Dieser Band, der einen schwer ins Deutsche übertragbaren Untertitel trägt (»les clergés« ist die im Deutschen nicht vorhandene Pluralform von »Klerus«), versammelt achtzehn Beiträge zur Geschichte von Klerikern an europäischen Höfen vom späten 15. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Der Sammelband ist dreisprachig (Französisch, Spanisch, Englisch) und fokussiert eindeutig auf das katholische Europa, vor allem auf Frankreich, Spanien, Italien und die südlichen Niederlande (das heutige Belgien). Weder lutherische Staaten noch die katholischen Territorien des Heiligen Römischen Reichs werden behandelt (wenn man von einem Aufsatz zu einem kaiserlichen Beichtvater absieht). Dafür bietet je ein Aufsatz Einblicke in die britische bzw. die Moskauer Geschichte.

Die Kohärenz des Sammelbands ist eher auf der Ebene des Untersuchungsobjekts als auf der der Fragestellung zu suchen. Der Herausgeber Benoist Pierre grenzt sich vor allem von einer Hofforschung ab, die die »cléricature de cour« lediglich betrachte als eine » dignité ou une charge sociale, revêtue par les membres de la noblesse pour accroître leurs revenus et leur pouvoir« (9). Statt dieses rein sozialhistorischen Zugangs, für den in Deutschland die monumentale prosopografische Studie von Leonhard Horowski zum französischen Hof als ein gutes Beispiel gelten kann, plädiert Pierre für eine stärkere Berücksichtigung der »croyances religieuses« von Hofklerikern und der »imaginaires ou les visions qu’elles portent« (9). Wie in Sammelbänden aber üblich, folgt nur ein Teil der Aufsätze dem von den Herausgebern identifizierten historiografischen Programm.

Im Sammelband werden die einzelnen Beiträge nicht thematischen Schwerpunkten zugeordnet und die Einleitung bietet wenig Orientierung über die übergeordneten Erkenntnisse. Im Folgenden wird versucht, die Aufsätze thematisch einzugruppieren. Aufgrund ihrer hohen Anzahl kann dabei nur sehr kursorisch auf deren Inhalt eingegangen werden.

Die Aufsätze, die durch einen sozialhistorischen Zugang Institutionen in den Blick nehmen, sind die zahlreichsten. Jean‑Marie Cauchies zeigt durch eine Analyse der spätmittelalterlichen Burgunder Hofordnungen die »structuration croissante des chapelles« auf. Bernard Vandermeersch analysiert die Gruppe der Kleriker, für die der südniederländische Hof im 18. Jahrhundert Dispensen von der Residenzpflicht erwirkte. Er kommt zu dem Schluss, dass der Rat aufgrund der Proteste von Kircheninstitutionen solche Dispensen nur behutsam verteilte; dabei dominierten die Dispensen zu Zwecken der Forschung und Lehre und erst an zweiter Stelle diejenigen für die Administration der Justiz oder für den diplomatischen Dienst. Birgit Emich weist in ihrer Studie über den römischen Hof auf den Graben zwischen funktional ausdifferenzierten Institutionen, die drei unterschiedliche Typen von Hofämtern umschlossen, und dem Zeremoniell hin, in dem nur der Rang zählte.

Mehrere Beiträge fokussieren auf eine bestimmte Institution. Cédric Michon vergleicht die Teilnahme von Klerikern am fürstlichen Rat in einer Reihe von europäischen Ländern und kommt zu dem Schluss, dass deren Stellung als Ratsmitglied quantitativ wie qualitativ stark variierte. In manchen Fällen hing sie mit ihren weltlichen Herrschaftsrechten zusammen, in anderen mit besonderen technischen Kompetenzen. Zwei Beiträge behandeln die Geschichte der Königlichen Kapelle in Spanien. José Eloy Hortal Muñoz arbeitet das Wachstum der Ämter in der Capilla Real unter Philipp IV. heraus, die vor allem von der Übernahme römischer Riten wie der Vierzig-Stunden-Gebete herrührte. Marcelo Luzzi Traficante zeigt, dass die Reformen der Königlichen Kapelle unter den Bourbonen keinem »französischen Modell« folgten, sondern Teil eines finanziell bedingten Programms zur Reduzierung höfischer Ausgaben waren. Zwei Aufsätze fokussieren auf das königliche Almosenamt in Frankreich. Éléonore Alquier liefert eine prosopografische Studie der aumôniers, die eine Zwischenstellung zwischen den grands officiers de la couronne und der Domestizität einnahmen. Rémy Hême de Lacotte stellt dar, wie die grande aumônerie in der Restauration einen starken Kompetenzzuwachs erfuhr und zweitweise die Kirchenpolitik in einem reaktionären Sinne umzugestalten versuchte, bevor sie durch Minister in ihre Schranken verwiesen wurde.

