Die vielfältigen Erinnerungsaktivitäten, mit denen im Jahr 2025 in Frankreich an die Befreiung und das Ende des Krieges vor 80 Jahren erinnert wurde, haben das Thema »Widerstand« dort erneut in die Medien und damit auch in den Fokus der französischen Öffentlichkeit gerückt. Erstmals wurde dabei auch den Frauen breiter Raum gegeben. Das Buch von Hélène Camarade kommt insofern im richtigen Augenblick und kann in Frankreich mit einem interessierten Leserkreis rechnen, zumal die Autorin sich ausschließlich dem – lange vernachlässigten – Thema des Widerstands von Frauen widmet. Dass sie diese Geschichte als Germanistin aus einer französischen Perspektive schreibt, macht das Buch besonders interessant.
Bisher liegen nur zwei Publikationen zum Widerstand von Frauen vor, die einen transnationalen deutsch-französischen Blick enthalten. In ihrer unter dem vielversprechenden Titel »Wir fühlten uns frei« bereits 1997 erschienenen Studie vergleicht die Journalistin Florence Hervé die Darstellung und Wahrnehmung des Widerstands von Frauen in Deutschland und Frankreich und kommt dabei zu interessanten Ergebnissen. Sie zeigt, wie auch – oder vielleicht gerade – auf dem Feld der Bewertung weiblichen widerständischen Verhaltens kulturelle Unterschiede wirken und wie sich dies in der Sprache äußert.1 Eine dezidiert deutsch-französische, interdisziplinäre Perspektive liegt dem 2003 erschienenen Tagungsband »Les femmes dans la Résistance« zugrunde, der aus einer gemeinsamen Tagung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und des Musée Jean Moulin in Paris hervorging.2 Beide Arbeiten werden von Camarade erstaunlicherweise in ihrem Buch nicht erwähnt. Dabei beschäftigt sie sich selbst – ihrem geistes- und kulturwissenschaftlichen Profil entsprechend – mit Fragen an der Schnittstelle von Literatur und Geschichte und bezieht in ihren neuesten Arbeiten auch eine genderkritische Betrachtung mit ein.3 Das vorliegende Buch ist nun dezidiert ein historiographischer Beitrag, mit dem die vergessenen bzw. unsichtbaren Frauen des deutschen Widerstands sichtbar gemacht werden sollen, denn der Beitrag und die Rolle der Frauen im und für den deutschen Widerstand sind nach wie vor Leerstellen – wie ein Blick auf den Forschungsstand zeigt.4
Insgesamt neun Widerstandskämpferinnen stellt Hélène Camarade in ihrem Buch ausführlich vor.5 Diesen biographischen Einzelporträts ist eine sehr präzise und eingängig formulierte Einleitung vorangestellt, in der Camarade zunächst einige Besonderheiten des deutschen Widerstands im Unterschied zum französischen Kampf gegen die deutsche Besatzung in Erinnerung bringt. Zum besseren Verständnis des Widerstands in Deutschland wirft sie auch einen Blick auf die Nachgeschichte und die unterschiedliche Entwicklung in Ost und West bis 1990. Sie zeigt, dass sich in den letzten 30 Jahren im wiedervereinten Deutschland eine vielfältige Erinnerungskultur etabliert hat, auch wenn diese – wie rechtsextreme Attacken gegen Gedenkstätten zeigen – nicht unangefochten bleibt.
Doch was unterscheidet nun das Buch von Hélène Camarade von den bereits vorliegenden Publikationen und Sammelbänden zu widerständigen Frauen?6 Folgt es einer übergreifenden Fragestellung oder liefert es neue Erkenntnisse jenseits der faktenorientierten biographischen Einzelporträts?
Der unzweifelhafte Gewinn und Vorteil der Publikation von Hélène Camarade ist zunächst, dass sie eine französische und frankophone Leserschaft und Wissenschaftscommunity erreichen und informieren kann. Angesichts der flagrant zunehmenden Unkenntnis der Sprache des europäischen Partners ist dies bereits ein nicht zu verachtendes Plus. Außerdem tritt sie mit dem Anspruch an, eine für die Geschichte des Widerstands von Frauen in Deutschland repräsentative Auswahl getroffen zu haben und insofern ein Gesamtpanorama zu evozieren, das verallgemeinerbare Aussagen ermöglicht. Und in der Tat spiegeln sich in der Auswahl die verschiedenen sozialen und ideologischen Milieus des Widerstands. Vertreten sind junge wie alte Frauen, Arbeiterinnen und Frauen aus der Mittelschicht, Kleinbürgerinnen, eine Adlige. Der hohe Anteil von Frauen aus dem linken Milieu (vier von neun) spiegelt deren frühes und dauerhaftes Engagement ab 1933 wider. Mit der getroffenen Auswahl werden auch die verschiedenen Formen des von Frauen ausgeübten Widerstands exemplarisch abgebildet. Die Frauen stammten aus allen Teilen Deutschlands, auch wenn die Zentren der Aktivitäten sich in den Großstädten Hamburg, Berlin, München befanden. Zwei von ihnen wurden hingerichtet – das entspricht dem generellen Zahlenverhältnis von Todesopfern unter den aktenkundigen Widerstandskämpferinnen.
