Die Literatur zum Zweiten Weltkrieg füllt seit Jahrzehnten Bibliotheken. Spätestens seit der Öffnung der Archive in Osteuropa nach Ende des Kalten Krieges liegen im Grunde zu allen möglichen Details der Kriegführung Überblicks- wie Spezialstudien vor. Dadurch erhielt auch die Erforschung der deutschen Besatzungspolitik sowie der Kriegsverbrechen von SS und Wehrmacht in den verschiedenen Teilen Europas neue Impulse.
In Deutschland ist indes bis heute weithin unbekannt, dass während der Besatzungsjahre in Frankreich von 1940 bis 1944 in der Bretagne eine regional verwurzelte Autonomie-Bewegung eng mit der deutschen Besatzungsmacht zusammengearbeitet hat.1 Die Ursprünge dieses zahlenmäßig eher unbedeutenden militanten bretonischen Nationalismus, dessen Wirkung auf das Selbstverständnis der aktuellen Regionalbewegung in der Bretagne bis heute nicht zu unterschätzen ist, fallen in die Frühzeit des 20. Jahrhunderts. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als alte Imperialismen schwächelten und überall in Europa neue Nationalismen aus dem Boden schossen, meldete sich auch ein Mouvement breton zu Wort.
Dieser erblickte sein Heil nicht allein in der Abkehr vom Pariser Zentralismus, sondern forderte etwa einen Ausgleich für die im Weltkrieg geleisteten Opfer, ein Krieg, der die »keltischen Bretonen« zu »latinisierten Franzosen« verformt und sie so von ihrer angestammten Heimat und ihrem Volkstum entfremdet habe.2 Seine Führungspersönlichkeiten, alles kurz nach der Jahrhundertwende geborene Männer mit bürgerlich-akademischem Hintergrund, gebärdeten sich als intellektuelle »Junge Wilde«, sozialisiert in einem zunehmend durch rechte Propaganda geprägten politischen Umfeld.
Namentlich zu nennen wären vor allem der Architekt Olier Mordrel (1901–1985) und der aus Brest stammende Célestin Lainé (1908–1983). Letzterer propagierte einen heidnischen und rassistischen »keltischen Glauben«, der weitgehend durch einen Austausch mit deutschvölkischen Kreisen und seit Mitte der 1930er-Jahre auch mit der »Deutschen Gesellschaft für keltische Studien« (Gerhard von Tevenar) und der »Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe« der SS inspiriert war.3 Für Mordrel und Lainé war das Schlachtfeld ein Ort männlicher Initiation. »Heldentum«, Opferbereitschaft und »Kampf« – im Kontrast zur »Verweichlichung« der französischen Jugend – galten als die wahren Leitthemen des Lebens. Hier verband sich der übersteigerte rassistische Nationalismus der »Generation des Unbedingten« (Michael Wild) mit religiös-sektiererischen und keltologisch-germanisch verbrämten Denkmustern.
Yannick Botrel, als langjähriger Bürgermeister von Bourbriac, Conseiller général und 2008–2020 Senator für das Département Côtes-d’Armor von Haus aus ein homme politique, hat sich als passionierter Historiker der Mühe unterzogen, die kurze Geschichte des radikalsten Teils der bretonischen Nationalbewegung unter deutscher Besatzung nachzuzeichnen. Der »Bezen Perrot« (Perrot-Miliz), benannt nach einem im Dezember 1943 von der Résistance getöteten katholischen Geistlichen und führenden Mitglied der bretonischen Miliz, Abbé Perrot, war eine am 15. Dezember 1943 unter diesem Namen zusammengestellte militärische Einheit unter der Führung ihres Gründers und Mentors Célestin Lainé.
Als bretonischer Waffenverband der Waffen-SS agierte der Bezen Perrot, im Auftrag des Kommandanten des Sicherheitsdiensts der SS (SD) in Rennes, SS-Obersturmbannführer Hartmut Pulmer (1908–1978), bis zur alliierten Landung in der Normandie im Juni 1944 als Hilfstruppe. Sie wurde vor allem im Kampf gegen die in der Bretagne einflussreiche Résistance eingesetzt, deren Mitglieder von Miliz-Angehörigen verhört, gefoltert und teilweise hingerichtet wurden. Seit Anfang August 1944 wurde der Bezen Perrot, der auch in seinen besten Zeiten nie mehr als 100 bis 150 Mitglieder zählte, dann Stück für Stück weiter nach Osten zurückgezogen, bis er sich im April 1945 im Raum Tübingen auflöste. Noch kurz zuvor waren seinen Mitgliedern Abzeichen und Dienstränge der SS feierlich verliehen worden.
Botrel stützt sich bei seinen Studien vor allem auf die einschlägige neuere französische allgemeine und regionale Spezialliteratur sowie die Auswertung von Unterlagen in den betreffenden Departementalarchiven, beim Centre de recherche bretonne et celtique der Université de Bretagne occidentale (Brest) sowie die Militärgerichtsakten in Le Blanc. Weiterführende Literatur, über das enge Arbeitsthema hinaus, etwa zur deutschen Besatzungspolitik in Frankreich, zum Wirken von Polizei und SD oder zur »Kollaboration«, ebenso wie Arbeiten in englischer oder deutscher Sprache4 hat der Autor nicht zu Rate gezogen.