Wie Hême de Lacottes Aufsatz bereits zeigt, hat der Sammelband auch Stärken auf dem Gebiet der Politikgeschichte. Eine Reihe von Autoren und Autorinnen interessiert sich dabei vor allem für die Frage nach den Loyalitäten von Hofklerikern. Paolo Cozzo betont, es habe in Savoyen keinen monolithischen Klerus gegeben: Hofkleriker seien vor allem durch ihre Loyalität gegenüber dem Souverän gekennzeichnet gewesen, auch wenn sie angeblich romfreundlichen Orden angehörten, und hätten Aufgaben wahrgenommen, die von spirituellen stark abweichen. Die in der Frühen Neuzeit umstrittene Funktion des fürstlichen Beichtvaters wird auch in Bezug auf die Frage nach Loyalitäten beleuchtet. Pierre-François Pirlet zeichnet nach, warum Beichtväter am Brüsseler Hof der Habsburgerzeit Diener zweier Herren waren: Obwohl sie als enge Berater der Fürsten und Generalgouverneure der Niederlande fungierten, genossen sie deshalb ihnen gegenüber eine große Autonomie, weil sie von Madrid ernannt wurden. Nicole Reinhardt analysiert die äußerst fragile Legitimität fürstlicher Beichtväter in Frankreich und die apologetischen Strategien, um ihre politische Rolle zu rechtfertigen. Étienne Bourdeu ergänzt die Ausführungen von Robert Bireley zum berühmten kaiserlichen Beichtvater Lamormaini, indem er spanische Quellen auswertet; er bestätigt, dass Lamormaini den Madrilenen als ein Parteigänger Papsts Urban VIII. und Frankreichs suspekt war. Fabienne Henryot widmet sich dem Fall des Père Donnat de Nancy, eines Beichtvaters Karls IV. von Lothringen, und arbeitet heraus, wie er sich zu einer wichtigen Stütze für diesen im Dreißigjährigen Krieg exilierten und zugleich exkommunizierten Herzog entwickelte. Albane Pialoux argumentiert gegen die Darstellung des französischen Hauptministers Kardinal Fleury als eines eher politischen denn religiösen Prälaten. Sie zeigt, wie der französische Hauptminister Kardinal Fleury versuchte, Staats- und Kirchenräson in Einklang zu bringen, obwohl er den Papst in weltlichen Angelegenheiten kaum unterstützte.

Entgegen dem, was die Einleitung nahelegt, analysieren im Endeffekt nur wenige Beiträge religiöse oder religiös-politische Vorstellungen. In ihrer Studie zu den normativen Dilemmata von Beichtvätern untersucht Nicolas Reinhardt den jesuitischen Rekurs auf die Figuren des Propheten und des Philosophen Seneca. R. Malcolm Smuts erzählt die Geschichte der Konflikte um Kirchenreformen in England und Schottland in der Renaissance. José Martínez Millán betrachtet die Capilla Real als Produzentin ideologischer Diskurse über die spanische Monarchie. Die Durchsetzung römischer Riten wie der Vierzig-Stunden-Gebete zeige, dass die Vorstellungswelt von der universalen Monarchie einen Niedergang erfahren habe. Mikhail V. Dmitriev erforscht die Beziehungen zwischen Klerikern und dem Großfürsten Iwan dem Schrecklichen von Moskau. Die erste Hälfte der Herrschaft habe unter dem Zeichen einer Suche nach einer »Symphonie« zwischen Klerus und Fürsten gestanden. Der Großfürst und Zar habe jedoch diese Zusammenarbeit als gescheitert angesehen und darauf mit Terror geantwortet.

Église et État ist somit ein Sammelband, der in den Bereichen der Sozial- und Politikgeschichte seine Stärken hat und viele neuere Erkenntnisse versammelt. Wie für Sammelbände typisch sind diese schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, bieten aber ein europäisches Panorama an, das auf mannigfache Weisen zu Vergleichen einlädt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Damien Tricoire, Rezension von/compte rendu de: Alain Marchandisse, Benoist Pierre (dir.), Église et État. Les clergés de cour en Europe (fin XVe siècle–XVIIIe siècle). Service religieux et service politique dans les systèmes curiaux, Turnhout (Brepols) 2024, 364 p. (Études renaissantes, 41), ISBN 978-2-503-60899-0, EUR 80,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111340