Bereits seit geraumer Zeit hält sich in der Forschung die Frage, ob es so etwas wie Feminismus vor der Moderne gegeben habe und ob Kategorien wie Feminismus und Religion miteinander vereinbar seien. Mit diesen Fragen setzen sich Holly Faith Nelson und Adrea Johnson unter anderem in dem hier rezensierten Sammelband auseinander. Wenn bisher die Themenkomplexe Religion und Feminismus in der Forschung als exklusiv und sich einander ausschließend betrachtet wurden, wird in diesem Sammelband ein erster Versuch vorgestellt, zu zeigen, wie subtil sich erste feministische Formen in Bezug auf die christliche Religion in Texten von weiblichen Autoren zeigen. Sie schließen sich damit an Untersuchungen an, die zum einen Texte von Autorinnen losgelöst von Religion unter feministischen Kritikpunkten untersucht haben; zum anderen an Untersuchungen zu Texten von männlichen Verfassern, die bisher weitreichend im Vordergrund standen. Der Blickwinkel wird also von männlichen zu weiblichen Akteurinnen und von einer Exklusivität der Kategorien Religion und Feminismus hin zu einer Inklusivität der Begriffe verschoben, um so »useful intellectual and spiritual resources for reimagining gender relations« (28) zu erhalten.
Das Zusammenführen der beiden Themenbereiche gelingt den Herausgeberinnen dadurch, dass sie heuristisch mit sehr weit gefassten Definitionen von Feminismus und Religion für das späte Mittelalter und die Frühe Neuzeit agieren. Dabei wird Feminismus als offenes Konzept verstanden, das als »gesture towards ›women’s full and equivalent humanity‹« (25) gefasst wird. Es geht also um die ersten Schritte in die Richtung des heutigen anglo-amerikanischen Feminismus, der jedoch nicht weiter im Band definiert wird. Sie folgen für ihre Definition von Feminismus Eileen O’Neil, die in ihrer Forschung zum historischen Feminismus in der Philosophie (2019) folgendes für erste feministische Ansätze herausarbeitete: erstens den Angriff der Frauenfeindlichkeit und der männlichen Vorherrschaft, zweitens den Glauben, dass die weibliche Situation verbessert werden könne, weil sie nicht von der Natur vorgeschrieben würde, und drittens den Ausdruck von gender, das eine vorteilhafte Gruppenzugehörigkeit schaffe. Hierdurch wird das Nachzeichnen der subtilen feministischen Andeutungen in den von Autorinnen verfassten religiösen Schriften, die zuvor vernachlässigt wurden, ermöglicht.
Der Begriff »Religion« bleibt (häufig auch in den Aufsätzen) vage. Es wird lediglich festgelegt, dass die christliche Religion im Vordergrund stehe, folglich die katholische Kirche und verschiedene protestantische Konfessionen. Der Fokus des Bandes liegt indes nicht auf dem Vergleich der unterschiedlichen christlichen Kirchen, sondern darauf, aufzuzeigen, dass sich feministische Züge flächendeckend in diesen nachweisen lassen. Durch die annähernde Nivellierung der Konfessionen soll schließlich versucht werden, ein nuanciertes Bild von Feminismus und Religiosität an den Beispielen Frankreich, Spanien, Großbritannien, Italien und Amerika in einer Zeitspanne von 350 Jahren (1450–1805) nachzuzeichnen.
Der Sammelband ist in sechs Sektionen unterteilt, die sich jeweils einer bestimmten Ausdrucksweise der ersten feministischen Ideen widmen. So befassen sich Gladys Robalino, Clara Stella und Michael Behrens mit der Art und Weise wie mittelalterliche und frühneuzeitliche Frauen ihre Schriften und die damit verbundenen rhetorischen Kniffe nutzten, um sich selbst als Verteidigerinnen der Christenheit darzustellen, denen ihre Stimme von Gott selbst gegeben worden sei. Durch die Anlehnung an die christliche Religion war es den Frauen schließlich möglich, so Stella, als Vermittlerinnen der sozialen, kulturellen und spirituellen Veränderungen ihrer Zeit zu agieren.
Im zweiten Teil stellen Natasha Duquette und Megan Cole anschaulich dar, dass Frauen im Bereich der Religion erst durch Beschränkungen Freiheit in ihrem Handeln erlangten. So erlaubten beispielsweise Konvente Frauen einen größeren Handlungsspielraum als die traditionelle gesellschaftliche Ordnung des 16. und 17. Jahrhunderts. Das Konvent gab ihnen (losgelöst von Männern) etwa Raum für Diskussionen, Bildung und zur Entwicklung neuer Ideen, die ihnen andernfalls verwehrt geblieben wären. Schließlich war es sogar möglich, weibliche Autorität gegenüber Männern durchzusetzen, indem letzteren den Zutritt zum Konvent verboten wurde.
