Bislang sind für das 16. Jahrhundert im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wenigsten 107 Vormundschaftsregierungen nachgewiesen. »Der biologische Zufall führte dazu, dass nahezu jedes weltliche Territorium im deutschsprachigen Raum im Reformationsjahrhundert mindestens einmal ohne regierungsfähigen Landesherrn blieb« (486). Mit Ausnahme der Kurbrandenburger Hohenzollern waren alle führenden Dynastien im Reich mindestens einmal betroffen. »Demnach handelt es sich bei landesherrlichen Vormundschaften keineswegs um ein marginales Problem dynastischer Herrschaftssicherung und frühmoderner Staatsbildung – wiewohl es klar eine systemische Anomalie darstellte« (579).

Dem Vormund kam »im Land wie im Reich eine zentrale Bedeutung als ermächtigter und legitimer Landesherr zu. Fürstliche Vormünder […] entschieden über Bündnisse, über die Kirchen- und Bekenntnispolitik, gaben die reichs- und territorialpolitische Linie vor und trafen selbst nachhaltig wirkende Entscheidungen über Landesteilungen und -abtretungen« (567). Bestimmungen des landesherrlichen Testaments fanden nur bedingt Beachtung. Verbindliche zeitliche Begrenzungen für die Vormundschaft fehlten. Regional schwankte das Mündigkeitsalter zwischen 18, 21 und 25 Jahren. Vereinzelt wurden verwaiste Prinzen bereits mit 13 Jahren vom Kaiser für volljährig erklärt. »Den Zielpunkt der Bemühungen bildete stets eine legale oder aber legitimierte Organisation der Landesherrschaft« (560), wobei formalrechtliche und machtpolitische Wege sich überkreuzten. In folgender Häufigkeit sind drei Formen der Organisation von Vormundschaft zu beobachten: 1. die fürstliche bzw. hochadlige Selbstregierung, 2. eine delegierte Regierung durch Statthalter bzw. Räte sowie 3. eine Regentschaft der Landstände. Mütterliche Vormundschaften waren hingegen äußerst selten (563).

Das Thema der 2021 in Leipzig angenommenen, von Manfred Rudersdorf betreuten, Dissertation von Sebastian Kusche ist die Vormundschaft und Kuradministration des Herzogs Friedrich Wilhelm I. von Sachsen-Weimar für die unmündigen Söhne des sächsischen Kurfürsten Christian I.

Friedrich Wilhelm aus dem ernestinischen Familienzweig der Wettiner hatte darin bereits Erfahrung gesammelt, hatte er doch selbst unter der Vormundschaft des sächsischen Kurfürsten August gestanden. Testamentarisch hatte Friedrich Wilhelms Vater Kurfürst Ludwig von der Pfalz und Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg als Regenten bestimmt. Die Regentschaft wurde aber auch von der Herzoginmutter Dorothea Susanne von der Pfalz beansprucht, die sich jedoch nicht gegen den sächsischen Kurfürst August aus der albertinischen Verwandtschaft durchsetzen konnte, der als nächster Agnat des Prinzen die Regentschaft beanspruchte und durchsetzte.

Eine ähnliche Situation ergab sich, als der sächsische Kurfürst Christian I. 1591 starb und dessen Söhne zu jung für die Regierungsübernahme waren. Der Ausfall der Landesherren machte die Organisation eines überbrückten Herrschaftsübergangs erforderlich. Fürsten aus konkurrierenden Häusern sollten diesen absichern. Die Ernestiner strebten nach der Wiedererlangung der Kurwürde, die 1547 an die Albertiner gefallen war. Zudem hatte Christian I. testamentarisch den Vater seiner Gemahlin Sophie, Kurfürst Johann Georg von Brandenburg, zum Mitvormund bestimmt. Friedrich Wilhelm vermochte es, sich mit Hilfe der kursächsischen Stände gegen die Mutter der Prinzen sowie deren Vater durchzusetzen.

