Das hier anzuzeigende Werk ist verfasst von drei erstklassigen Kennern der NS-Zeit (und Weimars), die alle drei wegweisende Monografien zu verschiedenen Themen jener Zeit publiziert haben.

Das 630 Seiten starke Buch ist in drei Teile untergliedert. Zunächst geht es auf ca. 150 Seiten um den Weg des NS bis zur Machtergreifung. Der zweite Teil über die Jahre 1934 bis 1939 ist ebenso umfangreich. Hier wird zunächst der Prozess der »Gleichschaltung« sowie der Terror nach innen geschildert und abschließend die Frage diskutiert, ob es sich bei der NS‑Herrschaft tatsächlich um eine »Beteiligungsdiktatur« gemäß der Einschätzung von Götz Aly u. a. gehandelt habe. Ein Drittel dieses zweiten Teils gilt dann der NS-Außenpolitik in den Jahren vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Unwesentlich ausführlicher ist der dritte und abschließende Teil über den genozidalen Krieg.

Die Untersuchung beginnt mit einer Darstellung der »Weltanschauung« des NS. Gezeigt wird der Weg von der seit den 1890er-Jahren im Aufschwung befindlichen Rassen-Anthropologie hin zur NS-»Rassenkunde«. Auch die »Volk-ohne-Raum« Ideologie hat ihre Wurzeln weit vor dem Erscheinen des Nationalsozialismus. Die Folgerung ist eindeutig: die Nazis sind in ihrer Weltanschauung wenig originell. Aber ihnen gelingt eine neue Fokussierung oder Zuspitzung der alten Ideologeme der Rechten. Denn sie bauen konsequent auf der Erfahrung des Weltkrieges auf, aus der auch ein neuer radikaler Antisemitismus entspringt. Dieser wiederum ist – so die hochinteressante These – keineswegs ein genuin deutsches Phänomen, kein Sonderwegs-Antisemitismus à la Goldhagen und so vieler anderer Historiker. Der neue Antisemitismus nach 1918 ist ein europaweites Phänomen, das vor allem bei den im Weltkrieg besiegten Nationen bzw. Staaten auftaucht. Die Autoren sind hier dezidiert: Es hat zuvor keine besondere deutsche Judenfeindschaft gegeben. Erst der Absturz der deutschen Gesellschaft nach 1918 hat dem apokalyptischen Denken insbesondere der Nazis Massenzuspruch gebracht (51). Einzig die Sonderstellung der Militärs, die vor und im Weltkrieg keinen politischen Direktiven unterworfen waren, war wohl spezifisch deutsch.

Interessant ist, wie stark das Autorenteam die Herkunft der NS-Ideologie aus der Weltkriegserfahrung herleitet. In dieser Beziehung sind sie viel weiter vorgedrungen und an rezenter Forschung orientiert als die allermeisten deutschen Darstellungen Weimars und des NS. Dies gilt etwa für die Herleitung der »Volksgemeinschafts«‑Ideologie aus dem »Frontgemeinschafts«‑Topos. Auch die permanente Nostalgie des »Augusterlebnisses« von 1914 im Denken des NS wird hervorragend gezeigt. Und das vieldiskutierte Thema der sog. »Brutalisierung« der deutschen Gesellschaft durch den Krieg bezeichnen sie bündig als eine »Politisierung der Kriegserfahrung« (59).

In der recht kurz gefassten Geschichte des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik kommen die Verfasser zu dem Schluss, dass es einen Prozess der »Normalisierung« des NS‑Extremismus gegeben habe, was sie an der Verbreitung des »Volksgemeinschafts«‑Topos festmachen. Wenn wir heute konstatieren, dass die NS‑Volksgemeinschafts‑Ideologie »exklusiv« gewesen ist (Michael Wildt und tutti quanti), so bleibt zutreffend, dass sich viele Zeitgenossen der Extravaganz dieses Konzepts nicht bewusst waren, sondern glaubten, dass die Nazis wohl etwas rüder seien als der Rest des konservativen Spektrums, aber doch grundsätzlich dieselben Ideen teilten und deshalb durchaus wählbar bzw. akzeptabel seien.