Aufschlussreich ist das Buch vor allem auch dadurch, dass Hélène Camarade in ihrer Einleitung den Widerstand aus einer genderkritischen Perspektive deutet und insgesamt den Blick auf neue Fragestellungen und Forschungsdesiderata lenkt. Sie plädiert dafür, die geschlechtsspezifische Aufgabenteilung (Frauen tippen Flugblätter, versorgen und verstecken Menschen, werden zur Nachrichtenübermittlung eingesetzt) zum Anlass zu nehmen, diese Aktivitäten, denen viele Menschen ihr Leben verdanken, aufzuwerten. Dafür ist es unerlässlich, sich genauer für die materiellen Bedingungen, Umstände und Schwierigkeiten dieser Aktionen zu interessieren und andere bisher nicht beachtete Quellen heranzuziehen. Aus der französischen Forschung übernimmt Camarade den Begriff des weiblichen Handelns im Zwischenraum zwischen öffentlich und privat, ein Widerstand von der Haustür aus (»du pas de la porte«), wie Laurent Douzou dies genannt hat.7 Das beeinflusst Formen und Wirksamkeit des Widerstands von Frauen. Zu ihrer Position als »transfuge« zwischen zugewiesenen Räumen und Handlungen gehört nach Camarade auch ihr Spiel mit den Geschlechterrollen, z. B. immer wenn Frauen geltende geschlechtsspezifische Normen und Verhaltensweisen bewusst einsetzen und für ihre Aufgabe und ihren Schutz subversiv nutzen. Diese Normen konnten sich aber auch im Fall einer Verhaftung gegen sie richten und die Repressionsmaßnahmen verschärfen, da sie mit ihrem Verhalten nicht nur gegen das Regime, sondern auch gegen die geltende Geschlechterordnung verstießen.
Im abschließenden Kapitel versucht Camarade eine zusammenfassende Betrachtung, wobei sie allerdings Einiges aus der Einleitung wiederholt. Etwas oberflächlich bleibt die Beurteilung der Motive für das Engagement der Frauen. Jenseits der weltanschaulichen Unterschiede sieht Camarade bei allen Frauen einen grundsätzlichen Humanismus am Werk. Aufschlussreich ist der Hinweis auf die Rolle der Bildungsmöglichkeiten für Frauen in der Weimarer Republik, die den Grundstein für die Bewusstwerdung und Politisierung der Frauen legte. Dazu gehörte für einige der im Buch vorgestellten Frauen auch ihr feministisches Engagement. Für die jüngeren bildete der Kampf gegen Faschismus und Diktatur einen Schritt aus einer als normal und selbstverständlich angesehenen Lebenswelt und damit eventuell auch aus der üblichen Geschlechterordnung.
Dem gut geschriebenen Buch von Hélène Camarade sind viele Leser und Leserinnen zu wünschen. Es bietet auch einem fachfremden Publikum einen guten Einblick in die Vielfalt und die Spezifik weiblichen Widerstands in Deutschland. Bedauerlich ist allerdings, dass Hélène Camarade gar nicht auf die Forschung zum Widerstand von deutschsprachigen Frauen eingeht, die nach Frankreich geflohen waren und hier – unter anderem auch mit der Waffe in der Hand – Widerstand gegen die deutschen Besatzer leisteten.8 Eine Reihe dieser Frauen gingen in den Widerstand, wurden verhaftet und ins Deutsche Reich deportiert.9 Einigen von ihnen ist sicher auch die im Band von Camarade porträtierte Nora Block begegnet, die im März 1933 nach Frankreich emigrieren musste und dort 1940 gemeinsam mit anderen deutschen Frauen in ein Internierungslager kam. Ebenso wie die deutsche Besatzung inzwischen aus einer europäischen Perspektive erforscht und dargestellt wird, wäre es sicher sinnvoll den Widerstand – ob von Männern oder Frauen – weitaus mehr als bisher aus einer transnationalen Perspektive zu betrachten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Mechthild Gilzmer, Rezension von/compte rendu de: Hélène Camarade, Résistantes allemandes. Des femmes face à Hitler, Paris (nouveau monde éditions) 2025, 320 p., ill., ISBN 978-2-38094-647-5, EUR 23,90., in: Francia-Recensio 2025/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112775





