Der aufwendig gestaltete Band Handbuch globale Handelsräume und Handelsrouten beinhaltet auf 962 Seiten 23 Einzelkapitel mit 76 Abbildungen. Er widmet sich der Handelsgeschichte als Globalgeschichte, wie die beiden Herausgeber in ihrer gemeinsamen Einleitung (2–10) unterstreichen. Der verschiedene Weltregionen miteinander verbindende Fernhandel wurde historisch immer von mehreren unterschiedlichen ökonomischen, naturräumlichen, politischen und kulturellen Faktoren beeinflusst, denen in den einzelnen Beiträgen nachgespürt wird (siehe dazu unten). Die so entstandenen Handelsrouten und -räume sind Gegenstand der einzelnen Kapitel. Der folgende Band entscheidet sich für einen globalgeschichtlichen Zugang der Interaktionsgeschichte, der Verflechtungen verschiedener Teile der Welt miteinander untersucht.1 Historische Interaktionsräume bilden somit den Rahmen der Handlung. Diese Herangehensweise hat mehrere Vorteile, da sie erstens Debatten um eine Erzählung vom Aufstieg des Westens vermeidet und zweitens unterschiedliche Ausprägungen globaler Verflechtungen gleichberechtigt behandelt. Es ist unbestritten, dass erst durch den Aufbau transkontinentaler Beziehungen durch europäische Akteure Interaktionsräume zwischen bestimmten Weltregionen geschaffen wurden.2 Es ist aber auch beim Grad der Verflechtung zu differenzieren. Während es auf der einen Seite schon sehr früh auf der Ebene der wirtschaftlichen und politischen Eliten zu einem globalen Austausch gekommen ist, kann man von einer technologischen und kulturellen Globalisierung der Alltagspraxis der Massen erst im 20. Jahrhundert sprechen.
Der vorliegende Band versucht die Lücke einer fehlenden (deutschsprachigen) Überblicksdarstellung zur Entwicklung der globalen Handelsräume zu schließen (10, dort mit weiterführender Literatur).3 Dabei sind hier die einzelnen Beiträge bewusst breit angelegt und behandeln eine Vielzahl unterschiedlicher Themen. Dafür liegt jedem Beitrag (mit leichten Abweichungen) die gleiche Gliederung zugrunde: (I) Naturräumliche Grundlagen, (II) Infrastruktur und Technologie, (III) herrschaftliche Rahmenbedingungen, (IV) Träger des Handels, (V) Handelsgüter, (VI) kommerzielle Zentren, (VII) Handelsusancen (einschließlich kultureller Praktiken und Logiken), (VIII) Zahlungsverkehr und Kredit, und (IX) globale Verflechtungen. Diesbezüglich bleibt die Ausgestaltung dieser Kapitel den Autoren überlassen. So beinhalten die naturräumlichen Grundlagen sowohl eine geografische Beschreibung der behandelten Räume wie auch Klima, Meeresströmungen, naturräumliche Barrieren als auch ökologische Folgen durch menschliches Wirtschaften (wie bspw. Schäden durch Abholzung, Umweltkatastrophen etc.). Die Gliederung erleichtert es, die einzelnen Faktoren und deren Bedeutung für Handelsprozesse zu analysieren und zu bewerten. Trotz dieses einheitlichen Aufbaus der einzelnen Beiträge wird jedoch auf eine vergleichende Perspektive verzichtet, die dem Leser überlassen bleibt.
Die oben beschriebenen Zugänge werden in 23 Kapiteln zu verschiedenen globalen Handelsräumen von der Antike bis zur Gegenwart verfolgt. Entsprechend den dort genannten Prämissen ergibt sich eine geografische Schwerpunktsetzung auf bestimmte Untersuchungsregionen wie den Mittelmeerraum oder den Atlantik, die Gegenstand gleich mehrerer verschiedener Beiträge sind, während anderen Regionen (z. B. Afrika südlich der Sahara oder dem eurasischen Kernland von »Sund bis Sibirien«) nur ein Kapitel gewidmet ist. Zeitlich liegt der Schwerpunkt auf der Epoche nach 1500. Sowohl die zeitliche als auch die räumliche Gliederung folgt nicht immer gängigen Konventionen (14). Indem sich die zeitliche Einteilung nicht durchgängig an europäischen Entwicklungen und der europäischen Geschichtsschreibung orientiert, wird versucht, eurozentrische Sichtweisen zu vermeiden, auch wenn sie vereinzelt vorkommen. Während sechs Beiträge die Zeit vor 1500 behandeln, widmen sich die übrigen 17 Kapitel der Zeit zwischen 1500 und der Gegenwart. Beide Schwerpunktsetzungen lassen sich mit der objektiven Feststellung begründen, dass die globale Interaktionsgeschichte eng mit dem Aufbau transkontinentaler Beziehungen durch die europäischen Mächte verbunden ist und dass sich diese Prozesse seit 1500 intensiviert haben. Dabei wird aber darauf geachtet, Globalgeschichte nicht als Feststellen des Führungsanspruchs eines bestimmten Weltteils (oder einer bestimmten Gruppe) zu schreiben, sondern auch die »Eigenständigkeit und Resilienz außereuropäischer Weltregionen« (4) zu berücksichtigen. Ein gutes Beispiel für diesen Ansatz ist der gelungene Beitrag von Mark Häberlein über »Nordamerika 1500–1900«. Er dekonstruiert die Geschichte einer linearen Verdichtung des nordamerikanischen Handelsraumes und setzt sich kritisch u. a. mit den ökologischen Kosten, der Dezimierung der Ureinwohner und dem Narrativ des amerikanischen Individualismus und der Marktrevolution auseinander. Differenziert beschreibt der Autor die Vielschichtigkeit der Region, in der neben dem Gebiet der späteren Vereinigten Staaten auch Mexiko und Kanada gesondert behandelt werden.