Angesichts der Ablehnung der Republik durch immer weitere Teile der Bevölkerung und der Eliten folgern die Autoren, dass die Republik nicht etwa von den Nazis zerstört worden ist, sondern schon kaputt war, als die Nazis mit Beginn der 1930er-Jahre anfingen, ihren großen Erfolg bei der Bevölkerung zu feiern (136).

Sie bemühen sich nachzuweisen, dass es keine Machtergreifung gegeben hat, sondern dass die konservativen Eliten den Nazis die Macht schlicht übertrugen (151). Diskutiert wird dabei u. a. Hindenburgs Gebrauch des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung, der in vielen Fällen illegal gewesen sei. Auch das »Querfront«-Konzept des Generals Kurt von Schleicher gehe von einer Abschaffung des Parlamentarismus aus. Den Rückgang des NS-Erfolges bei den Herbstwahlen von 1932 wollen sie nicht überbewerten, denn eine Analyse der weiteren Wahlergebnisse in den Ländern (hübsch, wie beiläufig das deutsche System der Staats-Länder für den französischen Leser erläutert wird) zeige eine kontinuierliche Machtzunahme des NS auch im Spätherbst 1932. Entscheidend aber, so heißt es zu Beginn des zweiten Teils des Buches, ist der »Zynismus«, mit dem die Liquidatoren der Republik, von Hindenburg bis Papen und Schleicher, Hitler an die Macht brachten, weil sie ihn eben nicht für gefährlich hielten, sondern glaubten, dass seine Weltsicht weitestgehend mit der ihren übereinstimme (170). Was man allerdings nicht wusste, bzw. nicht korrekt einschätzte, war, wie eine radikale Ideologie sich auswirken kann, wenn sie über die neuen Massenmedien der industriellen Gesellschaft verfügt und diese zielgerichtet auszunutzen versteht.

Das NS-Regime war allerdings kein »totaler Staat«, weil eben der Staat in seinen Funktionen weitgehend abgeschafft und durch die Polykratie einer Vielzahl von Institutionen wie etwa der Gestapo ersetzt wurde. Eine Polykratie aber, die einwandfrei von Hitler beherrscht wurde (206 f.) Das sagen die Autoren mit klarer Wendung gegen die geläufige These, dass Hitler ein »schwacher Diktator« gewesen sei.

War das NS-Regime eine Terror-Herrschaft? Die Autoren sprechen von einer Janus-Köpfigkeit, die einerseits aus Terror, andererseits aus Wohltaten für die Bevölkerung bestand. Es war eine »Beteiligungsdiktatur« (Sven Reichardt), und es habe deshalb auch nur wenig Widerstand gegeben. Das ist richtig, aber ich halte es für nicht passend, wenn in diesem Zusammenhang auch der 20. Juli 1944 dargestellt und ganz summarisch abgewertet wird. Widerstand in der Endphase eines totalen Krieges ist sicherlich etwas anderes als Widerstand in der Blütezeit eines Regimes, das trotz Terror sehr populär blieb. Dies umso mehr, als die Nazis für Arbeit, Wohnungen und Zerstreuung sorgten (261–262) und weil sie – das ist ein recht innovativer Gedanke! – keineswegs die gesamte Kulturproduktion auf ihre Linie brachten. Es gab massive Indoktrinierung, aber auch große Sektoren nicht nazifizierten Kulturbetriebs. Insgesamt unternahmen die Nazis sehr viel, um dem Volk eine harmonische Zukunft vorzugaukeln. Sie unternahmen weniger eine Indoktrinierung als eine »Konformisierung« der Menschen (275).

Dieser Zusammenhang wird noch gestärkt durch die leider an anderer Stelle des Buches untersuchte vorgebliche Friedfertigkeit des Regimes. Das In- und Ausland nahm Hitler weitgehend die Beteuerung ab, dass er unbedingt Frieden wolle, wenngleich selbstverständlich einen auf der Stärke Deutschlands gründenden Frieden. Deshalb auch die so überraschend positive Aufnahme seiner Herrschaft bei den meisten konservativen Eliten Europas (184ff.). Deshalb auch die Akzeptanz der Hitlerschen Außenpolitik und der Rückgewinnung der durch den Versailler Vertrag verloren gegangenen Gebiete, vom Rheinland bis zur Saar.

