorgehen ist aber Ausdruck der ihrer Biografie zugrundeliegenden Methode: »de restituer, autant que cela est aujourd’hui possible, le monde dans lequel a vécu Louise Marie, sa famille et sa parentèle, son éducation, les gens qu’elle a croisés, les lectures et les préoccupations qui furent les siennes et même, autant qu’elles soient accessibles, ses peurs et ses angoisses« (33). Mit ihrer Biografie hat Chantall Grell nicht nur erstmals umfassend das Leben der Louise Marie Gonzaga erforscht, sondern zugleich einen im wahrsten Sinne des Wortes gewichtigen Beitrag zur Geschichte der europäischen »société des princes et princesses« geleistet.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Chantal Grell, Louise Marie de Gonzague (1611–1667) Reine de Pologne. Passion et politique à la cour des Vasa, Paris (Honoré Champion) 2024, 2 Bde, 1076 p. (Bibliothèque d’études de l’Europe centrale, 26), ISBN 978-2-7453-6075-5, EUR 150,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111332