Die Mehrzahl der Beiträge beschäftigt sich mit den großen Entwicklungslinien wie Demografie, Staatsbildung, Wirtschaft, Lebensstandard (einschließlich Konsum) und internationaler Arbeitsteilung. Einige Beiträge wie der von Volker Depkat (Nord- und Südamerika im 19. und 20. Jahrhundert) gehen dezidiert auch auf die Dienstleistungen postindustrieller Gesellschaften ein (855), ein Bereich, der in handelsgeschichtlichen Darstellungen häufig ausgeklammert wird. Andere Beiträge wie der von Jürgen G. Nagel (Indischer Ozean und Malaiischer Archipel, 16. bis 20. Jahrhundert) oder von Philipp R. Rössner (Nordsee und nördlicher Atlantik 1500–1800) erläutern zusätzlich Handbuchwissen wie methodische Ansätze (z. B. Netzwerkanalyse, 346–347) oder wichtige Theorien (Dependenztheorie, small divergence, 478–479). Ungewöhnlich für ein Handbuch, aber durchaus erwähnenswert ist die Tatsache, dass in einigen Beiträgen auf aktuelle Grundlagenforschung verwiesen wird (z. B. der Beitrag von Alexander Keese zur Rolle afrikanischer Händler in Subsahara-Afrika, 782). Die einzelnen Beiträge bieten darüber hinaus einen ereignisgeschichtlichen Überblick über die behandelten Zeiträume und eignen sich daher hervorragend für Studierende. Eine letzte Herausforderung besteht in der Behandlung vollständig globaler Phänomene wie z. B. der MNEs (Multinational Enterprises) oder des Bretton-Woods-Systems. Diese werden vor allem in den Beiträgen zum 20. Jahrhundert mit Verweisen auf die überregionalen globalen Auswirkungen besprochen. Die Fokussierung auf die Handelsräume als Interaktionsrahmen dieser Phänomene hilft, sie zu beschreiben, zeigt aber auch die Schwierigkeiten einer nach Räumen gegliederten Globalgeschichte auf.
Alle Einzelbeiträge sind mit einem umfangreichen Fußnotenapparat und einer Auswahlbibliografie versehen, überwiegend in Deutsch und Englisch, je nach Thema auch in anderen Wissenschaftssprachen. Die Ausstattung beinhaltet auch zahlreiche Abbildungen, die jedoch leider in Qualität und Größe variieren. Gerade die Entscheidung für kleinformatige Abbildungen schmälert mitunter deren Nutzbarkeit. Der Band schließt mit einem Personen-, Orts- und Firmenregister. Ein Sachregister, insbesondere für Handelsgüter, fehlt leider. Das Handbuch überzeugt durch seine Konzentration auf Handelsräume und Handelsrouten und vermeidet durch seine Konzeption einige Fallstricke der Globalgeschichte. Erfreulich ist auch die hohe Aktualität der Beiträge, die sich auf den neuesten Forschungsstand stützen und auch die neuere Historiografie kritisch beleuchten. Die Beiträge sind insgesamt sehr ergiebig und informativ und bestechen zum Teil durch innovative Ansätze. Das Handbuch füllt die Nische eines spezifischen Forschungsüberblicks zu globalen Handelsräumen und -routen und man darf den Herausgebern zu diesem umfangreichen und insgesamt sehr gelungenen Werk gratulieren.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Stephan Nicolussi-Köhler, Rezension von/compte rendu de: Mark Häberlein, Markus A. Denzel (Hg.), Handbuch globale Handelsräume und Handelsrouten. Von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2024, 962 S., ISBN 978-3-11-043757-7, DOI 10.1515/9783110428032, EUR 210,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111333