Anschließend daran befasst sich der dritte Abschnitt mit der Freiheit, die sich Frauen durch eine christlich-religiöse Sprache (bspw. biblische Tropen) bot. So untersuchen Felicity Sheehy und Melissa Kleinschmidt zum einen anhand botanischer Metaphern, wie sie etwa von Mary Carey (1609–1680) oder Margaret Cavendish (1623–1673) eingesetzt wurden; zum anderen aber auch wie in Almanachen sowie Manuellen des 17. Jahrhunderts die Autorität von Frauen dargestellt wurde. In dem Abschnitt wird die funktionale Nutzung von botanischen Metaphern aus der Bibel deutlich, die dazu eingesetzt wurden, Körper und Geist der Frau mit jenen der Männer gleichzustellen. Frauen wurden so beispielsweise als Weinrebe dargestellt, die in sich die Frucht Gottes trugen und somit zu direkten Mittlerinnen zwischen Gott und dem irdischen Leben stilisiert wurden.
Holly Faith Nelson, Sharon Alker und Nicole Garret gehen in der vierten Sektion auf die Umwege ein, die Frauen gingen, um sich unauffällig in der religiösen Sphäre als weibliche intellektuelle Autorität darzustellen. Sie kommen zum einen zum Ergebnis, dass Frauen innerhalb von religiösen Institutionen in Prosatexten Agency und Autorität zur Schau stellen konnten, während ihnen gleichzeitig weitere religiöse Praktiken wie das Trauern und das Sterben neue Handlungsmöglichkeiten eröffneten, indem sie sich »as a spiritual advisor in a community of mourners« (223) positionierten und damit eine Rolle einnahmen, die sonst nur Männern zustand.
Im vorletzten Abschnitt geht Rachel M. De Smith Roberts darauf ein, wie verschiedene christliche Konfessionen feministische Standpunkte erzeugten oder einschränkten. Steve Van-Hagen untersucht dabei labouring-class poets des 18. Jahrhunderts, die hauptsächlich, bestärkt durch alttestamentliche Lehren, nach größeren weiblichen Freiheiten verlangten.
Der letzte Abschnitt schließt sich thematisch an den zweiten an und untersucht mit Jordan Hall und S. Spencer Wells die Freiheiten von Frauen durch die Nutzung von reformatorischen Lehren, hier jedoch u.a. mit dem Fokus auf dem frühneuzeitlichen Amerika. Es wird deutlich, dass Frauen auch andere Religionen – besonders den Islam – rezipierten und mit ihrem reformierten Glauben verglichen. Die untersuchten Autorinnen versuchten hierbei nicht die traditionelle Ordnung (bspw. die Unterordnung der Frau) gänzlich zu unterwandern, vielmehr sahen sie eine Möglichkeit darin, weibliche Freiheiten und auch die Gleichheit vor Gott in ihren Schriften zu verdeutlichen, die sich beispielsweise durch Gewissensfreiheit oder eigenständige Urteilsbildung äußerten. Die Form der religiösen Texte bot hierbei den Frauen erst den Handlungsspielraum, diese Ideen zu verfassen.
Die Form des Sammelbandes ist zu loben. Mit einem vorangestellten Bildverzeichnis, einer angehängten Bibliografie sowie einem Personen- und Sachindex wird eine übersichtliche Struktur geschaffen, die einen guten Rahmen für die dreizehn Beiträge bildet. Ein stärkerer Bezug der einzelnen Artikel zu den zu Beginn herausgearbeiteten Definitionen und Konzepten hätte das Gesamtbild zusätzlich abgerundet. Während das Verständnis des Begriffs Feminismus, wie er in dem Band untersucht wurde, gut herausgearbeitet und kontextualisiert wurde, so bleibt der Begriff der Religion vage. Der Sammelband eröffnet somit zwar die Möglichkeit, die beiden Themenkomplexe miteinander zu verbinden – und somit erste Einblicke und neue Denkanstöße zu schaffen – doch bleibt die Frage nach der Bedeutung der einzelnen christlichen Konfessionen und deren Unterschiede hierin offen. Die Nachvollziehbarkeit der Argumente wird dadurch teilweise erschwert.
Nichtsdestotrotz ist der Band positiv hervorzuheben, da er für die Geschichte des Feminismus im Hinblick auf religiöse Ansätze und somit auf gedachte, gelebte und dargestellte Geschlechterhierarchien neue Perspektiven eröffnet.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Nadine Rüdiger, Rezension von/compte rendu de: Holly Faith Nelson, Adrea Johnson (ed.), Negotiating Feminism and Faith in the Lives and Works of Late Medieval and Early Modern Women, Amsterdam (Amsterdam University Press) 2024, 354 p. (Gendering the Late Medieval and Early Modern World), ISBN 978-90-4856-041-7, EUR 141,00., in: Francia-Recensio 2025/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.2.111343