Die Zeit der sächsischen Kuradministration begann mit Tumulten, erlebte gewalttätige Ausschreitungen, wie den Leipziger Calvinistensturm im Mai 1593, und endete mit der aufsehenerregenden Hinrichtung des ehemaligen Kanzlers Christians I., Nikolaus Krell, 1601. Im Einklang mit den Landständen betrieb Friedrich Wilhelm einen Eliteaustausch bei Hof- und Universitätstheologen und Dresdener Räten. Ziel dieser Politik war die neuerliche Befestigung des Konkordienluthertums und die Entfernung vermeintlicher Calvinisten. Sebastian Kusche ist in diesem Rahmen stets sehr bemüht, die These von Ansätzen einer zweiten Reformation, hin zum Calvinismus unter Christian I. zu widerlegen.

Frühmoderne Territorialstaatsbildung und konfessionalisierte Kirchenbildung prägten das Ende des 16. Jahrhunderts auf konflikthafte Weise. Kursachsen erfuhr durch die gewaltsame Klärung der kirchenpolitischen Verhältnisse durch Friedrich Wilhelm eine bemerkenswerte Konsolidierung. Lutherische Konfessionskultur, adlig-landständischer Korporatismus und die Professionalisierung der Verwaltung führten eines der mächtigsten Territorien des Reiches im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges in eine starke Position.

Die Studie analysiert neben den Begebenheiten in Kursachsen zugleich das Phänomen der Vormundschafts- und Kuradministrationsregierungen im Reich im 16. Jahrhundert. Der Ausfall eines regierungsfähigen Oberhaupts legte die Strukturen und Praktiken frühmoderner Territorialstaatlichkeit offen. Die spezifische Herrschaftsorganisation, das Verhältnis von Fürst und Landständen, die Auswirkungen auf die Kirchen- und Reichspolitik werden jeweils untersucht.

Die Arbeit von Sebastian Kusche zeichnet sich durch beeindruckende Sachkenntnis und sprachliche Präzision aus. Eine inhaltliche Straffung wäre der Rezeption jedoch dienlich gewesen. Irritierend ist, dass die sächsische Kuradministration im abschließenden Kapitel nicht mehr behandelt wird. Hier wäre eine Zusammenfassung wünschenswert. Verdienstvoll ist die tabellarische Zusammenstellung aller Vormundschaftsregierungen des 16. Jahrhunderts im Reich ab Seite 601.

Bedauerlich sind sprachliche Manierismen wie »Ernestiner in Albertinien« (32), »Ernestiner in Ernestinien« (176) sowie, dass häufig statt hohenzollerischen Absichten usw. von »zollernschen« (76 u. ö.) zu lesen ist, parallel jedoch auch das korrekte Adjektiv »hohenzollerisch« verwendet wird. Wie umfangreich war das angeblich »lange Reformationsjahrhundert« (15 u. ö.), wenn gleichzeitig die Zeit der Kuradministration ab 1591 immer wieder als »Ende des Reformationsjahrhunderts« bezeichnet wird (z. B. 211, mit Bezug auf Ereignisse 1593)? Es ist auch nicht ersichtlich, wie die »(lange) erste Jahrhunderthälfte« des 16. Jahrhunderts definiert wird (95). Hier hätte das Lektorat eingreifen müssen. Auch bei der »kurfälzer Vormundschaftsregierung« (560).

Sebastian Kusche bezeichnet Landesfürsten immer wieder als »Staatssubjekt« (18 u. ö.). Eine Definition des Begriffes unterbleibt. Dabei könnte man es in diesem Punkt durchaus mit Oscar Wilde halten, der einmal erklärte, dass es kein Thema (subject) gäbe, über das er nicht sofort sprechen könne. Ein Mann hob daraufhin sein Glas und sagte: »Die Königin«, woraufhin Wilde antwortete: »The Queen is not a subject« (Untertan).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Wolfgang Burgdorf, Rezension von/compte rendu de: Sebastian Kusche, Kuradministration, Luthertum und Territorium. Staats- und Kirchenbildung in Kursachsen am Ende des Reformationsjahrhunderts, Stuttgart (Franz Steiner Verlag) 2022, 737 S., 25 Abb. (Quellen und Forschungen zur sächsischen und mitteldeutschen Geschichte, 49), ISBN 978-3-515-13417-0, EUR 122,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111338