Es geht ihm auch weniger darum, den bretonischen Waffenverband in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen. Anliegen ist vielmehr, die einzelnen Phasen seines Bestehens zu dokumentieren, im Detail die militärischen Kommandostrukturen herauszuarbeiten und – vor allem –den Angehörigen des Waffenverbands, soweit ihre Identitäten zu ermitteln waren, ein Gesicht zu geben. Knapp zwei Drittel des etwas mehr als 200 Seiten starken Textes behandeln die biographischen Einzelschicksale der Mitglieder des Bezen Perrot. Fast immer sind es blutjunge Männer um die zwanzig. Ihre Lebensläufe präsentiert Botrel, die Fakten additiv und ereignisgeschichtlich aneinanderreihend, ohne eigene Bewertung: Es geht um Lebensdaten, Beförderungen, die Teilnahme an Einsätzen; dazu jeweils am Ende ein kurzer Hinweis, was mit den Leuten bei Kriegsende passierte.5
Darüber hinaus geht der Autor auf die verschiedenen Vorgängerorganisationen von Lainés »bretonischer Befreiungsarmee« ein: Kadervenn (1937), Lu Vrezhon (1940), Bezen Cadoudal (1943); ferner auf die Biographie Lainés sowie die einzelnen Einsätze und Operationen des Bezen Perrot in der Bretagne. Relativ ausführlich werden auch Flucht und Zerfall des aufgrund von hoher Fluktuation am Ende stark zusammengeschmolzenen Waffenverbands 1945 in Südwestdeutschland dargestellt. Hierbei hatte vor allem der elsässische Volkstumspolitiker Hermann Bickler (1904–1984), ein alter Freund der bretonischen Separatisten und seit 1943 in Paris als SS-Standartenführer und Chef des Amts VI beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei aktiv, maßgeblich seine Hand im Spiel.
Insgesamt wird nicht ganz klar, woraufhin Botrel mit seiner »Dokumentation« hinaus will: Obwohl der Autor eingangs klar und deutlich das »dunkle Kapitel« in der Geschichte der Bretagne betont, welches die Kollaboration des Bezen Perrot mit der SS gespielt habe, und von »verheerenden Folgen« für das Selbstbild der Bretonischen Nationalbewegung bis heute spricht, bleibt am Ende doch ein wenig der Eindruck eines Gedenkbuches. Aus welchen Motiven sich die Milizionäre gegen ihr Land wandten, ob aus edlen oder niederträchtigen, ob es mehr um Politik, Selbstbestimmung, bretonisches »Heldentum« oder einfach nur um jugendliche Selbstüberschätzung ging – diese zentrale Frage beantwortet Botrel nicht.
Gerade für deutsche Leser wäre es auch spannend gewesen, einmal zu hören, wie nach 1945 die Gerichte und die Öffentlichkeit Frankreichs mit den Angehörigen des Waffenverbands umgingen. Welchen Stellenwert nimmt die Zeit der Kollaboration mit der Besatzungsmacht heute im Selbstbild der bretonischen Regionalbewegung ein? Überwiegend Ablehnung oder doch auch ein wenig Stolz? Auch die Rolle, welche diese radikalen bretonischen Separatisten innerhalb der deutschen Frankreichpolitik spielten, bleibt weitgehend unberührt.
Célestin Lainé und einigen anderen Angehörigen der Einheit, denen als »Verräter« der Tod durch Exekution an der nächsten Hauswand drohte, gelang es nach Kriegsende nur dank tätiger Mitwirkung deutscher Sympathisanten, sich falsche Papiere zu beschaffen und in den Untergrund abzutauchen. Hier spielte die hessische Region um Marburg eine maßgebliche Rolle, wo Repräsentanten des deutschen Konservatismus wie der rheinische Keltologe Leo Weisgerber (1899–1985) oder der Religionsphilosoph und Gründer einer heidnischen Freikirche Friedrich Hielscher (1902–1990) den Bretonen wichtige Hilfe zukommen ließen. Während Lainé 1947 nach Irland ausreiste, wo er 1985 verstarb, blieben andere Führungskader wie Ange Péresse (1920–1984), der Chefausbilder des Bezen Perrot, als »Flüchtlinge« lebenslang in Deutschland und erhielten sogar die deutsche Staatsbürgerschaft.
Trotz mancher Kritik bleibt festzuhalten, dass Botrel mit seiner Arbeit insgesamt eine zuverlässige Dokumentation zu dem kurzen Leben dieser schon etwas seltsamen französischen Kampfeinheit vorgelegt hat, mit der der geneigte Leser Einblick in viele spannende historische Details gewinnen kann.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Hubert Roser, Rezension von/compte rendu de: Yannick Botrel, Le Bezen Perrot (1943–1945): supplétifs des nazis en Bretagne, Morlaix (Skol Vreizh) 2024, 239 p., 35 ill. ISBN 978-2-36758-166-8, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2025/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112773