Der dritte und letzte Teil des Buches (ab 309) handelt vom Zweiten Weltkrieg, einem »genozidalen Krieg«, wie es in der Überschrift heißt. Allerdings war dieser Genozid nicht von vornherein geplant, der Krieg wurde in dem Maße zum Medium des Massenmords, wie er sich nach 1939/40 entwickelte.

Interessant und weiterführend ist die Darstellung, wie weit in allem, was Hitler und seine Generale unternahmen, die Erfahrung und Erinnerung des Ersten Weltkrieges präsent waren und blieben. Die schon im Ersten Weltkrieg erfundene »Stoßtruppen«-Taktik verbindet sich nunmehr mit den massenhaft eingesetzten Panzern und Flugzeugen, was Deutschland im Ersten Weltkrieg sträflich unterlassen hatte. Alles zielte darauf, das Stellungskriegs-Patt von 1914–1918 unbedingt zu vermeiden. Anfänglich gelang das auch bestens unter dem Jubel des deutschen Volkes. Mit dem Sieg über Frankreich im Juli 1940 hatte Deutschland die Niederlage von 1918 getilgt – niemals war Hitler beliebter als zu diesem Zeitpunkt. Darauf haben schon andere Historiker und Historikerinnen aufmerksam gemacht, aber es passt sehr gut zu diesem Buch, welches zeigt, wie stark Aufstieg und Erfolg des NS insgesamt eine Bewältigung des Traumas von Versailles waren.

Die drei Autoren sind ausgewiesene Kenner nicht allein der Geschichte des Dritten Reiches, sondern speziell auch der Untaten des Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg, denen sie mehrere Bücher gewidmet haben. So wird auch im letzten Teil dieses Werkes der Massenmord an allen Fronten und dem jeweiligen Hinterland des Krieges recht ausführlich dargestellt, wobei die Autoren etwas recht Ungewöhnliches tun: Sie fragen nämlich (410), wie die Vernichtung der europäischen Juden überhaupt in angemessener Form beschrieben werden kann. Was die Dimensionen des Massenmords angeht, so stehen Chapoutot, Patin und Ingrao klar auf dem Standpunkt, dass dieser nicht ohne die wie auch immer passive bzw. höchst aktive Teilnahme der Bevölkerung der besetzten Länder hätte geschehen können (414). Das nicht systematisch, aber schlaglichtartig zu beschreiben, unternehmen sie auf relativ wenigen, aber enorm dichten Seiten.

Das ausführliche Schlusskapitel des Buches mündet in eine These, die stark kontrovers diskutiert bzw. auch kategorisch abgelehnt worden ist (500): Nach Auffassung der Autoren war der NS mit seiner Kriegs- und Vernichtungspolitik nicht etwa »Zufall« oder ein einmaliges Verbrechen, sondern »die kohärenteste, radikalste und konsequente Ausprägung der europäischen Geschichte, die alle mentalen Kategorien und alle technischen Möglichkeiten der Weltherrschaft und der Reduzierung von Menschen, Räumen und Dingen auf Energie- und Materialreserven geschaffen hatte, von denen man bis zur Erschöpfung zehren konnte« (500). Ich halte diese These bei allem perspektivischen Interesse für schlicht überzogen – selbst die Nazis haben doch noch 1939/40 nicht gewusst, dass und wie man Millionen Menschen arbeitsteilig ermorden kann. Auch hätte es ein anderes Buch gebraucht, um diese ausufernde These empirisch abzustützen. Aber sei’s drum: Le Monde nazi ist ein großartiges Buch, das bleibende Wirkung vor allem in Frankreich entfalten wird.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gerd Krumeich, Rezension von/compte rendu de: Johann Chapoutot, Christian Ingrao, Nicolas Patin (éd.), Le Monde nazi. 1919‒1945, Paris (Tallandier) 2024, 640 p., ISBN 979-1021045804, EUR 27,50., in: Francia-Recensio 2025/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2025.3.112776